EuGH-Generalanwältin zum Schutzstatus bei Verweigerung von völkerrechtswidrigem Militärdienst

Die EuGH-Generalanwältin Eleanor Sharpston hat eine Stellungnahme zu der Frage vorgelegt, wann die Entziehung vom Wehrdienst im Herkunftsland eines Asylsuchenden den Flüchtlingsstatus begründen kann. Vor dem Hintergrund, dass diese Frage besonders in Asylverfahren syrischer Asylsuchender häufig eine entscheidende Rolle spielt, hatte das VG Hannover dem EuGH im März 2019 Fragen zu dieser Thematik vorgelegt.

Ende Mai veröffentlichte die Generalanwältin beim EuGH, Eleanor Sharpston, ihre Schlussanträge im EuGH-Verfahren C-238/19 - EZ gegen Deutschland. Dabei handelt es sich um ein Vorabentscheidungsverfahren, welches auf der Grundlage eines Ersuchens des VG Hannover vom März 2019 eingeleitet worden war (asyl.net: M27109).

Bei der Vorlage des VG geht es um die Frage, unter welchen Umständen eine wegen Wehrdienstentziehung drohende Verfolgung die Kriterien erfüllt, nach denen der Flüchtlingsschutz zu gewähren ist. Eine besondere Rolle spielt dabei gerade in Verfahren syrischer Asylsuchender die Regelung, wonach der Flüchtlingsstatus bei einer Wehrdienstentziehung infrage kommt, wenn der Militärdienst völkerrechtswidrige Handlungen (also Kriegsverbrechen) umfassen würde. 

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hattte im Jahr 2016 seine Entscheidungspraxis geändert und spricht seitdem vielen Asylsuchenden aus Syrien nur noch den subsidiären Schutz anstatt den Flüchtlingsschutz zu. Da zugleich der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten ausgesetzt wurde, beschäftigen Klagen von Betroffenen auf Zuerkennung des besseren Status (sogenannte Upgrade-Klagen) seitdem die Verwaltungsgerichtsbarkeit in erheblichem Maße (siehe asyl.net Meldung vom 16.4.2019). Die Frage, welchen Schutzstatus Personen beanspruchen können, die sich dem syrischen Wehrdienst durch Flucht entzogen haben, spielt dabei eine besondere Rolle.

Eine drohende Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung stellt als solche nach der geltenden Rechtslage noch keinen ausreichenden Grund für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus dar, sofern die Strafe gesetzlich vorgesehen ist. Wird der Flüchtlingsstatus abgelehnt, erhalten die Betroffenen regelmäßig den subsidiären Schutzstatus. Flüchtlingsrechtlich relevant kann eine drohende Verfolgung bei Wehrdienstentziehung alllerdings sein, wenn bestimmte weitere Kriterien hinzukommen. Diese Kriterien werden etwa in der EU-Qualifikationsrichtlinie (QRL) geregelt. Diese Richtlinie nennt erstens den Fall, dass Personen, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, in unverhältnismäßiger Weise verfolgt oder bestraft werden (Art. 9 Abs. 2 Bst. c QRL, bzw. § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG). Als zweiten Fall nennt sie die drohende Bestrafung einer Wehrdienstentziehung, wenn der Militärdienst Kriegsverbrechen umfassen würde (Art. 9 Abs. 2 Bst. e QRL, bzw. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG). Bei den Fragen, die das VG Hannover dem EuGH vorgelegt hat, geht es nur um die zweite Variante. Das VG geht dabei davon aus, dass syrische Wehrpflichtige weiterhin eine Beteiligung an Kriegsverbrechen zu befürchten hätten.

Das VG hat dem EuGH fünf Fragen gestellt, die Generalanwältin hat Ausführungen auf Bitten des Gerichtshofs insbesondere zum Kausalzusammenhang von Verfolgungshandlungen und Verfolgungsgrund bei Verweigerung eines völkerrechtswidrigen Militärdienstes gemacht. Diesbezüglich fragte das VG, ob Personen, die die Beteiligung an Kriegsverbrechen verweigern, immer den Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung oder den der "sozialen Gruppe" aufweisen und wenn ja, ob eine solche Verknüpfung bereits dann gegeben ist, wenn die Strafverfolgung oder Bestrafung an die Verweigerung anknüpfen.

Die Generalanwältin meint, dass auch bei der in Art. 9 Abs. 2 Bst. e QRL genannten Verfolgung wegen der Verweigerung eines völkerrechtswidrigen Militärdienstes ein Verfolgungsgrund gegeben sein muss, eine automatische Kausalität bestehe nicht (Rn. 90). Allerdings spreche die Beteiligung des Herkunftslands unter Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht an einem Krieg, der systematische Kriegsverbrechen umfasst (was in Syrien der Fall sei), für das Vorliegen einer politischen Überzeugung im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Bst. e QRL und somit für eine Flüchtlingsanerkennung (Rn. 78). Ferner sei „durchaus denkbar“, dass in der Militärdienstenziehung an sich bereits ein Ausdruck politischer Überzeugung gesehen werde, wenn keine formale Verweigerungsmöglichkeit besteht (Rn. 79).

In ihren Schlussanträgen geht die Generalanwältin zwar nicht ausdrücklich auf Fragen der Verweigerungshandlung selbst ein. Da in Syrien keine Kriegsdienstverweigerung vorgesehen ist, hatte das VG gefragt, ob auch die Militärdienstentziehung durch Flucht ohne (formale) Verweigerung als solche umfasst sei. Jedoch beschäftigt sie sich damit, wie Schutzsuchende darlegen können, sich aus politischer Überzeugung dem Militärdienst entzogen zu haben. Die Generalanwältin meint es sei „völlig unsinnig“ von Betroffenen den Nachweis zu erwarten, dass sie den syrischen Militärbehörden ihre Verweigerung mitgeteilt haben. Auch öffentliche Verurteilungen der Kriegsführung durch die Betroffenen (etwa in sozialen Medien) seien vernünftigerweise nicht zu verlangen (Rn. 82).

Mit diesen Schlussanträgen geht das Verfahren vor dem EuGH, welches von Pro Asyl durch den Rechtshilfefonds unterstützt wurde, in seine Abschlussphase. In Verfahren vor dem EuGH unterstützen 11 Generalanwält*innen die Richter*innen in ihrer Entscheidungsfindung dadurch, dass sie nach der mündlichen Verhandlung (die in diesem Fall Anfang März 2020 stattfand) dem Gerichtshof einen Entscheidungsvorschlag unterbreiten. Der EuGH ist an diese Vorschläge nicht gebunden, folgt ihnen aber in vielen Fällen.


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