OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.01.1998 - 13 A 2296/94.A - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13378
Leitsatz:
Schlagwörter: Jugoslawien, Kosovo, Albaner, LDK, Bergleute, Hungerstreik, Einberufung, Wehrdienstentziehung, Hausdurchsuchung, Familienangehörige, Verhör, Glaubwürdigkeit, Politmalus, Amnestie, Gruppenverfolgung, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Fonds für die Republik Kosovo, Antragstellung als Asylgrund, Situation bei Rückkehr, Extreme Gefahrenlage
Normen: GG Art. 16a; AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 4; AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16 a Abs. 1 GG; es liegen auch in ihrer Person die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG oder Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG, auf deren hilfsweise Feststellung das Klagebegehren in Anwendung der Rechtsprechung des BVerwG ebenfalls gerichtet ist, nicht vor.

Soweit der Kläger behauptet, wegen Streiks mit einer Haftstrafe von 30 Tagen belegt worden zu sein, ist der Senat von einer darin zum Ausdruck kommenden politischen Verfolgung nicht überzeugt. Es bestehen nämlich erhebliche Zweifel, ob gegen den Kläger überhaupt eine Haftstrafe wegen Streiks ausgesprochen worden ist.

Ausgehend von dem - in deutscher Übersetzung vorliegenden - Inhalt des Gerichtsbeschlusses vom 19. Mai 1990 verhalten sich die Urteilsgründe allein zur Feststellung des objektiven Vergehenstatbestandes - Fernbleiben des Klägers von der Arbeit trotz allgemeiner Arbeitsaufforderung. Irgendwelche Hinweise darauf, daß die Verurteilung des Klägers überhaupt oder auch nur das Strafmaß von der Volkszugehörigkeit, politischen Ansichten oder sonstigen asylrechtserheblichen Merkmalen des Klägers bestimmt oder beeinflußt gewesen wären, finden sich in den Gründen der Entscheidung nicht.

Soweit sich der Kläger auf seine Mitgliedschaft in der LDK im Kosovo bezieht, ist eine daran anknüpfende politische Verfolgung des Klägers nicht feststellbar. Einfache Parteimitglieder sind allein wegen ihrer Mitgliedschaft keiner Verfolgung durch die serbisch besetzten Sicherheitsbehörden ausgesetzt gewesen und sind das auch gegenwärtig nicht. Dasselbe gilt für Mitglieder der Exil-LDK in Deutschland.

Soweit sich der Kläger auf seine Mitgliedschaft im Fonds für die Republik Kosovo und seine Funktion in der Untergruppe B. bezieht, begründet auch dies nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung. Diese Vereinigung dient der finanziellen Unterstützung bedürftiger Landsleute im Kosovo und den dort aufgebauten Strukturen. Sein Einsatz in dieser Organisation in Form der Kontrolle der Einzahlungen - so seine Schilderung vor dem Senat - kann noch nicht als deutlich über dem Durchschnitt liegendes Engagement oder als "exponierte" exilpolitische Betätigung angesehen werden. Erst recht ist nicht erkennbar, daß der Kläger nach außen als Gegner des jugoslawischen Staates oder engagierter Verfechter der kosovaischen Sache in Erscheinung getreten wäre.

Das Vorbringen des Klägers, er habe sein Heimatland wegen seiner Einberufung zum Dienst in den Streitkräften Restjugoslawiens (Serbiens) verlassen, rechtfertigt nicht die Annahme der politischen Verfolgung. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß albanische Volkszugehörige aus dem Kosovo zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers in Anknüpfung an ihre Volkszugehörigkeit oder eine vermutete politische Gegnerschaft vorrangig einberufen worden sind.

Es kann auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, daß eine Einberufung des Klägers - wenn diese überhaupt noch in Betracht kommen sollte - bei seiner Rückkehr nicht lediglich in Ausübung der jedem Staat zustehenden Wehrhoheit erfolgen, sondern darüber hinaus gezielt an die politische Überzeugung oder die Volkszugehörigkeit anknüpfen würde. Albanische Volkszugehörige werden auch derzeit nicht vorrangig, sondern - wie ausgeführt - nur unsystematisch und gelegentlich zum Wehrdienst einberufen.

Der Kläger hat bei einer Rückkehr in sein Heimatland auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine asylrechtlich relevante Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung oder Desertion zu erwarten. Zum einen ließ sich schon bisher nicht feststellen, daß Kosovo-Albaner - soweit es überhaupt zu Strafverfolgung und Urteil gekommen ist - wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihrer politischen Überzeugung in Strafverfahren wegen Wehrdienstentziehung und Desertion nach Art. 214, 217 des jug. StGB härter oder häufiger bestraft wurden, als dies bei Serben der Fall war, bei ihnen also ein sog. Polit-Malus praktiziert wurde.

Zum anderen ist am 22. Juni 1996 in der Bundesrepublik Jugoslawien ein Amnestiegesetz in Kraft getreten, wonach bis zum 14. Dezember 1995 begangene Wehrdienstentziehungen oder Desertionen - ausgenommen von Berufssoldaten, aktiven Offizieren und aktiven Unteroffizieren - nicht mehr bestraft und verhängte Strafen nicht mehr vollzogen werden.

Da der Kläger als einfacher Soldat nicht zu dem von der Amnestie ausgenommenen Personenkreis zählt, kann eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit wegen Wehrdienstentziehung auch aus diesem Grunde nicht angenommen werden.

Nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts ist es auch nicht beachtlich wahrscheinlich, daß albanische Volkszugehörige bei einer Rückkehr in den Kosovo wegen der Stellung des Asylantrages oder wegen eines längeren Auslandsaufenthalts asylerhebliche Repressionen zu befürchten haben.

Auch die zitierte Dokumentation der Schweizerischen Flüchtlingshilfe "Übergriffe an aus der Bundesrepublik Deutschland und Österreich nach Kosova zurückgeschafften Asylsuchenden" vom 2. September 1997 führt nicht zu einer abweichenden Würdigung. Ein Teil der dort angeführten Fälle ist bereits Gegenstand früherer Mitteilungen verschiedenster Organisationen gewesen und in die Gesamtschau des Senats einbezogen worden. Soweit neue Vorfälle angesprochen sind, ist ihnen teilweise ein Eingriff in asylrechtsgeschützte Rechte überhaupt, teilweise jedenfalls eine asylrechtserhebliche Eingriffsintensität - beispielsweise bei verweigerter Einreise und Rückschiebung in das zurückführende oder ein anderes Land oder bei längeren Verhören ohne Gewaltanwendung - nicht zu entnehmen. Soweit eine Mißhandlung durch die serbischen Behörden behauptet wird, fehlt es weitgehend an näheren Angaben zu Art, Intensität und Anlaß dieser Übergriffe. Dasselbe gilt für die geschilderten Fälle der Inhaftierung bzw. Verurteilung von Rückkehrern, bei denen ebenfalls Informationen über den jeweiligen Hintergrund des serbischen Vorgehens fehlen. Nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben kann in diesem Zusammenhang auch, daß die Berichte offenbar weitgehend auf den Schilderungen der Betroffenen selbst beruhen, die nach den Erfahrungen des Senats aus zahlreichen Asylverfahren albanischer Volkszugehöriger aus dem Kosovo nicht immer der Wahrheit entsprechen müssen. Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch, daß eine ganze Reihe dieser Vorfälle offenbar vom Menschenrechtsausschuß in Pristina (CDHRF) gegenüber dem Auswärtigen Amt bzw. der Botschaft Belgrad nicht bestätigt werden konnten.

Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger aus anderen individuellen Gründen "vorverfolgt" aus seiner Heimat ausgereist ist oder bei Rückkehr asylerhebliche Verfolgung zu befürchten hätte, sind nicht vorgetragen. Sie sind auch nicht ersichtlich.

Der Kläger hat sein Land schließlich nicht wegen einer objektiv drohenden oder bestehenden Gruppenverfolgung verlassen. Eine solche hat er auch bei seiner Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten. Der Senat teilt insoweit die Ausschöpfung der aktuellen Erkenntnismöglichkeiten die Einschätzung des - ebenfalls für asylsuchende Kosovo-Albaner zuständigen - 14. Senats des erkennenden Gerichts, und - soweit ersichtlich - derzeit aller anderen Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe, daß weder in der Zeit seit 1989 noch gegenwärtig eine an die Volkszugehörigkeit anknüpfende politische Verfolgung des albanischen Bevölkerungsteils des Kosovo durch den serbisch dominierten Staat festgestellt werden kann. Auch für eine asylrechtsrelevante Verschlechterung der Situation der Kosovo-Albaner in naher Zukunft liegen keine Anhaltspunkte vor.

Schließlich liegen auch die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG, von dem hier nur Abs. 4 i.V.m. Art. 3 EMRK und Abs. 6 in Betracht kommen, nicht vor.

Nach den vorstehenden Ausführungen zum Asylbegehren des Klägers besteht nämlich nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, daß jeder in den Kosovo zurückkehrende, erfolglose Asylbewerber dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es ist nach den obigen Darstellungen auch nicht beachtlich wahrscheinlich, daß im Fall des Klägers eine solche Gefahrenlage besteht. Eine Anwendung des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG kommt im übrigen auch deshalb nicht in Betracht, weil nach den vorstehenden Ausführungen zur Situation im Kosovo dort jedenfalls derzeit eine extreme allgemeine Gefahrenlage, die den Kläger bei einer Abschiebung gleichsam "sehenden Auges" dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen aussetzen würde, nicht besteht.