Verstoß gegen rechtliches Gehör, wenn Akten nicht vollständig zur Kenntnis genommen werden:
Das über einen Haftantrag entscheidende Amtsgericht ist nicht von Amts wegen verpflichtet, zu prüfen, ob Betroffene in einem vorangegangenen Verfahren eine*n Verfahrensbevollmächtigte*n hatten. Ergibt sich allerdings aus den Akten, dass Betroffene in dem Verfahren, aufgrund dessen sie inhaftiert sind, eine anwaltlich vertreten waren, besteht die Pflicht zur Aufklärung auch in dem aktuellen Haftanordnungsverfahren, ob die anwaltliche Vertretung weiterhin besteht. Unterbleibt die Anfrage zur anwaltlichen Vertretung, obwohl sie sich aus den Akten ergibt, ist das Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
1. Die Rechtsbeschwerde, die sich insoweit gegen den Beschluss des Beschwerdegerichts wendet, als damit die Beschwerde gegen den Beschluss des für den Haftort zuständigen Amtsgerichts vom 7. Oktober 2021 zurückgewiesen wurde, ist begründet. Sie rügt zu Recht (§ 71 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b, § 74 Abs. 3 Satz 3 und 4 FamFG i.V.m. § 559 ZPO), dass das Landgericht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, § 26 FamFG den Akteninhalt nicht vollständig zur Kenntnis genommen hat. Es hat übergangen, dass die Haftrichterin des für den Haftort zuständigen Amtsgerichts ausweislich ihrer Verfügung vom 27. September 2021 [...] wusste, dass der Betroffene im Beschwerdeverfahren gegen die einstweilige Anordnung des für den Aufgriffsort zuständigen Amtsgerichts anwaltlich vertreten war. Hätte das Landgericht diesen Umstand in seine Betrachtung einbezogen, hätte es einen Verstoß des Amtsgerichts gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens bejahen müssen [...]. Denn zwar handelt es sich bei dem einstweiligen Anordnungsverfahren nach § 427 FamFG und dem Hauptsacheverfahren über die Haftanordnung nach § 417 FamFG um jeweils eigenständige Verfahren, so dass aus der Bestellung eines Verfahrensbevollmächtigten im einen Verfahren nicht zwingend eine Bestellung auch für das andere Verfahren folgt. Das über einen Antrag auf Anordnung der Sicherungshaft entscheidende Amtsgericht ist auch nicht verpflichtet, von Amts wegen zu prüfen, ob sich in einem vorangegangenen Verfahren für den Betroffenen ein Verfahrensbevollmächtigter bestellt hat. Wenn dem Haftgericht aber bekannt ist, dass der Betroffene in dem Verfahren, aufgrund dessen er sich bereits in Haft befindet, durch einen Rechtsanwalt vertreten wurde, muss es den Betroffenen fragen, ob dieser ihn auch in dem aktuellen Haftanordnungsverfahren vertreten soll, und, wenn die Frage bejaht wird, dem Rechtsanwalt eine Teilnahme an der persönlichen Anhörung des Betroffenen ermöglichen [...]. Das ist hier unterblieben. [...]