VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Beschluss vom 07.03.2019 - 4 A 3526/17 - asyl.net: M27109
https://www.asyl.net/rsdb/m27109
Leitsatz:

Vorlagebeschluss zur Wehrdienstverweigerung bei Militärdienst, der Kriegsverbrechen umfassen würde:

1. Ist davon auszugehen, dass die in Art. 9 Abs. 2 Bst. e Qualifikationsrichtlinie (QRL) aufgeführte Verweigerung des Militärdienstes in einem völkerrechtswidrigen Konflikt nicht in einem formalisierten Verweigerungsverfahren erfolgen muss, wenn im Herkunftsstaat ein Recht auf Militärdienstverweigerung nicht vorgesehen ist?

2. Wenn Frage 1. zu bejahen ist:

Schützt Art. 9 Abs. 2 Bst. e QRL auch Personen, die sich nach Ablauf der Zurückstellung vom Militärdienst nicht zur Verfügung stellen und sich dem Wehrdienst durch Flucht entziehen?

3. Wenn Frage 2. zu bejahen ist:

Ist Art. 9 Abs. 2 Bst. e QRL, wonach der verweigerte Militärdienst "Verbrechen oder Handlungen, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 fallen, umfassen würde" auch auf Wehrpflichtige anwendbar, die ihren künftigen militärischen Einsatzbereich nicht kennen, weil das Militär wiederholt und systematisch solche Verbrechen unter Einsatz von Wehrpflichtigen begehen?

4. Ist auch im Fall der Verfolgung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem völkerrechtswidrigen Konflikt nach Art. 9 Abs. 2 Bst. e QRL für die Flüchtlingseigenschaft Voraussetzung, dass eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen und Verfolgungshandlungen besteht?

5. Wenn Frage 4. zu bejahen ist:

Ist die Verknüpfung im Sinne von Art. 9 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 Bst. d QRL bereits dann gegeben, wenn Strafverfolgung oder Bestrafung nach Art. 9 Abs. 2 Bst. e QRL an die Verweigerung anknüpfen?

(Leitsätze der Redaktion)

EuGH Vorabentscheidungsverfahren:

Siehe auch:

Schlagwörter: Syrien, Aufstockungsklage, Upgrade-Klage, Wehrpflicht, Wehrdienstentziehung, Wehrdienstverweigerung, Militärdienst, Asylrelevanz, Vorlagebeschluss, Vorabentscheidungsersuchen, Verknüpfung, Verfolgungsgrund, Verfolgungshandlung, EZ, Shepherd,
Normen: RL 2011/95/EU Art. 9 Abs. 2 Bst. e, RL 2011/95/EU Art. 9 Abs. 3, RL 2011/95/EU Art. 2 Bst. d, AsylG § 3, AsylG § 3b Nr. 5, AsylG § 3a Abs. 2 Nr. 5, AsylG § 3a Abs. 3,
Auszüge:

[...]

a) 1. Vorlagefrage: Ist Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95/EU dahingehend auszulegen, dass eine "Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt" nicht erfordert, dass die betroffene Person sich in einem formalisierten Verweigerungsverfahren dem Militärdienst verweigert hat, wenn das Recht des Herkunftsstaates ein Recht auf Militärdienstverweigerung nicht vorsieht?

2. Vorlagefrage: Wenn die Frage zu 1) zu bejahen ist: Schützt Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95/EU mit der "Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt" auch Personen, die sich nach Ablauf der Zurückstellung vom Militärdienst der Militärverwaltung des Herkunftsstaates nicht zur Verfügung stellen und sich der zwangsweisen Heranziehung durch Flucht entziehen?

Das Gericht findet obergerichtliche Rechtsprechung vor, die für "offen" hält, ob eine Wehrdienstentziehung durch Flucht eine Verweigerung des Militärdienstes im Sinne der Richtlinie darstellen kann (Nds. OVG, Beschl. vom 5.12.2018 - 2 LB 570/18 -, Juris, Rn. 59) oder eine gegenüber den zuständigen Behörden ausdrücklich erklärte Ablehnung des Wehrdiensts verlangt (Nds. OVG, Urt. vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 -, Juris, Rn. 109; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. vom 04.05.2017 - 14 A 2023/16 -, NVwZ 2017, 1218 Rn. 95; VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 23.10.2018-A 3 S 791/18-, BeckRS 2018, 27342 Rn. 46). Die Vorlagefragen zu 1) und 2) stellen darauf ab, ob Art. 9 Abs. 2 Buchst. e RL 2011/95/EU so verstanden werden muss, dass die "Verweigerung" des Militärdienstes mehr als die bloße Flucht aus dem Herkunftsstaat verlangt, auch wenn das Recht des Herkunftslandes die Möglichkeit, den Militärdienst zu verweigern, nicht kennt. Nähme man an, dass der Wehrpflichtige in jedem Fall eine Erklärung über die Verweigerung des Militärdienstes gegenüber den staatlichen Stellen abgeben müsste, würde er sich möglichen Repressionen aussetzen, ohne Aussicht darauf, dass seine Gewissensentscheidung berücksichtigt werden würde. Aus diesem Grund neigt das er kennende Gericht dazu, auch die Flucht des Wehrpflichtigen aus dem Herkunftsstaat, soweit sie in einem zeitlich-sachlichen Zusammenhang mit dem Einberufungstermin oder dem Beginn der Wehrpflicht steht, als Verweigerung des Militärdienstes anzusehen und beide Vorlagefragen zu bejahen.

b) 3. Vorlagefrage: Wenn die Vorlagenfragen zu 1) und 2) zu bejahen sind: ist Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95/EU dahingehend auszulegen, dass für einen Wehrpflichtigen, der seinen künftigen militärischen Einsatzbereich nicht kennt, der Militärdienst allein deshalb unmittelbar oder mittelbar Verbrechen oder Handlungen, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 fallen, umfassen würde, weil die Streitkräfte seines Herkunftsstaates wiederholt und systematisch solche Verbrechen oder Handlungen unter Einsatz von Wehrpflichtigen begehen?

Die Ausschlussklausel des Art. 12 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2011/95/EU betrifft "Kriegsverbrechen". Der Begriff ist an Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28.07.1951 angelehnt. Ein Kriegsverbrechen liegt insbesondere vor, wenn sich militärische Handlungen gegen Personen und Einrichtungen richten, die durch das Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12.08.1949 (dazu OVG Sachsen-Anhalt, Urt. vom 26.07.2012 - 2 L 68/10 -, NVwZ-RR 2012; BeckOK AuslR/Kluth, 20. Ed. 01.11.2018, AsylG § 3 Rn. 22) und die Zusatzprotokolle I und II vom 08.06.1977 besonders geschützt sind. In der nationalen Umsetzung sind nach dem Völkerstrafgesetzbuch vom 26.06.2002 (BGBl. I S. 2254), geändert durch Gesetz vom 22.12.2016 (BGBl. I S. 3150), im Krieg begangene bestimmte Verbrechen gegen Personen (§ 8), gegen Eigentum und sonstige Rechte (§ 9), gegen humanitäre Operationen und Embleme (§ 10), der Einsatz verbotener Methoden der Kriegsführung (§ 11) und der Einsatz verbotener Mittel der Kriegsführung (§ 12) unter Strafe gestellt. Darunter fallen Mord, Misshandlung oder Deportation der Zivilbevölkerung des besetzten Gebietes, sexuelle Nötigung, Ermordung oder Misshandlung von Kriegsgefangenen, das Töten von Geiseln, das Plündern öffentlichen oder privaten Eigentums, die mutwillige Zerstörung von Städten oder Dörfern, Akte der Verwüstung, die nicht durch militärische Notwendigkeit gerechtfertigt sind, Angriffe gegen humanitäre Hilfsmissionen, der Einsatz militärischer Mittel gegen die Zivilbevölkerung, das Aushungern der Zivilbevölkerung oder der Einsatz biologischer oder chemischer Waffen. Die den Kriegsverbrechen gleichgestellten "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" sind hiernach: Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation und andere Akte der Unmenschlichkeit gegenüber der Zivilbevölkerung vor oder während des Krieges; dazu zählen auch die Verfolgung aus politischen Gründen oder wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse oder Religionsgemeinschaft (Bergmann/Dienelt/Bergmann, 12. Aufl. 2018, AsylG § 3 Rn. 7-11).

Der EuGH stellt für die Voraussetzung, dass der Militärdienst selbst die Begehung von Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit umfassen muss, darauf ab, dass der Flüchtige nicht persönlich solche Verbrechen begehen müsse, sondern der allgemeine Kontext maßgeblich sei, in dem dieser Dienst ausgeübt wird. Somit sind Fälle nicht grundsätzlich ausgeschlossen, in denen der Flüchtige an der Begehung solcher Verbrechen nur indirekt beteiligt wäre, weil er etwa nicht zu den Kampftruppen gehört, sondern z.B. einer logistischen oder unterstützenden Einheit zugeteilt ist. Folglich kann der Umstand, dass der Betroffene aufgrund des lediglich indirekten Charakters dieser Beteiligung nicht persönlich nach den Kriterien des Strafrechts und insbesondere denen des Internationalen Strafgerichtshofs von Strafverfolgung bedroht wäre, dem aus Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95/EU resultierenden Schutz nicht entgegenstehen.

Darzulegen hat der Flüchtige aber, dass sein Militärdienst solche Handlungen oder Verbrechen "umfassen würde", die unter die Ausschlussklausel fallen. Das Merkmal beinhaltet damit eine Prognose, in die der Grad an Wahrscheinlichkeit einer künftigen Begehung einer solchen Handlung im Rahmen des Militärdienstes einzustellen ist. Dieser Schutz kann nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. vom 26.02.2015 - 0-472/13 -, juris, Rn. 35-46) auf Personen, die nicht direkt an Kriegsverbrechen beteiligt sind, nur dann ausgedehnt werden, wenn es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheint, dass sie sich bei der Ausübung ihrer Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müssten. Die Plausibilität ist anhand von geeigneten Indizien zu ermitteln wie den mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, sowie der individuellen Lage und den persönlichen Umständen des Flüchtigen. Auch hierbei handelt es sich nach dem Verständnis des vorlegenden Gerichts um eine prognostische Einschätzung, innerhalb derer ein hinreichendes Maß der Wahrscheinlichkeit einer möglichen künftigen Beteiligung festgestellt werden muss, um das Tatbestandsmerkmal als erfüllt anzusehen (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin vom 11.11.2014 in der Sache Shepherd, - 0 472/13 -, Nr. 37).

Das vorlegende Gericht hält die Beteiligung von Wehrpflichtigen an künftigen Kriegsverbrechen für hinreichend plausibel: Syrische Regierungstruppen setzen seit 2011 sexuelle Gewalt als Waffe gegen die gegnerischen Kriegsparteien in wenigstens 35 militärischen Niederlassungen des Geheimdiensts ein, um Geständnisse zu erzwingen, Informationen zu erlangen, und auch als Bestrafung, um oppositionelle Gemeinschaften zu terrorisieren (Bericht des HRC der UNO, 37. Sitzung, "I lost my dignity": Sexual and gender-based violence in the Syrian Arab Republic vom 15.03.2018). Militärische Angriffe gelten Zivilpersonen, medizinischem Personal, Krankenhäusern und Lebensmittellagern (Bericht des HRC der UNO, 37. Sitzung, "Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic" vom 01.01.2018, S. 16, 22). Allein bis Mitte Januar 2018 hat die Untersuchungskommission des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen (Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic) schon 34 Giftgasangriffe dokumentiert. Für 27 von ihnen macht die Untersuchungskommission das Assad-Regime verantwortlich. Die restlichen sieben Giftgasangriffe konnten nicht eindeutig zugeordnet werden (Antrag der Grünen vom 25.04.2018 im Deutschen Bundestag, BT-Drs. 19/1876). Dabei fehlt den kriegsführenden Nationen das Interesse, die Vorgänge untersuchen zu lassen (Bericht der European Union External Action vom 18.04.2018). Nach dem Syrian Network for Human Rights (Statistik 2018) sind syrische Regierungstruppen seit 2011 für den Tod von 89 % der getöteten 222.114 erwachsenen Zivilisten, 79 % der getöteten 28.226 Kinder, 79 % der getöteten 27.196 Frauen, 98 % der durch Folter umgekommenen 14.024 Personen und 87 % der in Syrien getöteten inhaftierten 118.829 Personen verantwortlich.

Die Kriegsverbrechen veranlassten die Generalversammlung der Vereinten Nationen zu der Resolution A/71/248 vom 19.12.2016, den Mechanismus der Vereinten Nationen für die Untersuchung und Verfolgung von schwersten Kriegsverbrechen in Syrien seit März 2011 (IHM) ins Leben zu rufen, woran die deutsche Bundesregierung nach eigenen Angaben aktiv mitwirkt, um der "Kultur der Straflosigkeit" in Syrien entgegenzutreten (Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages vom 27.10.2017).

Das vorlegende Gericht ist aufgrund dieser Sachlage davon überzeugt, dass syrische Regierungstruppen seit Jahren in einem ganz erheblichen Ausmaß an systematischen Kriegsverbrechen beteiligt sind und sich hierbei des unmittelbaren und mittelbaren Einsatzes von Wehrpflichtigen bedienen. Dies wirft die Rechtsfrage auf, ob es alleine aufgrund dieses Umstandes bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheint, dass der Militärdienst für einen Wehrpflichtigen eine zumindest mittelbare Beteiligung an einem Kriegsverbrechen umfassen würde.

Auf dieser Tatsachengrundlage findet das Gericht eine Rechtsprechung vor, die darauf abstellt, dass zahlreiche Militärangehörige "ausschließlich Aufgaben wie beispielsweise die Besetzung von Checkpoints oder Kampfeinsätze ohne den Einsatz verbotener Waffen und ohne Angriffe auf die Zivilbevölkerung wahr(nehmen), die nicht mit der Begehung von Kriegsverbrechen verbunden sind" und damit die "gegenteilige Auffassung (ausschließt), die für jeden Militärangehörigen eine Begehung oder hinreichend unmittelbare Unterstützung von Kriegsverbrechen annimmt". Vielmehr sei völlig offen, welcher Funktion und welcher Einheit der Drittstaatsangehörige bei einer hypothetischen Rückkehr und einer ebenfalls hypothetischen Heranziehung zum Militärdienst zugeordnet würde (vgl. Nds. OVG, Beschl. vom 05.12.2018 - 2 LB 570/18 -, Juris, Rn. 60; VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 23.10.2018 - ASS 791/18 -, BeckRS 2018, 27342 Rn. 44 f.; OVG Schleswig, Urt. vom 04.05.2018 - 2 LB 17/18 -, BeckRS 2018, 7729 Rn. 137). Diese Rechtsprechung (Nds. OVG, Beschl. vom 05.12.2018, a.a.O. sowie Urt. vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 -, juhs, Rn. 102 ff.) stützt sich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache 0-472/13 vom 26.02.2015, wonach nicht ausreiche, "dass das "Militär" als solches Verbrechen im Sinne der Vorschrift begeht". Nach dem EuGH würde der geleistete Militärdienst die Begehung von Kriegsverbrechen nur umfassen (einschließlich einer nur mittelbaren Begehung), wenn es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheine, dass gerade die Militäreinheit des um Flüchtlingsschutz Nachsuchenden Einsätze unter Umständen durchgeführt habe oder durchführen werde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fielen und dass er sich bei der Ausübung seiner Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müsste, wobei logistische und sonstige Unterstützertätigkeiten ausreichend wären. Zurückgestellte Wehrpflichtige könnten sich nicht auf diese Vorschrift berufen, da sie noch gar keiner Einheit zugeteilt seien und ihre militärische Ausbildung noch durchlaufen müssten (Nds. OVG, Urt. vom 27.06.2017, a.a.O., Rn. 108).

Abgesehen von der - vom vorlegenden Gerichts tatsächlich zu verneinenden - Frage, ob der dem Militärangehörigen angetragene Einsatzbereich ihn tatsächlich vor dem Einsatz verbrecherischer Mittel bewahrt, kann das vorlegende Gericht dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache Shepherd nicht entnehmen, dass der zitierte Gesichtspunkt nationaler Gerichte allein maßgeblich ist. Vielmehr stellt der Gerichtshof auf ein Bündel gleichgewichtiger Indizien ab wie (1.) die individuelle Lage, (2.) die persönlichen Umstände des Antragstellers sowie (3.) die mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die belegen müssen, dass die bei diesem Dienst bestehende Situation die Begehung der behaupteten Kriegsverbrechen plausibel erscheinen lässt (Rn. 46). Der Gerichtshof trug hierbei den Aspekten Rechnung, dass die Vereinigten Staaten von Amerika grundsätzlich Kriegsverbrechen ahnden und die bewaffnete Intervention im Irak auf Grundlage eines Mandates des UN-Sicherheitsrates von der internationalen Staatengemeinschaft eingehegt sei. Es obliege daher "folglich [...] demjenigen, der die Flüchtlingseigenschaft nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83 zuerkannt bekommen möchte, mit hinreichender Plausibilität darzulegen, dass die Einheit, der er angehört, die Einsätze, mit denen sie betraut wurde, unter Umständen durchführt oder in der Vergangenheit durchgeführt hat, unter denen Handlungen der in dieser Bestimmung genannten Art mit hoher Wahrscheinlichkeit begangen werden oder wurden".

Nationale Gerichte verlangen deshalb, dass (syrische) Wehrpflichtige, die gezwungen werden, Militärdienst zu leisten, der - nach der Tatsachenkenntnis des vorlegenden Gerichts - mit zahlreichen regelhaften schweren und systematischen Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung verbunden ist, auch Indizien dafür zu benennen haben, welcher Militäreinheit sie angehören (würden). Nur dann könne eine hinreichende Plausibilität dafür geprüft und festgestellt werden, ob die Einheit, der der Betroffene angehören würde, die Einsätze, mit denen sie betraut seien, unter Umständen durchführe oder in der Vergangenheit durchgeführt habe, unter denen Handlungen der in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e RL 2011/95/EU genannten Art mit hoher Wahrscheinlichkeit begangen werden oder würden.

Diese Anforderung erscheint dem vorlegenden Gericht nicht angemessen, wenn die von dem EuGH der Rechtssache Shepherd zugrunde gelegten tatsächlichen Prämissen nicht gegeben sind. Der syrische Staat ahndet Kriegsverbrechen nicht, sondern fördert sie. Der Einsatz der syrischen Armee erfolgt ohne Mandat, Billigung oder Überwachung der internationalen Staatengemeinschaft, sondern wird von dieser in aller Deutlichkeit - gerade wegen der systematischen, wiederholten und schweren Verletzung des humanitären Völkerrechts durch ihre Angehörigen - verurteilt. Diese Aspekte lässt die zitierte nationale Rechtsprechung unberücksichtigt und verlangt gleichsam als conditio sine qua non, dass der Antragsteller darzulegen hat, dass gerade seine zukünftige Einheit sich an unter die Ausschlussklausel des Art. 12 RL 2011/95/EU fallenden Einsätzen beteiligen wird. Für das vorlegende Gericht wirft diese Rechtsprechung die Frage nach der Vereinbarkeit mit der von dem Europäischen Gerichtshof vorgegebenen Plausibilitätsprüfung auf. Für diese sind alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die individuelle Lage und die persönlichen Umstände gleichwertig heranzuziehen.

Überdies ist problematisch, dass der Tatbestand nach Bejahung der Vorlagefragen 1 und 2 für Wehrdienstentzieher wieder unterlaufen zu werden droht. Denn von dem sich auf den Schutz des Art. 9 Abs. 2 Buchst. e RL 2011/95/EU berufenden Wehrpflichtigen werden Angaben abverlangt, die er in der Regel - wie im Ausgangsfall - nicht machen kann, nämlich welche militärische Funktion er in welcher Einheit ausüben würde, wenn er sich nicht dem Militärdienst entzöge.

Für das vorlegende Gericht stellt sich in diesem Zusammenhang die (weitere) Frage, ob der Militärdienst für den Antragsteller auch dann unter die Ausschlussklausel fallende Handlungen "umfassen würde", wenn sich herausstellt, dass die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers für die Prüfung der Frage zwar unergiebig sind, aber alleine die mit dem Herkunftsland verbundenen Gegebenheiten - nämlich die regelhaften zahlreichen schweren und systematischen Kriegsverbrechen des Militärs gegen die Zivilbevölkerung — bei vernünftiger Betrachtung eine bei dem Dienst bestehende Situation plausibel erscheinen lassen, bei der die Begehung von Kriegsverbrechen zu befürchten ist. Das vorlegende Gericht geht unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des syrischen Bürgerkriegs nicht davon aus, dass allein die theoretische Möglichkeit, dass der Wehrpflichtige seinen Militärdienst ohne verbrecherische Mittel zu bestreiten in der Lage sein könnte, die Plausibilität seines Vortrags, dass der Militärdienst selbst die Begehung von Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit umfassen würde, erschüttern kann.

c) 4. Vorlagefrage: Ist Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU dahingehend auszulegen, dass auch im Falle einer Verfolgung nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95/EU gemäß Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95/EU eine Verknüpfung zwischen den in Art. 10 der Richtlinie 2011/95/EU genannten Gründen und den in Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen bestehen muss?

Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU fordert eine Verknüpfung zwischen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen mit den in Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95 in Verbindung mit Art. 10 der Richtlinie 2011/95/EU genannten Verfolgungsgründen. Das vorlegende Gericht stellt die Frage, ob sich diese Bedingung für den Flüchtlingsschutz auch auf eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e RL 2011/95/EU bezieht.

Das Gericht findet eine Rechtsprechung vor, die das bejaht (Nds. OVG, Beschl. vom 05.12.2018 - 2 LB 570/18 -, juris, Rn. 61; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. vom 04.05.2017 - 14 A 2023/16.A -, Juris, Rn. 87, und Beschl. vom 07.11.2017 - 14 A 2295/17.A -, Juris, Rn. 16) und sich auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beruft. Diese legt § 3b AsylG wie bereits in früherer Rechtsprechung (Urt. vom 19.08.1986 - 9 C 322.85 -, DVBl 1987,47; Urt. vom 06.12.1988 - 9 C 22.88 -, BVerwGE 81, 41, 44 und Urt. vom 25.06.1991 - 9 0 131.90 -, InfAuslR 1991, 310, 313) so aus, dass eine an eine Wehrdienstentziehung geknüpfte Sanktion, selbst wenn sie von totalitären Staaten ausgeht, nur dann eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung darstellt, wenn sie nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dient, sondern darüber hinaus den Betroffenen auch wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen soll (vgl. BVerwG, Beschl. vom 24.04.2017 - 1 B 22/17 -, Juris, Rn. 14 m.w.N.).

Die gegenteilige Meinung (referiert von Nds. OVG, Urt. vom 27.06.2017 - 2 LB 91/17 -, Juris, Rn. 97 ff.) stellt darauf ab, dass Art. 9 Abs. 2 Buchst. e RL 2011/95/EU bereits gebiete, dass "letztlich Jeder Deserteur ungeachtet einer - ohnehin in der Realität nicht nachprüfbaren - Gewissensentscheidung anzuerkennen sei, um einen Wertungswiderspruch zu vermeiden. Wenn nämlich einerseits die Teilnahme an Kriegsverbrechen sanktioniert werde und Personen, die an derartigen Kriegsverbrechen teilgenommen hätten, bei einem etwaigen Antrag auf Gewährung von Flüchtlingsschutz die Flüchtlingsanerkennung versagt werde, dann könne nicht andererseits die Weigerung, an solchen Taten teilzunehmen und die damit in Kauf genommene Bestrafung als  flüchtlingsrechtlich irrelevant eingestuft werden". Dem Gericht stellt sich in diesem Kontext daher die Frage, ob Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU im Fall von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e RL 2011/95/EU anzuwenden ist, weil diese Vorschrift als einzige der Tatbestände in Absatz 2 bereits eine Kausalkette fordert, nämlich die Strafverfolgung oder Bestrafung "wegen Verweigerung des Militärdienstes", während alle anderen Tatbestände einen eingliedrigen Sachverhalt vorsehen.

Forderte man die Verknüpfung, müsste derjenige, der den Militärdienst im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e RL 2011/95/EU verweigert, dartun, dass er im Sinne von Art. 2 Buchst. d RL 2011/95/EU in seinem Heimatland "wegen" seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe die Verfolgung fürchtet. Wer den Militärdienst verweigert, wird sich in aller Regel - wie der Antragsteller in diesem Verfahren - darauf berufen, damit seiner Grundhaltung im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. e RL 2011/95/EU Ausdruck zu verleihen. Dies wirft die Frage auf, ob folglich in Konstellationen wie der hiesigen überhaupt denkbar ist, dass eine zu fordernde Verknüpfung nicht vorliegt, weil auch die Überzeugung, dass man keinen Militärdienst in einem Konflikt leisten darf, wenn dies zur Begehung von Kriegsverbrechen führen könnte, als eine politische Überzeugung zu bewerten ist (so Schlussanträge der Generalanwältin vom 11.11.2014 in der Sache Shepherd, - C 472/13 -, Nr. 48; a.A. Nds. OVG, Beschl. vom 05.12.2018 - 2 LB 570/18 Juris, Rn. 58). [...]