Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet wegen der Beseitigung des Reisepasses trotz Vorlage anderer Identitätspapiere:
1. Das Wegwerfen eines Reisepasses stellt eine mutwillige Beseitigung eines Identitätsdokuments im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG dar. Es kommt dabei nicht darauf an, ob dies die Feststellung der Identität tatsächlich verhindert, denn die Norm erfordert nur die abstrakte Eignung des beseitigten Dokuments zur Identitätsfeststellung. Die Notwendigkeit einer Kausalität zwischen Beseitigung des Dokuments und Verhinderung der Identitätsfeststellung lässt sich der Norm nicht entnehmen.
2. Ob die mutwillige Beseitigung neben dem Vorsatz auch ein Absichtselement enthalten muss, kann dahinstehen, da die Absicht, eine etwaige Abschiebung zu erschweren, vorlag.
(Leitsätze der Redaktion; siehe dazu mit anderer Ansicht: VG Aachen: Beschluss vom 26.04.2024 – 10 L 265/24.A – asyl.net: M32420 und VG Köln, Beschluss vom 19.04.2024 – 23 L 511/24.A – asyl.net: M32406)
[...]
Der am 3. Mai 2024 wörtlich gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage vom heutigen Tage gegen die Abschiebungsanordnung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23.04.2024 wird angeordnet, hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet. [...]
Die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO i.V.m. §§ 36 Abs. 3, 75 AsylG geht zu Lasten der Antragstellerin. [...]
Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens ist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) ausgesprochene Abschiebungsandrohung. Diese stützt sich auf die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet und ist deren Folge. [...]
Der Asylantrag ist auch offensichtlich unbegründet. Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG liegen vor.
Das Bundesamt hat das Offensichtlichkeitsurteil zu Recht getroffen und die Voraussetzungen liegen weiter vor. Dies ist hier erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren klären und nicht nur summarisch zu prüfen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. Februar 2019 – 2 BvR 1193/18 –, juris Rn. 21).
Nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte, mutwillig vernichtet oder beseitigt hat oder die Umstände offensichtlich diese Annahme rechtfertigen. [...]
Die Antragstellerin hat ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung ihrer Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte, mutwillig beseitigt, indem sie ausweislich ihrer eigenen Angaben im Rahmen ihrer Anhörung zur Zulässigkeit des Antrags ihren Reisepass aus Angst vor einer Abschiebung in den Iran weggeschmissen hat, nachdem sie in Deutschland am Flughafen angekommen ist. Bei ihrem Reisepass handelt es sich unzweifelhaft um ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung ihrer Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte. Dies hat sie durch "Wegschmeißen" beseitigt.
Dass die Antragstellerin beim Bundesamt ein mit einem Lichtbild versehenes Dokument abgegeben hat, das mit "Persönliches Identifikationsheft" der Nationalen Behörde für Personenstandswesen der Islamischen Republik Iran bezeichnet ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Es ist bereits zweifelhaft, ob dieses Dokument in gleicher Weise zur Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit der Antragstellerin geeignet ist wie der von ihr beseitigte Reisepass.
Es kommt aber auch nicht darauf an, ob die Beseitigung des Reisepasses die Identitäts- oder Staatsangehörigkeitsfeststellung verhindert hat (eine konkrete Kausalität fordernd aber VG Aachen, Beschluss vom 26. April 2024 - 10 L 265/24.A -, juris, Rn. 14; unklar VG Köln, Beschluss vom 19. April 2024 - 23 L 511/24.A -, juris, Rn. 7).
Vielmehr beinhaltet der Wortlaut der Norm lediglich die Erforderlichkeit der abstrakten Eignung des beseitigten Identitäts- oder Reisedokuments zur Feststellung der Identität oder Staatsangehörigkeit des betreffenden Ausländers. Die Norm bestimmt also eine abstrakte Eigenschaft des Dokuments und enthält keine Forderung nach einer konkreten Kausalität im Sinne einer Verhinderung der Identitäts- oder Staatsangehörigkeitsfeststellung im Einzelfall (im Ergebnis ebenso VG Frankfurt, Beschluss vom 21. März 2024 - 9 L 869/24.F.A-, juris, S. 14).
Dies ergibt zum einen der Vergleich zum abweichenden Wortlaut des § 30 Abs. 1 Nr. 3 Asyl, der das Erfordernis der konkreten Kausalität der Handlung ausdrücklich mit der Formulierung "durch … getäuscht hat" zum Ausdruck bringt (in Bezug auf die subjektive Komponente: VG Düsseldorf, Beschluss vom 26. April 2024 - 26 L 912/24.A -, juris, Rn. 19).
Zum anderen ergibt die unionsrechtliche Regelung, die hier umgesetzt werden sollte, keine Hinweise für ein Erfordernis der konkreten Kausalität. [...]
Die Vernichtung geschah auch "mutwillig" im Sinne des Gesetzes.
Da die Antragstellerin eingeräumt hat, den Reisepass zur Vermeidung einer Abschiebung beseitigt zu haben, war die Handlung vorsätzlich. Ob die Erfüllung eines über den Vorsatz hinausgehenden Absichtselements erforderlich ist (so VG Düsseldorf, Beschluss vom 26. April 2024 - 26 L 912/24.A -, juris, Rn. 16, wonach das Erfordernis eines Absichtselements aus dem Vergleich verschiedener Übersetzungen von Art. 31 Abs. 8 Buchstabe d) der Richtlinie 2013/32/EU abzuleiten sei, da eine Vernichtung bzw. Beseitigung der Passpapiere "in bad faith" oder "de mauvaise foi", also in böser Absicht vorgesehen sei), kann vorliegend dahingestellt bleiben, da die Antragstellerin darüber hinaus jedenfalls auch ein Absichtselement hatte, um die Durchführung des Asylverfahrens und/oder einer etwaigen Rückführung zu erschweren oder zu verzögern. [...]