BlueSky

VG Frankfurt a.M.

Merkliste
Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 11.04.2025 - 2 K 1372/23.F - asyl.net: M33246
https://www.asyl.net/rsdb/m33246
Leitsatz:

Reiseausweis für staatenlosen Bidun aus Kuwait: 

1. Bidun (kurz für „Bidoon jinsiya“, was auf Arabisch „ohne Nationalität/Staatsbürgerschaft“ bedeutet; teils auch Bidoun, Bidoon, Bedoon oder Bedun geschrieben) sind eine staatenlose arabische Minderheit in Kuwait, die zur Zeit der Unabhängigkeit des Landes am 19. Juli 1961 oder kurz danach nicht als Staatsbürger Kuwaits aufgenommen wurden. Nachregistrierungen für die kuwaitische Staatsbürgerschaft sind seit dem Jahr 2000 nur noch in Ausnahmefällen möglich.

2. Passersatzpapiere, Geburtsurkunden oder andere Personenstandsdokumente von staatenlosen Bidun sind weder über die kuwaitische Botschaft noch über Vertrauensanwält*innen zu beschaffen. 

(Leitsätze der Redaktion) 

Schlagwörter: Kuwait, Bidun, Staatenlosigkeit, Reiseausweis für Staatenlose, Reiseausweis für Ausländer,
Normen: StlÜbk Art. 28 S. 1, AufenthV § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, AufenthV § 1 Abs. 4
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat einen Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose gemäß Art. 28 Satz 1 des Übereinkommens vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen (StlÜbk) i.V.m. §§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 1 Abs. 4 AufenthV. [...]

Bidun (kurz für "Bidoon jinsiya", was auf Arabisch "ohne Nationalität/Staatsbürgerschaft" bedeutet; teils auch Bidoun, Bidoon, Bedoon oder Bedun geschrieben) sind eine staatenlose arabische Minderheit in Kuwait, die zur Zeit der Unabhängigkeit des Landes am 19. Juli 1961 oder kurz danach nicht als Staatsbürger aufgenommen wurden [...]. Nach der Verabschiedung des Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1959 versuchten die kuwaitischen Behörden, alle Einwohner Kuwaits zu registrieren und die für die Staatsangehörigkeit Berechtigten zu ermitteln. Viele Beduinen haben jedoch entweder nichts über die Nationalstaatsbewegung erfahren oder es versäumt, ihre Ansprüche registrieren zu lassen. Einige konnten weder lesen noch schreiben, und diejenigen, die keine schriftlichen Aufzeichnungen führten, hatten besondere Schwierigkeiten nachzuweisen, dass sie die gesetzlichen Anforderungen gemäß dem neuen Staatsangehörigenrecht erfüllten [...]. Gemäß Art. 1 des Nationalitätsgesetzes von 1959 musste schriftlich belegt werden, dass die Familie ihren festen Wohnsitz auf kuwaitischem Gebiet vor 1920 kontinuierlich innehatte [...]. Bei anderen Beduinen wiederum spielten stammespolitische Gründe eine Rolle, dass sie nicht als kuwaitische Staatsangehörige anerkannt wurden [...].

Zivile ID-Karten (bzw. ID-Cards) werden nur für kuwaitische Staatsbürger und legal dort lebende ausländische Einwohner ausgestellt, also nicht für Bidun, die in Kuwait als illegale Einwohner gelten [...]. Das entscheidende Dokument, das Bidun zur Identifizierung dient, sie als registrierte Bidun ausweist, ihnen als illegale Einwohner einen Sonderstatus einräumt und gewisse Rechte verschafft, ist die reference card/review card (arab.: bitaqat muraja’a). Wer sich beim Executive Committee zwischen 1996 und 2000 als Bidun registrieren ließ und sich damit automatisch auch für die Einbürgerung bewarb, erhielt eine reference card. Die Karten heißen seit 2000 security card (arab.: hawiya amniya), wobei die Informationen zur Bezeichnung der Karte widersprüchlich sind. Es scheint, als wäre reference card die offizielle Bezeichnung und green card eine informelle Bezeichnung für die von 1996 bis 2000 ausgestellten, security card eine informelle Bezeichnung für die ab 2000 ausgestellten Karten [...]. Hierbei ist davon auszugehen, dass Bidun, die sich zwischen 1996 und 2000 nicht haben registrieren lassen und somit keine "Sicherheitskarten" erhalten haben, undokumentierte bzw. unregistrierte Bidun sind [...]. Seit dem Jahr 2000 ist keine neue Registrierung mehr möglich, Ausnahmefälle hiervon können bei guten gesellschaftlichen Beziehungen (arab.: wasta) oder dem Einsatz großer finanzieller Mittel vorkommen [...]. Verlängerungen
der nur befristet gültigen "security cards" werden nur unter Vorlage der vorhergehenden Karten und von Dokumenten, die die Registrierung der Bidun bzw. ihrer Vorfahren in der Volkszählung von 1965 bzw. ihren Aufenthalt in Kuwait vor dieser Zeit beweisen, vorgenommen [...].

Der Kläger hat hinreichend nachgewiesen, dass er der Sohn von ist, der ausweislich der vorliegenden Dokumente nicht die kuwaitische Staatsangehörigkeit besitzt. Da die kuwaitische Staatsangehörigkeit nur patrilinear über den Vater weitergegeben werden kann (vgl. Auszug aus der elektronischen Bibliothek für Standesämter [...], ist davon auszugehen, dass auch der Kläger die kuwaitische Staatsangehörigkeit nicht besitzt. [...]

Unschädlich ist dabei, dass die Echtheit der Geburtsurkunde des Klägers nicht beweisbar ist. Die Echtheit dieser Geburtsurkunde ist laut Aussage des BAMF urkundentechnisch kaum bis gar nicht überprüfbar, da es sich um handschriftliche Unterlagen ohne Sicherheitsmerkmale handelt, so dass im Hinblick auf die gegebene Beweisnot des Betroffenen an den Nachweis der Staatenlosigkeit keine überspannten Anforderungen zu stellen sind [...]. Auch die seitens des Bevollmächtigten des Klägers beauftragte Vertrauensanwältin der Deutschen Botschaft bestätigt in ihrer Auskunft vom 19. März 2023 [...], dass es nach ihrer Erfahrung nicht möglich sei, anhand der Registrierungsnummer auf der kuwaitischen Geburtsurkunde des Klägers eine Auskunft über den Status der Person zu erhalten. In dieser Art von Fällen würden die kuwaitischen Behörden jegliche Kooperation verweigern, so dass auch sie als Rechtsanwältin keine Auskunft erhalte. Aufgrund der durch seine Gesundheitskarte und die Lebensmittelkarte der Familie ansonsten lückenlos geführten Beweiskette bzgl. der Abstammung des Klägers ist trotz der nicht überprüfbaren Echtheit der Geburtsurkunde des Klägers von dessen Staatenlosigkeit auszugehen. Schließlich spricht auch schon allein die im Original vorliegende Gesundheitskarte des Klägers, bei der im Feld "Nationalität" keine Eintragung erfolgt ist, für dessen Staatenlosigkeit. [...]

Hinsichtlich der Verpflichtung des Klägers, seine Nachregistrierung in Kuwait zu betreiben, ist nicht ersichtlich, welche weiteren Schritte der Kläger sinnvoller und zumutbarer Weise noch zu deren Erlangung bzw. Nachweisung unternehmen könnte. Auch der Beklagte hat nicht hinreichend dargelegt, welche erfolgversprechende Mitwirkungshandlung der Kläger insoweit noch schuldet. Bei einer Vielzahl der Termine zur Verlängerung der Duldung legte der Kläger dem Beklagten zwar keine Nachweise bezüglich seiner Passbeschaffungsbemühungen vor. Dies beruht jedoch nicht auf einer Verletzung seiner ihm insoweit zukommenden Mitwirkungspflicht, sondern vielmehr auf der mangelnden Kooperation der kuwaitischen Behörden und Auslandsvertretungen bzgl. der Ausstellung von Identifikationsdokumenten für Bidun.

Der Kläger hat einen Passersatzantrag bei einer Vorsprache beim kuwaitischen Konsulat gestellt und die für seine Identifikation erforderlichen Unterlagen eingereicht. Mehrere Anrufe des Bevollmächtigten des Klägers um den Verfahrensstand des Passersatzantrags zu erfahren, blieben erfolglos. Auf eine E-Mail des Bevollmächtigten des Klägers an die kuwaitische Botschaft antwortete der dortige Mitarbeiter Herr ..., dass die Botschaft keine Dokumente ausstelle, wenn kein Reisepass vorliegt. Stattdessen müsse der Kläger eine Person in Kuwait bevollmächtigten, damit diese zur zuständigen Behörde für Bidun (Staatenlose) geht und dort die Identität bestätigt. Die Beglaubigung der daraufhin erstellten Vollmacht wurde jedoch durch das kuwaitische Konsulat verweigert. Die Botschaft teilte daraufhin dem Bevollmächtigten des Klägers mit, die Vollmacht sei zu weit gefasst. Der Kläger ließ die Vollmacht daraufhin für ein Identitätsdokument aus Kuwait wie von der Botschaft gefordert auf die Geburtsurkunde beschränken, anschließend notariell beglaubigen und vom Landgericht Hanau legalisieren und sandte sie am 9. März 2022 an die kuwaitische Botschaft. Diese verweigerte jedoch die Legalisierung und die Übersendung der Unterlagen an das kuwaitische Innenministerium. Dem Bevollmächtigten wurde mitgeteilt, dass sich das Verfahren erneut geändert habe. Auch die vom Beklagten aufgezeigte Möglichkeit eine Geburtsurkunde und eine ID-Card mithilfe eines in Kuwait ansässigen Rechtsanwalts zu erlangen, blieb erfolglos. Von vier beauftragten Vertrauensanwälten in Kuwait reagierten drei nicht. Eine beauftragte Rechtsanwältin gab die Rückmeldung, dass es nach ihrer Erfahrung nicht möglich sei, anhand der Registrierungsnummer auf der kuwaitischen Geburtsurkunde eine Auskunft zum Status der Person zu erhalten. Eine behördliche Bestätigung über den Status des Klägers könne man ebenfalls nicht bekommen. Auch gebe es kein einsehbares Register von Personen, die die kuwaitische Staatsbürgerschaft beantragt haben. Auch sie als Rechtsanwältin würde keine Auskünfte erhalten. [...]