VG Gießen

Merkliste
Zitieren als:
VG Gießen, Beschluss vom 07.05.2021 - 10 L 950/21.GI.A - asyl.net: M31396
https://www.asyl.net/rsdb/m31396
Leitsatz:

Ein nicht ordnungsgemäß durchgeführtes Wiederaufnahmegesuch ist nicht fristwahrend:

Das Wiederaufnahmegesuch ist zur Fristwahrung ungeeignet, wenn das zu verwendende Formblatt nicht sämtliche sachdienlichen Angaben aus der Erklärung des Antragstellers enthält.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter:
Normen: AsylG § 34a Abs. 1 Satz 1, VO 604/2013 Art. 23 Abs. 3, VO 604/2013 Art. 23 Abs. 2, VO 604/2013 Art. 23 Abs. 4, VO 604/2013 Art. 25 Abs. 1 Satz 1, VO 604/2013 Art. 18 Abs. 1, VO 604/2013 Art. 19 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Aufgrund zweier am 29.10.2020 festgestellter Eurodac-Treffer der Kategorien 2 ("GR2") und 1 ("GR1"), aus denen sich ergibt, dass der Antragsteller am 08.08.2019 nach seiner illegalen Einreise nach Griechenland in Mytilini auf Lesbos registriert wurde und am 13.09.2019 im Lager Moria einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, richtete das Bundesamt am 09.12.2020 ein Wiederaufnahmegesuch gemäß der Dublin III-Verordnung an Griechenland, welches unbeantwortet blieb. Das verwendete Formblatt enthielt unter Nr. 13 die Angabe, der Antragsteller habe erklärt, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verlassen zu haben. Im Feld "Sonstige zweckdienliche Informationen" wurde der von dem Antragsteller geschilderte Reiseweg, d.h. die von ihm durchreisten einzelnen Staaten, mitgeteilt. Nicht angegeben wurde jedoch, wie lange sich der Antragsteller gemäß seinen Angaben nach seiner Ausreise aus Griechenland in Nordmazedonien, Serbien sowie in Bosnien und Herzegowina aufgehalten hat, bevor er durch die Einreise nach Kroatien wieder in das Gebiet der Dublin-Mitgliedstaaten gelangt ist. Stattdessen wurde erklärt: "There are no indications that the person has left the territory of the member states in the meantime". [...]

Die Abschiebungsanordnung beruht auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Hiernach ordnet das Bundesamt, wenn der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.

Diese Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor, da der Asylantrag des Antragstellers nicht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 a AsylG unzulässig ist. [...]

Da die von dem Bundesamt angenommene Zuständigkeit Griechenlands auf der am 29.10.2020 erfolgten Eurodac-Treffermeldung beruhte, war das Wiederaufnahmegesuch gemäß Art. 23 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO innerhalb von zwei Monaten nach der Treffermeldung zu stellen, somit bis zum Ablauf des 29.12.2020. Innerhalb dieser Frist hat das Bundesamt kein ordnungsgemäßes Wiederaufnahmegesuch an Griechenland gerichtet. Das Ersuchen vom 09.12.2020 war zur Fristwahrung ungeeignet, da das verwendete Formblatt entgegen Art. 23 Abs. 4 Dublin III-VO nicht sämtliche sachdienlichen Angaben aus der Erklärung des Antragstellers enthielt, die die griechischen Behörden für die nach Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO vorzunehmende Prüfung benötigten, ob Griechenland als ersuchter Mitgliedstaat nach den in der Dublin III-Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung des Antrags des Antragstellers auf internationalen Schutz zuständig ist.

Die Wahrung der Frist des Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO setzt ein formell ordnungsgemäßes und prüffähiges Wiederaufnahmegesuch voraus, das den Regelungen in Kapitel VI der Dublin III-Verordnung entspricht. Für das Wiederaufnahmegesuch ist daher gemäß Art. 23 Abs. 4 Dublin III-VO ein Standardformblatt zu verwenden, in dem die Daten mitgeteilt werden müssen, die sich aus Art. 2 i.V.m. Anhang III der zuletzt durch die Verordnung (EU) Nr. 118/2014 vom 30.01.2014 geänderten Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 vom 02.09.2003 (Dublin-Durchführungsverordnung - Dublin-DVO -) ergeben. Nach Nr. 13 des Formblatts für Wiederaufnahmegesuche gemäß dem Anhang III zur Dublin-Durchführungsverordnung ist zwingend mitzuteilen, ob der Antragsteller erklärt hat, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verlassen zu haben, und falls ja, welche Angaben er zum Datum der Ausreise, zum Datum der Wiedereinreise sowie zu seinem Reiseweg gemacht hat. Ferner muss das Wiederaufnahmegesuch gemäß Art. 23 Abs. 4 Dublin III-VO u.a. die sachdienlichen Angaben des Antragstellers enthalten, anhand derer die Behörden des ersuchten Mitgliedstaates prüfen können, ob ihr Staat für die Prüfung des Antrags der betreffenden Person zuständig ist. Zu diesen Angaben gehört die Erklärung des Antragstellers, er habe das Gebiet der Dublin-Mitgliedstaaten nach seiner Ersteinreise für mehr als drei Monate verlassen. Denn hierbei handelt es sich aufgrund der sich aus Art. 19 Abs. 2 Dublin III-VO ergebenden Möglichkeit, dass die Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmepflichten des zunächst zuständigen Mitgliedstaats aus Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO erlöschen, wenn die Person, um deren Aufnahme oder Wiederaufnahme ersucht wurde, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, um einen für die Zuständigkeitsprüfung des ersuchten Mitgliedstaates wesentlichen Umstand (vgl. zum Ganzen: VG Greifswald, Urteil vom 10.03.2021 - 3 A 2125/20 HGW -, juris, Rn. 17 f. m.w.N.).

Im vorliegenden Fall hat das Bundesamt in dem Wiederaufnahmegesuch vom 09.12.2020 zwar angeben, der Antragsteller habe erklärt, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verlassen zu haben. Dem mitgeteilten Reiseweg kann auch entnommen werden, dass sich der Antragsteller nach seinen Angaben zwischen der Ausreise aus Griechenland und der Einreise nach Kroatien in Nordmazedonien, Serbien sowie in Bosnien und Herzegowina aufgehalten hat. Nicht mitgeteilt wurde jedoch die Angabe des Antragstellers, dass sich sein damit verbundener Aufenthalt außerhalb des Hoheitsgebiets der Dublin-Mitgliedstaaten über einen Zeitraum von sechs bis sieben Monaten erstreckt hat. Für diese Mitteilung bestand umso mehr Anlass, als die zeitlichen Angaben des Antragstellers plausibel erscheinen. [...] Ein ordnungsgemäßes, die Zuständigkeitsprüfung unter Einbeziehung von Art. 19 Abs. 2 Dublin III-VO ermöglichendes Wiederaufnahmegesuch erforderte daher nicht nur die Mitteilung des Reisewegs, sondern auch derjenigen Angaben des Antragstellers, die er zur Dauer seines Aufenthalts in Serbien sowie in Bosnien und Herzegowina gemacht hat. Diese Angaben enthielt das Ersuchen vom 09.12.2020 jedoch nicht. Stattdessen findet sich in diesem die aus den vorstehenden Gründen unzutreffende Feststellung, es lägen keine Hinweise darauf vor, dass der Antragsteller das Gebiet der Mitgliedstaaten zwischenzeitlich verlassen hat. [...]