VG Dresden

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Zitieren als:
VG Dresden, Beschluss vom 07.01.1998 - A 1 K 31983/97 - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13366
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Exilpolitische Betätigung, Strafrecht, Gesetzesänderung, Abschiebungsandrohung, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Einstweilige Anordnung, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Folter, Prüfungskompetenz, Bundesamt
Normen: VwGO § 123; AsylVfG § 71; AsylVfG § 42 S. 1; AuslG § 53 Abs. 1
Auszüge:

Mit seinem am 22.12.1997 eingegangenen Antrag beantragt der Antragsteller, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Zentralen Ausländerbehörde Chemnitz mitzuteilen, daß vor einer erneuten Mitteilung nach § 71 Abs. 5 S. 2 AsylVfG die Abschiebung nicht vollzogen werden darf.

Ein Anspruch darauf, die Antragsgegnerin zu verpflichten, der für die Abschiebung zuständigen Stelle - gem. § 5 Abs. 3 Nr. 1 der Ausländer- und Asylverfahrenszuständigkeitsverordnung (AAZuVO) dem Regierungspräsidium Chemnitz als Zentraler Ausländerbehörde - mitzuteilen, daß vor einer erneuten Mitteilung nach § 71 Abs. 5 S. 2 AsylVfG die Abschiebung nicht vollzogen werden darf, besteht, wenn die Antragsgegnerin die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu Unrecht abgelehnt hat oder zu Unrecht nicht festgestellt hat, daß Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich der Abschiebung in den Iran vorliegen. Jedenfalls letzteres ist hier bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Fall.

Ob die Antragsgegnerin aufgrund der vorgelegten Erklärung des Dr. Asad Mamedow vom 19.12.1997, die die Frage betrifft, wann der Antragsteller von der Änderung des Strafrechts im Iran erfahren hat, gemäß § 71 Abs. 1 S. 1 AsylVfG, § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens verpflichtet ist, kann hier dahinstehen. Die Antragsgegnerin hat nach summarischer Prüfung jedenfalls festzustellen, daß hinsichtlich der Person des Antragstellers Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs.1 AuslG hinsichtlich der Abschiebung in den Iran vorliegen.

Dieser Verpflichtung steht nicht entgegen, daß die Voraussetzungen für die Durchführung eines Asylverfahrens - wohl - nicht vorliegen und das Bundesamt gem. § 5 Abs. 1 S. 2 AsylVfG nur nach Maßgabe des Asylverfahrensgesetzes für ausländerrechtliche Entscheidungen zuständig ist, was regelmäßig voraussetzt, daß ein Asylverfahren durchgeführt wird (vgl. § 24 Abs. 2 und § 31 Abs. 3 AsylVfG); dies ist jedoch beim unbeachtlichen Folgeantrag nach § 71 Abs. 1 AsylVfG gerade nicht der Fall (vgl. OVG Schleswig-Holstein InfAuslR 1993, 279, 280).

Für die Zuständigkeit des Bundesamtes für die Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AuslG auch in dem Falle, daß ein Folgeverfahren nicht durchzuführen ist, und damit für die Zulässigkeit einer entsprechenden Verpflichtung durch das Verwaltungsgericht spricht jedoch neben dem Umstand, daß das Bundesamt gem. § 32 AsylVfG selbst im Falle der Rücknahme des Asylantrags festzustellen hat, ob Abschiebungshindernisse selbst nach § 53 AuslG vorliegen, vor allem die durch § 42 S. 1 AsylVfG normierte Bindungswirkung. Bei der Auslegung des § 53 AuslG ist die Ausstrahlung des Grundrechts des Antragstellers aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu beachten. Da auch im Falle einer Ablehnung des Asylantrags im Heimatland des Antragstellers die Gefahr menschenunwürdiger Behandlung in Form der Folter drohen kann, gebietet es die Verpflichtung der deutschen Hoheitsträger zur Achtung der Menschenwürde, in einem solchen Fall von einer Abschiebung des Antragstellers in sein Heimatland abzusehen. Weil der zur Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde diese von Verfassungs wegen gebotene Prüfung wegen der Bindungswirkung des § 42 S. 1 AsylVfG verwehrt ist, ist die Verpflichtung des Bundesamts zur Feststellung der Voraussetzungen des § 53 AuslG jedenfalls dann zulässig, wenn das Bundesamt bereits entschieden hat, daß die Voraussetzungen des § 53 AuslG nicht vorliegen. Eine solche Entscheidung hat das Bundesamt hier im Bescheid vom 14.2.1996 getroffen.

Im Falle einer Abschiebung in den Iran besteht für den Antragsteller die konkrete Gefahr der Folter (§ 53 Abs. 1 AuslG).

Der Antragsteller hat des öfteren an exilpolitischen Demonstrationen in der Bundesrepublik teilgenommen und dies auch durch die Vorlage entsprechender Lichtbilder belegt. Damit hat er sich in einer nach außen erkennbaren Weise exilpolitisch betätigt. Es spricht sehr viel dafür, daß diese Aktivitäten den iranischen Behörden bekannt sind. In diesem Falle besteht für den Antragsteller konkret die Gefahr, der Folter unterworfen zu werden. Dies ergibt sich aus folgendem:

Nach Auskunft des Bundesamtes für Verfassungsschutz versuchen die hiesigen amtlichen iranischen Vertretungen (Botschaft und Generalkonsulate), alle Demonstrationen oder sonstige öffentliche Veranstaltungen oppositioneller Organisationen in Deutschland zu videographieren oder zu fotografieren, um die Teilnehmer zu identifizieren und namentlich zu erfassen. Das Interesse erstreckt sich dabei auf sämtliche Teilnehmer. Die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung exilpolitisch tätiger und von den iranischen Diensten identifizierter Personen bei einer Rückkehr in den Iran wird auch durch das Orient-Institut (vgl. Auskunft an das VG Leipzig vom 8.7.97, insbes. S. 6) bestätigt. Das Orient-Institut äußert sich dort zu dem neuen Art. 500 des islamischen Strafgesetzbuches dahingehend, daß man angesichts der weiten Fassung dieser Vorschrift den Eindruck hat, daß die Iraner sich zunehmend über eine teils äußerst schlechte Presse gerade im Ausland ärgern und hier ein Mittel schaffen wollten, den - aus dortiger Sicht - "Lügen, Diffamierungen und Verzerrungen" entgegenzutreten. Es mag deshalb sein, daß diese Vorschrift gerade auf die Auslandsopposition zugeschnitten ist und daß, wer für solche Gruppen die Trommel rührt, bestraft werden können soll. Da auch das Auswärtige Amt die rechtliche Möglichkeit einer Bestrafung wegen exilpolitischer Betätigung nicht ausschließt, besteht hinsichtlich des Antragstellers aufgrund seiner nach außen publik gemachten Teilnahme an exilpolitischen Demonstrationen nach der gesamten Auskunftslage die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung bei einer Rückkehr in den Iran. Es ist bekannt, daß Verhörmethoden und Haftbedingungen seelische Folter (Augenverbinden, Herbeiführung einer einschüchternden Atmosphäre, Dunkelzelle) und unmenschliche Behandlung (Schläge, Zusammenpferchen auf kleinem Raum) einschließen.

Deshalb birgt die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung zugleich die Gefahr, der Folter unterworfen zu werden.