Das am 26.2.2024 im Bundesgesetzblatt veröffentlichte Rückführungsverbesserungsgesetz (BGBl. 2024 I Nr. 54 vom 26.02.2024) sieht neben Neuregelungen, die Abschiebungen erleichtern sollen, zahlreiche weitere Änderungen vor, die u.a. das Asylverfahren sowie das Asylbewerberleistungsgesetz betreffen. Im Gesetzgebungsverfahren wurden außerdem kurzfristig noch Änderungen vorgenommen, mit denen im Sommer 2023 verabschiedete Regelungen zur Fachkräfteeinwanderung abgeändert wurden.
Einige der Änderungen stellen Eingriffe in das Recht auf Freiheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung und das Recht auf Privatsphäre dar. Diese Eingriffe wurden von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen (darunter die Wohlfahrtsverbände, Amnesty International, Pro Asyl, der Deutsche Anwaltverein und der RAV) als teilweise verfassungs- und europarechtlich bedenklich kritisiert. Wir geben hier – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einen ersten Überblick zu den Änderungen. Einige der Stellungnahmen zu dem Gesetz sind am Ende dieser Meldung zu finden.
Neuregelungen im Bereich Abschiebungshaft, Abschiebungen und Ausweisungen
- Ausweitung des Ausreisegewahrsams: Die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams nach § 62b AufenthG (also die Inhaftierung, die auch ohne das Vorliegen von Fluchtgefahr gerichtlich angeordnet werden kann) wird von 10 auf 28 Tage verlängert. Wie bei der Vorgängerregelung wurden hier erhebliche Zweifel daran geäußert, ob die Regelung mit der europäischen Rückführungsrichtlinie vereinbar ist (u.a. weil der § 62b AufenthG die Inhaftierung ohne Prüfung einzelner Haftgründe ermöglicht und weil keine Prüfung vorgesehen ist, ob die Inhaftierung im Einzelfall verhältnismäßig ist bzw. der Zweck der Maßnahme auch durch andere Mittel erreicht werden könnte).
- Änderungen bei der Abschiebungshaft (Anordnung bzw. Aufrechterhaltung auch während eines laufenden Asylverfahrens): Mit einer Änderung von § 14 Abs. 3 AsylG ist es nunmehr möglich, dass die Stellung des Asylantrags der Anordnung oder Aufrechterhaltung von Abschiebungshaft nicht entgegensteht, wenn zum Zeitpunkt der Stellung des Asylantrags die Voraussetzungen der Abschiebungshaft vorlagen. Damit könnte prinzipiell jede Person, die (aufgrund mangelnder legaler Fluchtwege) nach einem irregulären Grenzübertritt aufgegriffen wird und einen Asylantrag stellt, bei unterstellter Fluchtgefahr in Abschiebungshaft genommen werden – wofür aber auch noch weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssen (u.a. darf die Haft laut dem ebenfalls geänderten § 62 Abs. 3 S. 3 AufenthG nur angeordnet werden, wenn feststeht, dass sie innerhalb von sechs Monaten auch tatsächlich durchgeführt werden kann). Mit der Änderung von § 62 Abs. 3 AufenthG wird es zudem möglich sein, dass eine Sicherungshaft angeordnet werden kann, wenn die betroffene Person nach einer erlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist oder entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot eingereist ist. Damit kann eine Person, die nach Wiedereinreise nochmal einen Asylantrag stellt, sofort inhaftiert werden, selbst wenn der Asylantrag aussichtsreich ist. Die Abschiebungshaft kann auch dann aufrechterhalten werden, wenn nach einem Folgeantrag ein neues Asylverfahren durchgeführt wird. Abschiebungshaft soll außerdem immer dann angeordnet werden können, wenn von einer Person eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter ausgeht und feststeht, dass die Abschiebung innerhalb von sechs Monaten (nicht mehr wie zuvor innerhalb von drei Monaten) durchgeführt werden kann.
- Betreten von Räumen Dritter in Gemeinschaftsunterkünften: Mit der Änderung des 58 Abs. 5 S. 2 AufenthG wird es möglich, dass auch die Räume dritter unbeteiligter Personen bzw. alle Räume in Gemeinschaftsunterkünften zum Auffinden einer abzuschiebenden Person "betreten" werden können.
- Neuregelung der gerichtlichen Zuständigkeit für Durchsuchungsanordnungen: Durch Einfügung eines neuen § 58 Abs. 9a AufenthG wird geregelt, dass für die Anordnung von Durchsuchungen zum Zweck der Abschiebung sowie von Durchsuchungen nach Unterlagen und Datenträgern zum Zweck der Identitätsklärung (s.u., Änderung in § 48 Abs. 3 AufenthG) künftig die ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig sein wird. Abweichend davon können die Bundesländer festlegen, dass hierfür die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig sein soll. Diese Neuregelung tritt nicht sofort in Kraft, sondern sie wird im Unterschied zu den übrigen im Gesetz enthaltenen Neuregelungen erst am 1. August 2024 wirksam.
- Erleichterung der Abschiebung zur Nachtzeit: Durch das Einfügen eines Halbsatzes in § 58 Abs. 7 Satz 2 AufenthG wird das Betreten und Durchsuchen der Wohnung zur Nachtzeit zum Zweck einer Abschiebung vereinfacht.
- Ausweitung der Ausweisungsgründe: Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse soll nunmehr bereits dann bestehen, „wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass [eine Person] einer Vereinigung im Sinne des § 129 des Strafgesetzbuches angehört oder angehört hat“. Eine rechtskräftige Verurteilung ist nicht erforderlich, sondern Ermittlungsverfahren oder Bewertungen der Ausländerbehörden können ausreichen.
- Bestellung einer anwaltlichen Vertretung bei Abschiebungshaft: Mit der Neueinführung des 62d AufenthG wird bestimmt, dass zur richterlichen Entscheidung über die Anordnung von Abschiebungshaft nach § 62 und Ausreisegewahrsam nach § 62b das Gericht den Betroffenen, die noch keine anwaltliche Vertretung haben, von Amts wegen für die Dauer des Verfahrens eine anwaltliche Vertretung bestellt wird. § 62d AufenthG ist auch in den Fällen der „Dublin-Haft" anwendbar (wegen einer Änderung in § 2 Abs. 14 Satz 5 AufenthG).
Neuregelungen im Bereich des Asyl- und Aufenthaltsrechts
- Verschärfung der Anforderungen an einen Asylfolgeantrag: § 71 Abs. 1 und Abs. 8 AsylG werden dergestalt geändert, dass ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen ist, wenn "neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Ausländer vorgebracht worden sind, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für den Ausländer günstigeren Entscheidung beitragen, oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind und der Ausländer ohne eigenes Verschulden außerstande war, die Gründe für den Folgeantrag im früheren Asylverfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen".
- Ausweitung der Gründe für eine Ablehnung als "offensichtlich unbegründet": § 30 AsylG wird neugefasst und inhaltlich erweitert. Beispielsweise ist eine Ablehnung als "offensichtlich unbegründet" möglich, wenn im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht werden, die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang sind oder wenn bereits ein Folgeantrag (oder Zweitantrag) gestellt und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wurde oder wenn eine Person entgegen einem gegen sie verhängten Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet eingereist ist.
- Kriminalisierung von Verletzungen der Mitwirkungspflichten: Sowohl im AufenthG als auch im AsylG werden Pflichtverletzungen nunmehr kriminalisiert. So sieht § 85 AsylG jetzt vor, dass die Nichtherausgabe von Pässen, anderen Dokumenten oder Datenträgern sowie die Angabe falscher Informationen im Asylverfahren mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft wird.
- Erweiterung des Sofortvollzugs aufenthaltsrechtlicher Maßnahmen: Widerspruch und Klage gegen eine Reihe von Maßnahmen, die sich vor allem gegen ausreisepflichtige Personen richten, haben künftig keine aufschiebende Wirkung mehr. Das bedeutet, dass diese Maßnahmen zwar noch durch Widerspruch und Klage angefochten werden können, aber unabhängig davon bereits vollziehbar sind. Damit die Vollziehbarkeit ausgesetzt wird, müssen Betroffene gegebenenfalls bei der zuständigen Behörde oder beim Verwaltungsgericht beantragen, dass die aufschiebende Wirkung der Klage (durch die Behörde oder das Gericht) hergestellt wird. Der Katalog der Maßnahmen, für die dies gilt, wird durch Änderung von § 84 AufenthG deutlich erweitert. Unter anderem haben künftig Widersprüche und Klagen gegen die Anordnung einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1c AufenthG, gegen die Anordnung einer Wohnsitzauflage nach § 61 Abs. 1d AufenthG sowie gegen die Anordnung und Befristung von Einreise- und Aufenthaltsverboten keine aufschiebende Wirkung mehr.
- Durchsuchung der Wohnung nach Datenträgern: Eine Änderung in § 48 Abs. 3 AufenthG bewirkt, dass die Wohnungen von Personen, die nicht im Besitz eines Passes sind, die aber zur Passbeschaffung bzw. zur Klärung ihrer Identität verpflichtet sind, nach Unterlagen und Datenträgern durchsucht werden dürfen. Voraussetzung hierfür ist, dass "tatsächliche Anhaltspunkte" für die Annahme vorliegen, dass die Betroffenen im Besitz relevanter Unterlagen oder Datenträger sind. Für die Durchsuchung der Wohnung ist eine richterliche Anordnung notwendig oder es muss "Gefahr im Verzug" gegeben sein.
- Längere Geltungsdauer der Aufenthaltstitel für subsidiär Schutzberechtigte: Aufenthaltserlaubnisse für subsidiär schutzberechtigte Personen durften bisher nur für ein Jahr, bei Verlängerung für zwei Jahre ausgestellt werden. Der entsprechende Satz in § 26 AufenthG wurde nun gestrichen. Ebenso wie Asylberechtigte und Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten subsidiär Schutzberechtigte die Aufenthaltserlaubnisse künftig für drei Jahre.
- Längere Geltungsdauer von Aufenthaltsgestattungen: Personen, die sich im Asylverfahren befinden, erhalten eine Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung nach § 63 AsylG. Die Geltungsdauer dieses Papiers wird nun bei Personen, die – zumeist während der ersten Phase des Asylverfahrens – verpflichtet sind, in (Erst-)Aufnahmeeinrichtungen zu leben, von drei auf sechs Monate verlängert. Bei Asylsuchenden, die nicht mehr zur Wohnsitznahme in der Aufnahmeeinrichtung verpflichtet sind, gilt die Aufenthaltsgestattung künftig für zwölf (bisher sechs) Monate.
Änderungen im Bereich der Fachkräfteeinwanderung
- Ausbildungsduldung bleibt erhalten: Im Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung vom August 2023 war vorgesehen, dass die seit dem Jahr 2015 bestehende Möglichkeit, zum Zweck der Ausbildung eine Duldung nach § 60c AufenthG zu erhalten, gestrichen werden sollte. Diese Änderung wäre zum 1.3.2024 in Kraft getreten, wurde jetzt aber wieder rückgängig gemacht. Die Ausbildungsduldung wird es somit nun parallel zur neu geschaffenen Ausbildungs-Aufenthaltserlaubnis nach § 16g AufenthG (s.u.) geben. Sie dürfte damit vor allem für Personen infrage kommen, die die Anforderungen an die Ausbildungs-Aufenthaltserlaubnis (etwa hinsichtlich der Lebensunterhaltssicherung) nicht erfüllen.
- Änderungen bei der Ausbildungs-Aufenthaltserlaubnis: Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung vom August 2023 wurde unter anderem ein neuer § 16g AufenthG geschaffen, der die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur beruflichen Ausbildung vorsieht. Bevor diese Neuregelung am 1.3.2024 in Kraft tritt, wurde sie nun in verschiedenen Punkten noch angepasst. Unter anderem wird geregelt, dass neben der Berufsausbildung eine Beschäftigung von bis zu 20 Stunden pro Woche ausgeübt werden darf (neuer § 16g Abs. 3a AufenthG). Zudem werden die Hürden für den Nachweis der Lebensunterhaltssicherung (als Voraussetzung für die Erteilung der Ausbildungs-Aufenthaltserlaubnis), teilweise abgesenkt: So sollen nun verfügbare Mittel in Höhe des § 12 BAföG als ausreichend gelten, dabei handelt es sich um Mittel in Höhe des sogenannten "Schüler-BAföGs", die unterhalb des üblichen BAföG-Satzes liegen (Änderung in § 2 Absatz 3 Satz 5 AufenthG). Bei Personen, die Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) beziehen, soll die Inanspruchnahme weiterer öffentlicher Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts "unschädlich" sein, also nicht mehr dazu führen, dass der Anspruch auf die Ausbildungs-Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen ist (§ 16g Abs. 10 S. 3 AufenthG).
- Beschäftigungsduldung: Die Voraussetzungen der Beschäftigungsduldung werden angepasst und teilweise herabgesetzt. So muss die Einreise der beantragenden Person bis zum 31.12.2022 erfolgt sein und die Fristen zur Identitätsklärung werden angepasst. Die Person muss seit mindestens 12 (und nicht mehr 18) Monaten eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bei einer regelmäßigen Arbeitszeit von 20 (und nicht mehr 35) Stunden ausüben.
Änderung im Asylbewerberleistungsgesetz
- Asylbewerberleistungsgesetz: § 2 AsylbLG beschränkt die Höchstdauer des Bezugs von Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes für Personen, die "die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben". Nach Ablauf dieser Frist erfolgt der Übergang in die sogenannten Analogleistungen, die den Leistungen nach SGB II oder SGB XII (Bürgergeld bzw. Sozialhilfe) entsprechen. Dieser Übergang ist nun erst nach 36 Monaten möglich (statt bisher 18 Monate).
Stellungnahmen und Materialien zum Rückführungsverbesserungsgesetz
Hinweis: Da den Fachverbänden und anderen Institutionen nur eine sehr kurze Frist für ihre Kommentierungen eingeräumt wurde und da einige der beschriebenen Änderungen erst im weiteren Verfahren in das Gesetz eingefügt wurden, behandeln die nachfolgend aufgeführten Stellungnahmen nicht alle Neuerungen.