VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 26.01.2023 - 1 K 259/21.WI.A - asyl.net: M31340
https://www.asyl.net/rsdb/m31340
Leitsatz:

Erfolgreiche Klage gegen Ablehnung eines Asylantrages als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG:

Ein Auseinanderreißen der - bereits in Afghanistan und während des gesamten Fluchtwegs bis nach Griechenland - bestehenden Familiengemeinschaft durch eine Überstellung der Kläger nach Slowenien zur Durchführung des Asylverfahrens, während die Ehefrau und Mutter der Kläger in Deutschland über ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG verfügt, ist nicht zu rechtfertigen.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Afghanistan, Dublinverfahren, Familienzusammenführung, Eheschließung, religiöse Eheschließung, Wirksamkeit der Eheschließung,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 a, VO 604/2013 Art. 17, AufenthG § 60 Abs. 5, Art. 8 EMRK, GR-Charta Art. 7, GG Art. 6
Auszüge:

[...]

Die Beklagte ist allerdings gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO verpflichtet, ihr Selbsteintrittsrecht gegenüber den Klägern auszuüben, da die Trennung insbesondere des Klägers zu 2) von seiner Mutter, Frau G., und die Auflösung der Einheit der Kernfamilie im Falle der Überstellung der Kläger nach Slowenien eine Verletzung von Art. 7 GRCh, Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 6 Abs. 1 GG darstellen würde. [...]

Diese Grundsätze gelten nicht nur im Rahmen eines drohenden Verstoßes gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh, sondern sind auch bei anderen drohenden massiven Grundrechtsverletzungen, wie insbesondere des Rechts auf Achtung des Familienlebens, nach Art 7 GRCh, Art. 8 Abs. 1 EMRK zu übertragen, sofern diese nicht ohne Ausübung des Selbsteintrittsrechts vermieden werden können (vgl. VG Berlin, Urteil vom 5. Januar 2022 - 34 K 345/20 A - Rn. 28 - 29 juris, mit weiteren Nachweisen).

Es ist vorliegend aus individuellen, in den Personen der Kläger liegenden und damit von dem "Konzept der normativen Vergewisserung" bzw. dem "Prinzip des gegenseitigen Vertrauens" von vornherein nicht erfassten Gründen geboten, von der Überstellung der Kläger nach Slowenien abzusehen. Eine Dublin-Überstellung einzelner Familienangehöriger ist zwar nicht in jedem Fall ausgeschlossen. Die zwingende Wahrnehmung des Selbsteintrittsrechts kommt aber insbesondere dann in Betracht, wenn ein durch die Grundrechtsgarantien geschützter Bereich betroffen ist, insbesondere bei Vorliegen besonderer familiärer oder humanitärer Umstände, die nicht von Art. 16 Dublin III-VO erfasst sind (vgl. Heusch/Haderlein/Fleuß/Barden, Asylrecht in der Praxis, 2. Auflage 2021, § 29 AsylG Rn. 451 - 454).

Aus Art. 7 GRCh, Art. 8 Abs. 1 EMRK und aus Art. 6 Abs. 1 GG ergibt sich der Schutz des Familienlebens. Geschützt ist das tatsächlich bestehende Familienleben, dieses umfasst vor allem das Zusammenleben von Eltern und ihren minderjährigen Kindern (vgl. BeckOK AuslR/Hofmann, 35. Ed. 1.7.2022, EMRK Art. 8 Rn. 18). Daraus folgt, dass Eingriffe in den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 GRCh, die für die Grundrechtsträger besonders einschneidend wirken, zur Annahme eines entsprechenden Ausnahmefalls führen können. [...]