Keine Ablehnung als unzulässig bei Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung:
1. Der Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG steht aller Voraussicht nach die ernsthafte Gefahr einer gegen Art. 4 GrCh verstoßenden, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in Italien entgegen. Bereits ein relativ kurzer Zeitraum extremer materieller Not ist ausreichend für einen Verstoß gegen Art. 4 GrCh.
2. Es besteht die ernsthafte Gefahr der (zumindest vorübergehenden) Obdachlosigkeit. Schutzberechtigte erhalten keinen Zugang zu den sog. Erstaufnahmeeinrichtungen und auch nicht zu den CAS-Zentren. Das SAI-System steht neben Schutzberechtigten (Flüchtlingsstatus oder subsidiärer Schutz) nur noch Asylbewerbern offen, die vulnerabel oder auf legalem Weg in Italien eingereist sind. Ein früherer Zugang zum SAI-System schließt den erneuten Zugang bei Rückkehr in der Regel aus. Es bestehen zudem ernstliche Zweifel an der ausreichenden Kapazität des SAI für zurückkehrende Schutzberechtigte. Angesichts einer annähernden Verdoppelung der Anlandungszahlen im Jahr 2023 kann nicht beachtlich wahrscheinlich davon ausgegangen werden, dass freie Plätze im SAI-System in ausreichendem Umfang vorhanden sind.
3. Die Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen ist nicht dazu geeignet, hinreichend dauerhaft einen Lebensstandard zu sichern, der den Erfordernissen des Art. 4 GrCh genügt, da die täglichen persönlichen Kapazitäten für die Deckung von Grundbedürfnissen verwendet werden müssen. Die tägliche Sicherung von Nahrung macht es obdachlosen Rückkehrenden unmöglich, eine Arbeitsstelle zu suchen.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Der Antrag ist auch begründet. [...]
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben überwiegt vorliegend das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des Bescheids verschont zu bleiben, das in den §§ 75, 29 Abs. 1 Nr. 2, 36 AsylG geregelte öffentliche Interesse daran, dass er die Bundesrepublik Deutschland schon vor einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache verlässt. [...]
Insbesondere bestehen durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der unter Ziffer 2 getroffenen Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, die als Grundlage für die Abschiebungsandrohung dient. [...]
Zwar haben die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16.09.2014 (Bl. 139 ff. des Verwaltungsvorgangs) die Antragsgegnerin im Zusammenhang mit einem Wiederaufnahmeersuchen den Antragsteller betreffend darüber informiert, dass diesem in Italien der subsidiäre Schutz gewährt worden sei. Ob angesichts des erheblichen Zeitablaufs von mehr als zehn Jahren auf die vorliegende Mitteilung der italienischen Behörden seitens der Antragsgegnerin noch vertraut werden dürfe oder nicht vielmehr ein erneutes bzw. aktualisiertes Wiederaufnahmegesuch gestellt werden müsste, brauchte vorliegend nicht entschieden zu werden, denn die hier getroffene Unzulässigkeitsentscheidung dürfte sich bereits aus den nachfolgenden Gründen als unionsrechtswidrig erweisen. Der Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG steht aller Voraussicht nach Art. 4 der Grundrechtecharta (GrCh) i.V.m. Art. 3 EMRK entgegen, denn dem Antragsteller droht bei einer Rücküberstellung die ernsthafte Gefahr, eine gegen Art. 4 GrCh verstoßende, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in Italien zu erfahren. [...]
Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller bei einer Abschiebung nach Italien ernsthaft Gefahr liefe, (zumindest vorübergehend) ohne Obdach zu sein. [...]
Schutzberechtigte – wie die Antragstellerseite – erhalten allerdings in aller Regel keinen Zugang zu den sog. Erstaufnahmeeinrichtungen und auch nicht zu den CAS-Zentren [...].
Das SAI-System steht neben Schutzberechtigten (Flüchtlingsstatus oder subsidiärer Schutz) nur noch Asylbewerbern offen, die vulnerabel oder auf legalem Weg in Italien eingereist sind [...].
Der Antragsteller wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit trotz des erlangten Schutzstatus keinen (zeitnahen) Zugang zum SAI-System erhalten. Denn wenn eine Person früher Zugang zu einem SAI-Projekt (oder einem Vorgängersystem) erhalten hatte und später nach Italien zurückkehrt, erhält sie grundsätzlich keinen Zugang mehr zu SAI. Ausnahmsweise kann man beim Innenministerium einen Antrag, insbesondere aufgrund von neuen Vulnerabilitäten, stellen [...]. Unabhängig davon, dass vorliegend keine Erkenntnisse darüber vorliegen, ob der Antragsteller bereits Zugang zum SAI-System hatte, wäre ein (erstmaliger) Zugang bei einer jetzigen Rückkehr sehr unwahrscheinlich. Der Antragsteller befand sich zuletzt vor über zehn Jahren in Italien und gab an, nach drei Monaten aus einer Flüchtlingsunterkunft wegen Überfüllung "rausgeschmissen" worden zu sein. [...]
Daneben bestehen aber auch ernstliche Zweifel an der hinreichenden Kapazität des SAI für zurückkehrende Schutzberechtigte. [...] Angesichts einer annähernden Verdoppelung der Anlandungszahlen im Jahr 2023 kann nicht beachtlich wahrscheinlich davon ausgegangen werden, dass freie Plätze im SAI-System in hinreichendem Umfang vorhanden sind. Es ist nicht ersichtlich, dass die Zahlen der Aufnahmeplätze im gleichen Tempo bzw. Verhältnis wie die Anlandungszahlen erhöht worden wären. [...]
Der Antragsteller kann auch nicht auf das Angebot an Unterbringungs- und Unterstützungsmöglichkeiten von Nichtregierungsorganisationen, Freiwilligenorganisationen und Kirchen verwiesen werden. Insoweit ist nicht hinreichend dauerhaft die Sicherung der elementarsten Bedürfnisse gewährleistet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bereits ein relativ kurzer Zeitraum, während dessen sich eine Person in einer Situation extremer materieller Not befindet, ausreichen kann, um einen Verstoß gegen Art. 4 GrCh zu begründen [...]. Eine derartige Unterbringung ist in der Regel auch nur zeitweilig bzw. für einige Tage möglich. Neben der Rotation müssen die Bewohner in der Zeit ihres Aufenthaltes die Zentren tagsüber verlassen und haben keine Möglichkeit, ein geregeltes Leben zu führen und sich hinreichend dauerhaft einen Lebensstandard zu sichern, der den Erfordernissen des Art. 4 GrCh genügt. Ein Großteil des Tages muss für die Deckung der Grundbedürfnisse, z. B. in die Nahrungsfindung, investiert werden, was es den Geflüchteten unter anderem unmöglich macht, sich eine Arbeit zu suchen [...]. Erschwerend kommt im Fall des Antragstellers hinzu, dass er an gesundheitlichen Einschränkungen leidet. [...]
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Gegebenheiten in Italien sowie der persönlichen Umstände des Antragstellers geht das Gericht davon aus, dass dem Antragsteller im Falle seiner Rückkehr eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 4 GrCh bzw. Art. 3 EMRK mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Denn es ist derzeit nicht sichergestellt, dass bei einer Rückkehr des Antragstellers nach Italien verfügbarer und erreichbarer Wohnraum zur Verfügung stünde, der eine Obdachlosigkeit, die auch nicht vorübergehend hinnehmbar ist, verhindern könnte. [...]