Haftbedingungen in Abschiebungshaft in Hof (Bayern) sind rechtswidrig:
1. Die Unterbringung von Abschiebungsgefangenen ist rechtswidrig, wenn sich der Zwang, dem die Gefangenen ausgesetzt sind, nicht auf das Maß beschränkt, das unbedingt erforderlich ist, um ein wirksames Rückkehrverfahren zu gewährleisten. Es ist so weit wie möglich zu vermeiden, dass die Unterbringung einer Inhaftierung in einer Gefängnisumgebung gleichkommt, wie sie für Strafhaft kennzeichnend ist.
2. Die Beschränkung der Besuchszeit in der Abschiebungshafteinrichtung Hof auf vier Stunden monatlich sowie tägliche Einschlusszeiten von 19:00 Uhr bis 9:00 Uhr genügen diesen Anforderungen nicht, sodass die Inhaftierung rechtswidrig ist.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Die Sicherungshaft hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 20. April 2022 bis zum 21. Juni 2022 verlängert. Zuvor hatte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen gerügt, dass dessen Unterbringung in der Einrichtung für Abschiebungshaft Hof (nachfolgend: AHE Hof) nicht den Vorgaben von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG [...] entspreche. Der Betroffene ist zu den Haftbedingungen angehört worden.
Gegen den Haftverlängerungsbeschluss hat der Betroffene Beschwerde eingelegt. [...] Nachdem die für den 15. Juni 2022 geplante Abschiebung wegen der im Asylverfahren noch laufenden Rechtsmittelfrist scheiterte, wurde er am gleichen Tag aus der Haft entlassen. Das Landgericht hat die nunmehr noch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gerichtete Beschwerde nach Einholung einer Stellungnahme der AHE Hof zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene sein Feststellungsbegehren weiter.
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, ein zulässiger Haftantrag habe vorgelegen. Der Betroffene sei wegen der unerlaubten Einreise gemäß § 50 Abs. 1, § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig. Gegen ihn sei am 6. Januar 2022 eine Zurückweisungsentscheidung ergangen, die nicht unmittelbar habe vollzogen werden können. […] Die Unterbringung in der AHE Hof habe entgegen der Auffassung des Betroffenen keinen gefängnisähnlichen Charakter. Es handele sich um eine neu gebaute und nach neuesten Standards eingerichtete Abschiebungshafteinrichtung, die sowohl baulich als auch organisatorisch von der Justizvollzugsanstalt getrennt sei und sich von letzterer deutlich unterscheide. [...] Der Aufschluss finde bereits um 9:00 Uhr morgens statt und dauere bis abends um 19:00 Uhr; die Inhaftierten könnten täglich duschen und erhielten Jogginganzüge, sofern sie nicht über eigene Kleidung verfügten. Der Außenkontakt sei nicht ähnlich wie in der Strafhaft eingeschränkt. Die Betroffenen könnten Besuche empfangen. Die Besuchszeit betrage monatlich vier Stunden für zugelassene Bezugspersonen, und zusätzliche Besuchszeit werde gewährt für Beratungsbesuche von Flüchtlingsorganisationen, Rechtsanwälten und Behördenvertretern.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit Erfolg rügt der Betroffene, er sei nicht gemäß Art. 16 Abs. 1 RL 2008/115 in Verbindung mit den - richtlinienkonform auszulegenden - Vorschriften des § 62a AufenthG in der zum damaligen Zeitpunkt maßgeblichen Fassung und Art. 2a AGAufenthG [...] bestehenden Anforderungen untergebracht worden.
a) Nach Art. 16 Abs. 1 RL 2008/115. erfolgt der Vollzug der Abschiebungshaft grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen.
aa) Bei der Auslegung des Begriffs der speziellen Hafteinrichtung sind zunächst Art. 6 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtecharta) sowie Art. 5 EMRK als Mindestschutzstandard zu berücksichtigen. [...] Vor diesem Hintergrund steht dem Vorliegen einer speziellen Hafteinrichtung im Sinn von Art. 16 Abs. 1 RL 2008/115 nicht entgegen, dass eine Einrichtung administrativ an eine Justizvollzugsanstalt angebunden ist. Das mit der Prüfung der Haftanordnung befasste Gericht hat jedoch der Ausstattung der speziell zur Inhaftierung von ausreisepflichtigen Drittstaatsangehörigen bestimmten Räumlichkeiten, den Regelungen über deren Haftbedingungen sowie der besonderen Qualifikation und den Aufgaben des Personals, das für die Einrichtung zuständig ist, in der die Inhaftierung erfolgt, besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Es hat festzustellen, ob sich der Zwang, dem die Drittstaatsangehörigen ausgesetzt sind, in Anbetracht all dieser Umstände auf das Maß beschränkt, das unbedingt erforderlich ist, um ein wirksames Rückkehrverfahren zu gewährleisten, und so weit wie möglich vermieden wird, dass die Unterbringung einer Inhaftierung in einer Gefängnisumgebung gleichkommt, wie sie für eine Strafhaft kennzeichnend ist. [...]
b) Nach diesen Grundsätzen war die Unterbringung des Betroffenen bei Anordnung der Haft absehbar rechtswidrig. Die Ausgestaltung der in der AHE Hof geltenden Haftbedingungen war im hier maßgeblichen Zeitraum im Hinblick auf die Besuchs- und Einschlusszeiten nicht auf das Maß beschränkt, das unbedingt erforderlich ist, um ein wirksames Rückkehrverfahren zu gewährleisten. Denn jedenfalls die vom Landgericht festgestellten Einschränkungen beim Besuch, der sich auf vier Stunden im Monat beschränkte, und die festgestellten Einschlusszeiten von 19:00 Uhr am Abend bis 9:00 Uhr am nächsten Morgen, mithin 14 Stunden, gingen über das nach den obigen Maßgaben unbedingt Erforderliche deutlich hinaus (zum Besuch BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2023 - XIII ZB 45/22, juris Rn. 16). Das ergibt sich hinsichtlich der Einschlusszeiten bereits aus einem Vergleich mit den in Abschiebungshaftanstalten anderer Bundesländer geltenden Regelungen, in denen ein Einschluss nur für die Zeiten üblicher Nachtruhe von 22:00 Uhr bis 7:00 Uhr vorgesehen ist (vgl. etwa § 11 Abs. 2 AHaftVollzG NRW und § 2 Abs. 2 AHaftVO BW). Auf etwaige weitere Indizien und eine Gesamtabwägung unter Einbeziehung etwa auch der Qualifikation und der Einsatzorte des in der AHE Hof tätigen Personals - wozu das Landgericht keine Feststellungen getroffen hat - kommt es danach nicht mehr an.[...]