Subsidiärer Schutz für Person aus dem Gazastreifen wegen bewaffneten Konflikts:
1. Dem Kläger droht bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG). Beim nördlichen Teil des Gazastreifens handelt es sich um ein Kriegsgebiet, auch wenn keine verlässlichen Zahlen zu verletzten und getöteten Zivilisten verfügbar sind (VG Hamburg, Urteil vom 14.11.2023, 14 A 3322/20 - milo.bamf.de).
2. Interner Schutz ist für staatenlose Palästinenser aus dem Gazastreifen nicht verfügbar, insbesondere auch nicht im Westjordanland, da in den Ausweisen bzw. Reisepässen dieser Personen ein Vermerk über die Herkunft enthalten ist und eine Ausreise ins Westjordanland durch israelische Behörden nicht gestattet wird (unter Bezug auf VG Sigmaringen, Urteil vom 07.03.2024 - A 5 K 1560/22 - asyl.net: M32253).
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Der Kläger ist staatenloser Palästinenser und begehrt internationalen Schutz.
Er stellte am 08.04.2020 einen Asylantrag. [...] Zuvor habe er bis ... 2019 im Gazastreifen in Khan Yunis gelebt. [...] Mit Bescheid vom 15.07.2022 [... lehnte das Bundesamt die Anträge auf Flüchtlingsschutz, Asyl und subsidiären Schutz ab [...].
Soweit der Kläger seine Klage hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft [...] zurückgenommen hat, war das Verfahren [...] einzustellen.
Die übrige Klage [...] ist zulässig und begründet. [...]
Gemessen an diesen Vorgaben liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus im Falle des Klägers jedenfalls auf der Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vor.
Es ist beachtlich wahrscheinlich, dass ihm nach der Rückkehr in das Herkunftsland als Zivilperson eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht. [...]
Das Verwaltungsgericht Hamburg hat zur Lage im Gaza-Streifen mit Urteil vom 14.11.2023 unter dem Aktenzeichen 14 A 3322/20 (juris) ausgeführt:
"Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 07.10.2023 wurde der Gazastreifen in den nachfolgenden Tagen und Wochen Ziel zahlreicher Luftangriffe der israelischen Verteidigungsstreitkräfte, denen schrittweise eine Bodenoffensive folgte. Derzeit finden insbesondere im nördlichen Teil des Gazastreifens massive militärische Auseinandersetzungen zwischen den israelischen Streitkräften und bewaffneten palästinensischen Gruppierungen statt. Täglich in den Medien übermittelte Bilder und Videoaufnahmen belegen, dass es in diesem Teil Gazas zu großflächigen Zerstörungen gekommen ist, die relevante Infrastruktur (Stromversorgung, Behausung, Kommunikation, Wasserversorgung, Krankenhäuser etc.) ist zerstört oder nachhaltig beschädigt. Es handelt sich, einfach ausgedrückt, um ein Kriegsgebiet. Bei diesen Kämpfen wurden zahlreiche Zivilisten getötet oder verletzt, auch wenn mangels Überprüfbarkeit der Angaben der Konfliktparteien derzeit keine verlässlichen Zahlen dazu verfügbar sind. Nach nicht überprüfbaren Angaben des von der Hamas kontrollierten Ministry of Health in Gaza sollen durch die aktuellen Kampfhandlungen bis zum 11.11.2023 über 11.000 Menschen getötet und über 27.000 Menschen verletzt worden sein (vgl. www.ochaopt.org/content/hostilities-gaza-strip-and-israel-reported-impact-day-39). Dies wären mehr Todesopfer als in dem von der OCHA erfassten Zeitraum 1. Januar 2008 bis 7. Oktober 2023; nach Angaben der OCHA gab es in diesem Zeitraum im Gazastreifen 5.365 Todesopfer und 62.998 Verletzte im Zusammenhang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt (vgl. www.ochaopt.org/data/casualties). Auch der südliche Teil des Gazastreifens war wiederholt Ziel von Luftschlägen der israelischen Streitkräfte. Eine Ausweitung der Kampfhandlungen auf den südlichen Teil des Gazastreifens, der sich aufgrund der Flucht zahlreicher Zivilisten aus dem Nordteil Gazas ohnehin in einer äußerst angespannten humanitären Lage befindet, kann jederzeit eintreten. Ein Ende der Kampfhandlungen ist nicht prognostizierbar. Insoweit handelt es sich um offenkundige (gerichtsbekannte) Tatsachen im Sinne des § 291 ZPO.
Die gegenwärtige Lage im Gazastreifen überschreitet die Schwelle des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Dies gilt auch dann, wenn die Angaben zu den Todesopfern und Verletzten durch das Ministry of Health in Gaza deutlich übertrieben sein sollten. Es liegt auf der Hand, dass die großflächigen Zerstörungen durch die zahlreichen Luftangriffe und die intensiven Kampfhandlungen am Boden eine (auch rechtlich) erhebliche Anzahl an Opfern in der Zivilbevölkerung gefordert haben, zumal angesichts der anhaltenden Kampfhandlungen von einem Anstieg der Opferzahlen auszugehen ist. Hinzu tritt der völlige Zusammenbruch der Infrastruktur sowie die konkrete Gefahr der Ausweitung der Kampfhandlungen in den südlichen Teil des Gazastreifens."
Diesen Ausführungen schließt sich der erkennende Berichterstatter an. Insbesondere hat sich die Lage im Gaza-Streifen, wie vom Verwaltungsgericht Hamburg ausgeführt, in den vergangenen Monaten trotz aller Dynamiken des Konflikts und internationaler Bemühungen nicht wesentlich verbessert (vgl. auch VG Sigmaringen, Urteil vom 07.03.2024 - A 5 K 1560/22 -, juris, m.w.N.).
Der Kläger kann nicht auf einen internen Schutz gemäß §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3e AsylG verwiesen werden. Ausweichmöglichkeiten oder internen Schutz kann der Kläger nicht - insbesondere auch nicht etwa im Westjordanland - in Anspruch nehmen. Staatenlosen Palästinensern aus dem Gaza-Streifen wird von der Palästinensischen Autonomiebehörde ein Ausweis bzw. Reisepass mit einer ID-Nummer (beginnend mit einer 4, 8 oder 9) ausgestellt, woraus auch ihre Herkunft aus dem Gaza-Streifen ablesbar bzw. ermittelbar ist. Damit können sie aber gerade nicht in das Westjordanland einreisen, dies würden die israelischen Behörden nicht gestatten (VG Sigmaringen, Urteil vom 07.03.2024 - A 5 K 1560/22 -, Rn. 45, juris). [...]