Pro Asyl veröffentlicht Gutachten zum Missbrauch von Strafverfahren in der Türkei

Ein von Pro Asyl in Auftrag gegebenes umfangreiches Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Verfolgung von Straftaten im Bereich des "Terrorismus" in der Türkei gezielt zur politischen Verfolgung eingesetzt wird. Entsprechende Vorwürfe erwiesen sich demnach zumeist als konstruiert und in den Strafverfahren würden rechtsstaatliche Kriterien regelmäßig unterlaufen. Pro Asyl fordert daher, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine Entscheidungspraxis in Hinblick auf das Herkunftsland Türkei ändert.

Zu den Straftatbeständen, die laut dem Gutachten häufig zum Vorgehen gegen "unliebsames politisches Handeln" eingesetzt würden, zählen die "Propaganda", die Unterstützung und die Mitgliedschaft in als terroristisch eingestufen Organisationen. In der Expertise werde gezeigt, dass diese Vorwürfe meist willkürlich erhoben würden. Da erhebliche Teile des türkischen Strafrechts und des türkischen Antiterrorgesetzes nicht eindeutig formuliert seien, sei nicht vorhersehbar, welche Handlungen von Strafe bedroht seien und welche nicht. Zudem habe in den letzten Jahren das türkische Justizsystem tiefgreifende Umstrukturierungen erfahren, weshalb die Unabhängigkeit der Justiz nicht mehr gegeben sei. Die Wahrscheinlichkeit, dass Gerichte nicht im Sinne der Regierung entscheiden würden, sei gering.  

Das Gutachten mit dem Titel "Zur Lage der Justiz in der Türkei" nennt verschiedene Gruppen, die besonders gefährdet sind, mit politisch motivierten Strafverfahren konfrontiert zu werden. Im Fokus stünden dabei Personen, die sich zur Lage der kurdischen Minderheit, zu Korruption oder zu Menschenrechtsverletzungen in der Türkei äußerten. Innerhalb dieser Gruppen bestehe ein erhöhtes Risiko für Angehörige der kurdischen Bevölkerung, wegen entsprechender Vorwürfe angeklagt zu werden.

Das Gutachten basiert auf einer über einjährigen Analyse des Zustands der türkischen Strafjustiz im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit, Unparteilichkeit sowie die Wahrung von Verfahrensrechten. Insbesondere wurden dabei Verfahren in den Blick genommen, in denen es um Terrorismusvorwürfe ging. Die Untersuchung führten zwei unabhängige renommierte Rechtswissenschaftler*innen durch, deren Identität Pro Asyl aus Sicherheitsgründen nicht bekanntgibt. Ausgewertet wurden Urteile türkischer Gerichte und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie Berichte unter anderem des Europarats und der Europäischen Kommission. Zudem wurden in der Türkei praktizierende Anwält*innen in verschiedenen Landesteilen befragt. Die Untersuchung ist in vier Teile gegliedert, die sich jeweils einem Problemfeld widmen: Dem Justizsystem, den terrorismusbezogenen Straftatbeständen und ihrer Anwendung, der Erhebung und Bewertung von Beweismaterialien und der Wahrung der Kriterien des Rechts auf ein faires Verfahren.

Zusätzlich zu dem Gutachten hat Pro Asyl eine Begleitbroschüre veröffentlich, in der zwei Fallbeschreibungen zusammengefasst werden.

 


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