Nachholung eines Visumsvefahrens auch bei Trennung vom Kind zumutbar:
"Eine mit der Nachholung des Visumverfahrens verbundene längere Trennung von einem knapp zehnjährigen Kind kann zumutbar im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 AufenthG sein, wenn der ausländische Elternteil seine Möglichkeit nicht wahrnimmt, die prognostizierte Trennungszeit erheblich zu reduzieren, indem er sich für einen Termin zur Antragstellung bei der zuständigen Auslandsvertretung bereits vom Bundesgebiet aus online registriert, womit er eine für diesen Fall von der Ausländerbehörde zugesicherte Duldung bis kurz vor dem Termin bei der Auslandsvertretung erreichen könnte."
(Amtliche Leitsätze)
[...]
(2) Auch unter Berücksichtigung der geschilderten Ausgestaltung der Vater-Kind-Beziehungen erweist sich eine Nachholung des Visumverfahrens vorliegend als zumutbar.
(a) Die Nachholung des Visumverfahrens führt zu keiner dauerhaften Trennung. Insbesondere steht es nicht ernsthaft zu befürchten, dass dem Antragsteller ein nationales Visum (§ 6 Abs. 3 AufenthG) nicht erteilt würde. Denn grundsätzlich besteht die Möglichkeit eines Familiennachzugs nach §§ 27 ff. AufenthG. Vorliegend kommt ein Aufenthaltstitel nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG in Betracht. Mit der Nachholung des Visumverfahrens dürfte nach bisherigem Sachstand auch das vom Verwaltungsgericht angenommene Ausweisungsinteresse im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG mehr bestehen bzw. wäre von einem atypischen Fall auszugehen oder zumindest davon, dass eine Ausübung des nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eingeräumten Ermessens nicht zu Lasten des Antragstellers begründet werden könnte, wenn dies zu einer dauerhaften Trennung von dessen Sohn führen würde [...]. Auch der Antragsteller geht davon aus, dass "auf den den ersten Blick die Bedingungen für eine Visumserteilung […] dem Grunde nach gegeben zu sein scheinen". Soweit er ungeachtet dessen einwendet, die Deutsche Botschaft in Ghana treffe eine eigenständige Entscheidung und ihm seien Fälle bekannt, in denen die vorgenannte Botschaft Visumsanträge abgelehnt habe, rechtfertigt dies keine andere Bewertung. Richtig ist zwar, dass die Auslandsvertretung die Erteilung des beantragten Visums mit eigenständigen Erwägungen zu den aufenthaltsrechtlichen Maßstäben in eigener Zuständigkeit nach § 71 Abs. 2 AufenthG ablehnen kann [...]. Konkrete Anhaltspunkte, die eine verminderte Wahrscheinlichkeit dafür nahelegen, dass die Auslandsvertretung in Ghana die Erteilungsvoraussetzungen nicht bejahen oder aber von ihrem Ermessensspielraum nicht zugunsten des Antragstellers Gebrauch machen würde, sind aber weder substantiiert vorgetragen noch mit Blick auf den durch Art. 6 und Art. 8 EMRK vermittelten Schutz der Familie erkennbar. Der Antragsteller hätte im Übrigen die Möglichkeit, um effektiven Rechtsschutz durch eine einstweilige Anordnung des insoweit zuständigen Verwaltungsgerichts Berlin nachzusuchen [...].
Gegen den Antragsteller wurde bisher auch kein Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen, welches sich auf die Trennungszeit auswirken würde und die Zumutbarkeitsschwelle für den Antragsteller und seinen Sohn verschieben würde [...].
(b) Das Beschwerdegericht geht prognostisch davon aus, dass das Visumverfahren des Antragstellers - ab Antragstellung im Herkunftsland - weniger als sechs Monate dauern würde. Ausweislich der vorgenannten Homepage der Deutschen Botschaft in Ghana beträgt die Bearbeitungsdauer "mehrere Monate". Das Auswärtige Amt hat mit Auskunft vom 6. Januar 2025 mitgeteilt:
"In der Regel dauert das Visumverfahren bei Vorlage vollständiger Antragsunterlagen ab Vorsprache zum Termin ohne Vorabzustimmung drei Monate und hängt insbesondere von der Stellungnahme der Ausländerbehörde und der Mitwirkung der Antragsteller*innen ab. Die Bearbeitungszeit liegt in vielen Fällen in den Händen der Antragsteller*innen, da alleine Nachreichungen sich über mehrere Wochen hinziehen können und die einschlägigen Merkblätter über die Antragstellung nicht beachtet werden. Der/die Antragsteller*in sollte also unbedingt vorab alle Unterlagen beschaffen und diese vollständig bei der Visumbeantragung einreichen. Auch die Einholung einer Vorabzustimmung reduziert grundsätzlich die Dauer des Visumverfahrens, da die Ausländerbehörde dann nicht erneut zwecks Zustimmung beteiligt werden muss."
Die tatsächliche Dauer des Visumverfahrens, einschließlich einer durchzuführenden Urkundenüberprüfung, hängt - worauf die Auslandsvertretung hinweist - entscheidend von der Mitwirkung des Ausländers ab. Eine fehlende Mitwirkung kann daher nicht nur längere Wartezeiten rechtfertigen, sondern auch die Erkenntnisfähigkeit von Behörden und Gerichten überfordern, bei der Prognose über die Dauer des Visumverfahrens und der damit verbundenen Trennung des Ausländers von seinem in Deutschland aufenthaltsberechtigten Kind eine präzise Vorstellung davon zu entwickeln, mit welcher Trennungszeit tatsächlich im Falle der Duldungsversagung zu rechnen wäre, wenn der Ausländer nicht das in seiner Sphäre Liegende beiträgt, um das Verfahren zu betreiben und zu einem zeitnahen Abschluss zu bringen [...].
Dass im Fall des Antragstellers eine Urkundenüberprüfung durchzuführen wäre, die zu einer längeren Bearbeitungsdauer als sechs Monate führt, trägt der Antragsteller nicht substantiiert vor und ist auch ansonsten nicht ersichtlich. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass ein zeitaufwändiges Urkundenüberprüfungsverfahren aller Voraussicht nach nicht notwendig sein werde, da die Urkunden sämtlich in Deutschland ausgestellt wurden und damit keinen Zweifeln unterliegen dürften [...]. Soweit sich der Antragsteller [...] allgemein darauf beruft, dass die Erfahrung zeige, dass die Deutsche Botschaft - wie die Auslandsvertretungen generell - häufig Nachforschungen bzw. Aufklärungen zu personenbezogenen Daten anforderten, lässt dies nicht konkret darauf schließen, dass in seinem Fall bestimmte Urkunden über seine Identität zeitaufwändig überprüft werden müssten, zumal dem Antragsteller im Jahr 2022 in Berlin ein Nationalpass ausgestellt wurde. Im Übrigen könnte der Antragsteller die Antragsgegnerin schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt um Einschätzung bitten, ob die für die Klärung seiner Identität von der Auslandsvertretung benötigten Urkunden, wie beispielsweise sein von der Antragsgegnerin ohnehin einbehaltener Nationalpass, voraussichtlich einer Überprüfung bedürfen. Im Zweifel könnte eine solche noch vor der Beantragung des Visums - während der von der Antragsgegnerin angebotenen Duldung bis kurz vor einem vom Antragsteller zu buchenden Termin bei der Deutschen Botschaft in Ghana - in Amtshilfe erfolgen, so dass das Ergebnis direkt verwendet werden könnte [...].
Zu dieser Dauer des Visumverfahrens ab Antragstellung im Herkunftsland des Antragstellers ist die Wartezeit auf einen nach der Praxis der Auslandsvertretung für die Antragstellung erforderlichen Termin hinzuzurechnen. Wie ausgeführt, beträgt die Wartezeit für einen Termin bei der Deutschen Botschaft in Ghana für die Beantragung eines Visums zum Familiennachzug derzeit etwa ein Jahr, so dass der Antragsteller im Fall der Duldungsversagung mit einer Trennungszeit von insgesamt etwa 15 bis 18 Monaten zu rechnen hätte.
Der Umstand, dass der Antragsteller nach Aktenlage von der zumutbaren Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, sich bereits vom Bundesgebiet aus, online auf der Warteliste für die Terminvergabe zur Beantragung eines Visums für Familienzusammenführung zu registrieren, rechtfertigt keine abweichende Prognose. Zwar würde er kurz nach einer erfolgreichen Registrierung eine Bestätigungsmail des Terminvergabesystems des Auswärtigen Amts zu seiner Buchung erhalten [...], die ihn wiederum in die Lage versetzen würde, mit der Antragsgegnerin zu vereinbaren, dass er bis kurz vor dem tatsächlichen Termin, welcher ihm ausweislich der vorgenannten Homepage aktuell ca. sechs Wochen vorher übersandt würde, geduldet wird. Insoweit hat die Antragsgegnerin im Rahmen ihres Schriftsatzes vom 27. Juli 2025 zugesichert, den Antragsteller bis zur Ausreise zu dulden, sofern er nachweislich einen Termin bei der deutschen Botschaft gebucht habe. Auch wenn es der Antragsteller damit in der Hand hat, die Trennungszeit auf die Dauer des Visumverfahrens ab Antragstellung im Herkunftsland - mithin voraussichtlich auf höchstens sechs Monate - zu reduzieren, ist bei einer gültigen Prognose darüber, mit welcher Trennungszeit der Antragsteller voraussichtlich tatsächlich zu rechnen hätte, auf den Fall der Duldungsversagung abzustellen. Der in Rede stehende Umstand wirkt sich allerdings in der Abwägungsentscheidung (dazu unter (c)) zu Lasten des Antragstellers aus [...].
(c) Die so prognostizierte Trennungszeit ist im vorliegenden Einzelfall nicht unzumutbar. Bei der im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung erforderlichen Güterabwägung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit [...] überwiegt das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Visumverfahrens gegenüber dem Interesse des Antragstellers und dessen Sohn an einem weiteren ununterbrochenen Verbleib (des Antragstellers) im Bundesgebiet.
Den dargestellten verfassungs- und konventionsrechtlichen Schutzgütern auf Seiten des Antragstellers und dessen Sohn steht das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Visumverfahrens gegenüber. Das in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vorgeschriebene Visumverfahren dient dem Zweck, die Zuwanderung nach Deutschland wirksam steuern und begrenzen zu können. Ausgehend von diesem Zweck sind Ausnahmen von der Visumpflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG prinzipiell eng auszulegen. Das bedeutet für die Auslegung des Ausnahmetatbestands des Vorliegens eines gesetzlichen Anspruchs auf Erteilung der angestrebten Aufenthaltserlaubnis, dass sich ein solcher aus der typisierten gesetzlichen Regelung ergeben muss und Ausnahmetatbestände insoweit unberücksichtigt bleiben müssen. § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG wirkt auf diese Weise generalpräventiv dem Anreiz entgegen, nach illegaler Einreise Bleibegründe zu schaffen mit der Folge, dieses Verhalten mit einem Verzicht auf das vom Ausland durchzuführende Visumverfahren zu honorieren. Die bewusste Umgehung des Visumverfahrens darf grundsätzlich nicht folgenlos bleiben, um dieses wichtige Steuerungsinstrument der Zuwanderung nicht zu entwerten [...].
Bei der konkreten Abwägung der gegenüberstehenden Interessen wirkt es sich entscheidend zu Lasten des Antragstellers aus, dass er es nicht nur unterlassen hat, sich spätestens auf die ablehnende Verfügung der Antragsgegnerin vom 14. August 2024 wenigstens vorsorglich für einen Termin bei der Deutschen Botschaft in Ghana zur Beantragung des erforderlichen Visums zu registrieren, sondern mit Schriftsatz vom 12. Februar 2025 die ihm seitens der Antragsgegnerin eröffnete Möglichkeit abgelehnt hat, die Trennungszeit auf die Dauer des Visumverfahrens ab Antragstellung im Herkunftsland - mithin auf voraussichtlich höchstens sechs Monate - zu reduzieren (dazu auch unter (b)). Ein solcher Trennungszeitraum wäre - insbesondere auch aus Sicht seines Sohnes - zweifellos zumutbar. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sein Sohn mittlerweile knapp zehn Jahre alt ist und daher davon auszugehen ist, dass er den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung begreifen kann und mit dem Antragsteller über Telefon und Internet in Kontakt halten kann. Wenn die durch die Nachholung des Visumverfahrens einhergehende Trennung des Antragstellers von seinem Sohn nunmehr (ohne entsprechende Mitwirkung) einen längeren Zeitraum beansprucht als wenn der Antragsteller mitgewirkt hätte, so beruht dies (und eine dadurch etwaig eintretende bzw. stärkere Beeinträchtigung des Kindeswohls) vorliegend auf der eigenverantwortlichen Entscheidung des Antragstellers, zumutbare Mitwirkungshandlungen nicht zu erfüllen. Dies kann den Antragsteller jedoch nicht dergestalt privilegieren, einen Aufenthaltstitel ohne Durchführung des erforderlichen Visumverfahrens zu erhalten [...]. Da sich der Antragsteller jeglicher Bereitschaft und Mitwirkung verweigert, ein Visumverfahren nachzuholen (und sei es nur, sich für einen Termin zu registrieren, um eine Duldung bis kurz vor dem Termin des dann nur noch höchstens sechs Monate dauernden Visumverfahrens zu erlangen), führt dies im vorliegenden Fall dazu, dass die dadurch begründete längere Trennungszeit zumutbar ist.
Soweit der Antragsteller im Rahmen der Beschwerdebegründung - entgegen den von ihm mit Schriftsatz vom 12. Februar 2025 geltend gemachten Unsicherheiten in Bezug auf die tatsächliche Erteilung des erforderlichen Visums (dazu unter (a)) - auf die Bewertung des Verwaltungsgerichts verweist, er habe "bestmögliche Voraussetzungen" für die Erteilung des erforderlichen Visums, und dazu ausführt, dass die so prognostizierte Rechtsposition bei der Beurteilung nicht unberücksichtigt bleiben könne, ob besondere Umstände des Einzelfalls es als nicht (mehr) zumutbar erscheinen ließen, das Visumverfahren nachzuholen, folgt hieraus nicht, dass das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Visumverfahrens im vorliegenden Fall nur ein so geringes Gewicht hätte, dass deshalb das Interesse des Antragstellers und seines Sohnes überwiegt. Anders als der Antragsteller sinngemäß vorträgt, ist die Nachholung des Visumverfahrens im vorliegenden Fall keine bloße "Förmelei". Zum einen ist diesbezüglich zu berücksichtigen, dass der Antragsteller das Visumverfahren offensichtlich bewusst umgangen hat. Es besteht damit ein beachtlicher öffentlicher Belang, dem Eindruck bei anderen Ausländern entgegenzuwirken, man könne durch eine Einreise stets vollendete Tatsachen schaffen. Zum anderen ist nicht bereits in der jetzigen Lage vom einem strikten Rechtsanspruch des Antragstellers auszugehen [...]. Insoweit hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf abgestellt, dass einem solchen § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegensteht, wonach die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraussetzt, dass kein Ausweisungsinteresse besteht. Der Antragsteller ist unerlaubt nach Deutschland eingereist und hat sich spätestens seit Mai 2022 unerlaubt im Bundesgebiet aufgehalten. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, stellt bereits die unerlaubte Einreise einen nicht bloß geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften dar. Wegen des anschließenden - nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG strafbaren - unerlaubten Aufenthalts ist der Antragstellers zudem zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt worden. Damit hat der Antragsteller ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG begründet. [...]