VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Beschluss vom 29.06.2023 - 2 K 2003/22.GI.A - asyl.net: M31678
https://www.asyl.net/rsdb/m31678
Leitsatz:

Kosten des Verfahrens sind nach Ablauf der Überstellungsfrist regelmäßig dem BAMF aufzuerlegen:

"Erledigt sich die Hauptsache durch Aufhebung eines Dublin-Bescheids wegen Ablaufs der Überstellungsfrist, so entspricht es regelmäßig der Billigkeit, die Kosten des Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen, weil die Gründe für den Fristablauf allein ihrer Sphäre zuzurechnen sind."

(Amtliche Leitsätze; so auch: VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 11.05.2022 - 18a K 759/22.A - asyl.net: M30920)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Verfahrenskosten, Überstellungsfrist, Anwaltsgebühren, Ablauf der Überstellungsfrist, Erledigung der Hauptsache, Aufhebungsbescheid
Normen: VO 604/2013 Art. 29 Abs. 2 S. 1, VwGO § 161 Abs. 2 S. 1, VwGO § 92 Abs. 3
Auszüge:

[...]

Über die gesamten Kosten des Verfahrens ist gem. § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen zu entscheiden, wobei der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen ist. [...]

Unter Beachtung dieser Grundsätze und Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen. Denn diese hat mit der Aufhebung ihres Bescheids vom 07.09.2022, mit dem der Asylantrag des Klägers wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung des Klägers nach Italien angeordnet worden war, die Erledigung der Klage herbeigeführt (vgl. zur Einstufung der Aufhebungsentscheidung als maßgebendes erledigendes Ereignis: Bay. VGH, Beschluss vom 18.05.2020 – 3 ZB 20.50004 –, juris Rdnr. 3).

Zwar hat die Beklagte die Erledigung des Rechtsstreits nicht aus originärem, eigenem Entschluss herbeigeführt, hat sie doch mit der Aufhebung des angegriffenen Bescheids auf den Ablauf der Überstellungsfrist nach Italien und den damit einhergehenden Übergang der Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens auf Deutschland (Art. 29 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung der Europäischen Union Nr. 604/2013 vom 26.06.2013, im Folgenden: Dublin-III-Verordnung) reagiert.

Gleichwohl kommt es für die zu treffende Billigkeitsentscheidung nicht auf die Frage an, ob der Kläger ohne das erledigende Ereignis im Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre. Denn wenn – wie hier – die für den Eintritt des erledigenden Ereignisses maßgebliche Veränderung der Sachlage infolge Ablaufs einer fest bemessenen Frist eintritt, wäre es unbillig, einem Verfahrensbeteiligten die Kosten aufzuerlegen, der selbst keinerlei Einfluss auf den Ablauf dieser Frist hatte.

So liegt es hier. Die Gründe für den Ablauf der Überstellungsfrist liegen allein in der Sphäre der Beklagten.

Zwar ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht selbst dafür zuständig, die Überstellungen im Rahmen der Dublin-III-Verordnung durchzuführen, vielmehr obliegt diese Aufgabe den Ausländerbehörden und den Polizeibehörden der Länder (vgl. § 71 Abs. 1, Abs. 5 AufenthG). Parallel hierzu hat allerdings das Bundesamt das Abschiebungsverfahren während seiner gesamten Dauer unter Kontrolle zu halten und dabei stets zu prüfen, ob etwa nachträglich Abschiebungshindernisse entstehen, die zur Aufhebung der Abschiebungsanordnung führen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.09.2014 – 2 BvR 1795/14 –, juris Rdnr. 9, 10; Bay. VGH, Beschluss vom 18.05.2020, a.a.O., Rdnr. 7). Darüber hinaus gehören neben dem Bundesamt auch die Ausländer- und die Polizeibehörden der Länder zu dem in der Bundesrepublik nach dem Willen des Gesetzgebers installierten Verwaltungsapparat, wobei diese Behörden arbeitsteilig und funktional zusammenarbeiten. Damit sind sämtliche Ursachen, welche möglicherweise von anderen Behörden für den Ablauf der Überstellungsfrist gesetzt wurden, letztlich dem Staat und damit der Beklagten zuzurechnen. [...]

Denn der Kläger hatte es – anders als im Falle der Ausreise in das eigene Heimatland – nicht selbst in der Hand, ohne Beteiligung des Bundesamtes seiner Ausreisepflicht nach Italien nachzukommen. Die Dublin-III-VO kennt das Institut der freiwilligen Ausreise nicht; vielmehr ist jede Dublin-Überstellung eine staatlich überwachte, selbst wenn sie auf eigene Initiative des Asylbewerbers und ohne Anwendung von Verwaltungszwang erfolgt [...].