Unmöglichkeit der Passbeschaffung für Angehörige der Khavari aus dem Iran:
Für Angehörige der Khavari, die keinen eigenen iranischen Nationalpass haben und die iranische Staatsangehörigkeit nicht von einem iranischen Vater ableiten können, ist es nur dann möglich, die iranische Staatsbürgerschaft und somit einen iranischen Pass zu erlangen, wenn sie über genügend finanzielle Mittel oder politische Verbindungen verfügen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der iranische Staat keinerlei Interesse daran hat bzw. aktiv zu vermeiden versucht, dass Angehörige der Khavari die iranische Staatsangehörigkeit erlangen.
(Leitsätze der Redaktion)
Siehe auch:
[...]
Mit Bescheid vom … 2019 lehnte der Beklagte den Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung sowie Zustimmung zur Ausübung einer Beschäftigung ab und untersagte ihm die Ausübung jeglicher Tätigkeit. Zur Begründung führt der Bescheid im Wesentlichen an, der Verbotstatbestand des § 60c Abs. 2 Nr. 1 AufenthG i. V. m. § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 und 3 AufenthG sei erfüllt, da die Passlosigkeit des Klägers verschuldet und seine Identität ungeklärt sei. [...]
Der Kläger hat hiergegen am … 2019 Klage erhoben und um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Er macht im Wesentlichen geltend, wegen der Diskriminierung gegenüber der Volksgruppe der Khavari habe er keine Chance, einen iranischen Pass zu erhalten. [...]
Der Kläger hat einen Anspruch auf die Erteilung einer Ausbildungsduldung samt Beschäftigungserlaubnis. Der entgegenstehende Bescheid vom … 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten [...].
Der Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung ergibt sich aus § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AufenthG. [...]
Dem steht der Versagungsgrund eines Beschäftigungsverbots nach § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AufenthG (bezüglich der Ausbildungsduldung in Verbindung mit § 60c Abs. 2 Nr. 1 AufenthG) nicht entgegen. [...]
Der Beklagte stützt die Ablehnung der Ausbildungsduldung u. a. auf mangelnde Passbeschaffungsbemühungen seitens des Klägers. [...]
In Bezug auf die Beschaffung eines iranischen Passes oder Passersatzpapiers lässt das Gericht offen, ob der Kläger alle denkbaren und zumutbaren Bemühungen unternommen hat, denn es fehlt jedenfalls an der Kausalität zwischen der etwaig unzureichenden Mitwirkung und der unterbliebenen Abschiebung des Klägers. Er hat keine realistische Chance, einen iranischen Pass zu erlangen. Dies ergibt sich für das Gericht aus den Angaben des Klägers, der Zeugenaussage der … und nach Auswertung der vorliegenden Erkenntnismittel.
Ausgehend von dem Umstand, dass der Vater des Klägers nicht über einen iranischen Nationalpass verfügt, steht die Verwaltungspraxis des Iran im Umgang mit Khavari der Annahme entgegen, der Kläger könne einen iranischen Nationalpass erlangen.
Aus den dem Gericht verfügbaren Erkenntnismitteln zur Volksgruppe der Khavari, der der Kläger angehört, ergibt sich Folgendes: Bei den Khavari handelt es sich um eine ethnische Minderheit im Iran, deren Angehörige vor etwa einem Jahrhundert aus dem afghanischen Hazaradschat eingewandert sind. Mehrheitlich leben die meisten der Khavari im Iran in der Umgebung der Stadt Mashhad, ... In Übereinstimmung mit den Angaben des Klägers lässt sich den Erkenntnismitteln auch entnehmen, dass einige Hazara weiter nach Irak und Syrien migriert sind, nachdem sie sich im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert im Iran niedergelassen hatten. Viele der Khavari, welche nun in Mashhad leben, sind in den 1970er Jahren aus dem Irak ausgewiesen worden [...]. Der Iran anerkennt die Khavari nicht als eigene Staatsangehörige, sondern geht in Fällen, in denen Khavari keinen iranischen oder irakischen Personalausweis haben, ohne Weiteres von ihrer afghanischen Herkunft und damit Staatsangehörigkeit aus [...]. Es sind auch Fälle aus den Jahren 2004 und 2005 dokumentiert, in denen die Geburtsurkunden von Khavari beschlagnahmt oder für nichtig erklärt wurden, um den Nachweis der iranischen Staatsangehörigkeit unmöglich zu machen [...].
Auch die Praxis, die vom Iran weiter in den Irak migrierten und Anfang der 1980er Jahre ausgewiesenen Khavari nicht als eigene Staatsangehörige anzuerkennen, ist dokumentiert. Diese Khavari wurden als Flüchtlinge registriert; ihnen wurde eine Flüchtlingskarte (sog. Amayesh-Karte) ausgestellt und dort die irakische Staatsangehörigkeit eingetragen [...]. Sie leben im Iran seit Jahrzehnten als faktisch Staatenlose. [...]
Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln ist es unter den aktuellen Bedingungen für Khavari, die keinen eigenen iranischen Nationalpass haben und die Staatsangehörigkeit nicht von einem iranischen Vater ableiten können, nur dann möglich die iranische Staatsbürgerschaft zu erlangen, wenn sie über genügend finanzielle Mittel oder politische Verbindungen verfügen [...]. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen beim Kläger vorliegen.
Zur offenen, auch rassistisch motivierten Diskriminierung von Khavari im Iran trägt bei, dass Angehörige der Khavari oft physiologische Merkmale aufweisen, die auf ihre Hazara-Herkunft hindeuten, etwa Gesichtszüge, die eine zentralasiatische Herkunft vermuten lassen. [...].
Die vorstehenden Erkenntnisse, die insbesondere auf der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 11.02.2015 beruhen [...], sind zudem nach neuerlicher und vom Beklagten eingeholter Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Teheran vom 30.11.2021 weiterhin aktuell [...].
Das Gericht ist nach alledem – wie auch schon zuvor die Kammer im Eilverfahren – davon überzeugt, dass es für den Kläger nicht zum Erfolg führen würde, sich beim iranischen Staat um einen Pass zu bemühen. Es ist davon auszugehen, dass der iranische Staat keinerlei Interesse hat bzw. aktiv versucht zu vermeiden, dass Angehörige der Khavari eine iranische Staatsangehörigkeit erlangen können. [...]
Es ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung davon auszugehen, dass der Kläger zu der Minderheit der Khavari gehört und dessen Vater über keine iranischen Identitätsdokumente verfügt. Die in der mündlichen Verhandlung gemachten glaubhaften Angaben des Klägers und der Zeugin ... fügen sich ausnahmslos in die vorliegenden Erkenntnismittel ein. So machte auch die Zeugin die Angabe, dass ihre Familie ursprünglich in den Irak gegangen war und dort vom Irak in den Iran zurückgeschickt wurde. Ihre Volksgruppe sei nirgendwo zugehörig und sie hätten im Iran keine Geburtsurkunden (nicht zu verwechseln mit durch Krankenhäuser ausgestellte Geburtsbescheinigungen) erhalten. [...]