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VG München

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Zitieren als:
VG München, Urteil vom 13.03.2024 - M 31 K 23.32881 - asyl.net: M32644
https://www.asyl.net/rsdb/m32644
Leitsatz:

Kein Schutz wegen Bedrohung durch kriminelle Banden in Peru: 

1. Bei der Bedrohung durch eine Bande handelt es sich um kriminelles Unrecht, das keine Anknüpfung an die für die Flüchtlingseigenschaft maßgeblichen Merkmale erkennen lässt. 

2. In Peru ist keine Situation im Sinne des § 3c Nr. 2 AsylG zu erkennen, in der Parteien oder Organisationen den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen. Auch wenn die Sicherheitslage in Teilen des Landes als prekär und schwierig zu bezeichnen ist, ist nicht von einem flüchtlingsrechtlich maßgeblichen staatlichen Beherrschungsverlust auszugehen. 

3. Im Falle der Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure besteht in Peru grundsätzlich eine inländische Fluchtalternative.

4. Eine Abschiebungsandrohung gegen den Vater eines minderjährigen Kindes ist rechtswidrig, wenn über den Aufenthaltsstatus des minderjährigen Kindes noch nicht entschieden ist. Die Vater-Sohn-Beziehung ist aufrechtzuerhalten. Das Kindeswohl und die familiären Verbindungen zwischen dem minderjährigen Sohn, der nicht Kläger dieses Verfahrens ist und seinem Vater bzw. zwischen den Klägern als Eheleute und ihrer minderjährigen Tochter, der Halbschwester, stehen der Abschiebungsandrohung insgesamt entgegen. 

(Leitsätze der Redaktion) 

Schlagwörter: Rückkehrentscheidung, Kindeswohl, Rückführungsverbesserungsgesetz, interne Fluchtalternative, kriminelle Bande, Peru, kriminelles Unrecht, Kriminalität,
Normen: AsylG § 3c Nr. 2, AsylG § 3c Nr. 3, AsylG § 34 Abs. 1 Nr. 4
Auszüge:

[...]

Auch wenn die Sicherheitslage in Teilen des Landes als prekär und schwierig zu bezeichnen ist [...], erreicht diese aber nicht ein solches Niveau, dass davon auszugehen wäre, dass der peruanische Staat seine hoheitlichen, insbesondere exekutiven Eingriffsmöglichkeiten in einem so wesentlichen Umfang und Ausmaß verloren hätte, dass von einem flüchtlingsrechtlich maßgeblichen staatlichen Beherrschungsverlust auszugehen wäre. Die pauschale sinngemäße Behauptung, von der Polizei in Peru sei keine Hilfe zu erwarten sei, begründet auch nicht die nach § 3c Nr. 3 AsylG erforderliche Annahme, die in § 3c Nr. 1 und 2 AsylG genannten Akteure seien erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens, Schutz vor Verfolgung durch kriminelle Banden zu bieten. Anderes ergibt sich auch nicht aus den aktuellen Erkenntnismitteln, denen zufolge Drogenhandel, organisierte Kriminalität sowie Korruption auf allen politischen Ebenen einschließlich der Polizei in Peru zwar erheblich verbreitet und die Polizei dringend strukturell reformierungsbedürftig ist [...], aber jedenfalls nicht berichtet wird, dass Sicherheitsbehörden generell nichts willens oder unfähig seien, einen zumindest (gerade noch) ausreichenden Schutz der Bürger vor kriminellen Übergriffen zu garantieren. Vielmehr wird seit einigen Jahren in öffentlichkeitswirksamen Gerichtsverfahren auch gegen Korruption auf höchster politischer Ebene vorgegangen. Auch der Kampf gegen die organisierte Kriminalität wurde in den letzten Jahren verstärkt, u.a. auf Grundlage eines neuen Gesetzes vom 1. Juli 2014 [...].

Nach der Auskunftslage (s. oben) besteht im Falle der Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure in Peru die grundsätzliche Möglichkeit einer inländischen Fluchtalternative. [...]

3. Die Abschiebungsandrohung ist allerdings wegen Verstoßes gegen § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG n.F. rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.[...]

Vorliegend steht das Wohl des minderjährigen Sohnes des Klägers zu 2) sowie die familiären Bindungen zumindest des Klägers zu 2) mit diesem Sohn der Abschiebungsandrohung im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung entgegen. [...]

Auch wenn der 15-jährige Sohn des Klägers zu 2) selbst nicht Adressat der Rückkehrentscheidung ist, so genügt seine Betroffenheit von der gegenüber dem Vater ergangenen Rückkehrentscheidung. Der Schutz knüpft aber nicht an bloße formal-rechtliche familiäre Bindungen an. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, mithin eine tatsächlich bestehende familiäre Lebensgemeinschaft [...]. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu seinen Eltern und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen [...].

Auf die Aufrechterhaltung dieser Vater-Kind-Beziehung ist der Sohn des Klägers zu 2) zu seinem Wohl auch angewiesen, zumal sich die leibliche Mutter in Peru aufhält. Solange daher über den Aufenthaltsstatus des Sohnes noch nicht rechtskräftig entschieden ist, stehen das Kindeswohl und die familiären Verbindungen zwischen dem minderjährigen Sohn und dem Kläger zu 2) bzw. zwischen den Klägern zu 1) bis 3) als Eheleute mit ihrer minderjährigen Tochter, der Halbschwester von ..., insgesamt der Abschiebungsandrohung entgegen. [...]