OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 13.01.1998 - OVG Bf VI 141/97 - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13414
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Verfahrensrecht, Klageantrag, Fristen, Rechtsschutzziel, Asylgesuch, Abschiebungsschutz, Abschiebungshindernis, Berufungszulassungsantrag, Rechtliches Gehör, Auslegung, Grundsätzliche Bedeutung
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53; AsylVfG § 26a Abs. 1 S. 1; VwGO § 88; GG Art. 103
Auszüge:

Die durch das angefochtene Urteil ausgesprochene Abweisung der auf Abschiebungsschutz gerichteten Anträge als verspätet ist mit dem Recht nicht vereinbar.

Der Bescheid des Bundesamtes ist insoweit mit dem Ablauf der Klagefrist nicht bestandskräftig geworden. Der im Schriftsatz vom 23. Januar 1995 gestellte Aufhebungsantrag umfaßt diesen Bescheid in seinem gesamten Regelungsgehalt. Er enthält keine ausdrückliche Einschränkung dahingehend, daß der Bescheid nur in dem Umfang angefochten werde, in dem die Verpflichtung des Bundesamts zur Anerkennung als Asylberechtigter begehrt werde. Bei sachgerechter Auslegung (§ 88 VwGO) kann er auch nicht in diesem Sinne verstanden werden. Zur Auslegung des Begehrens von Asylbewerbern hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt (Urt. v. 15.4.1997, InfAuslR 1997 S. 420, 421): "Der typischen Interessenlage des im Verwaltungsverfahren unterlegenen Asylsuchenden entspricht es..., sein dem Verwaltungsgericht unterbreitetes Rechtsschutzbegehren - wenn es nicht ausnahmsweise deutlich erkennbar eingeschränkt sein sollte - sachdienlich umfassend dahingehend auszulegen (§ 86 Abs. 3, § 88 VwGO), daß er für den Fall des Unterliegens mit seinem Hauptantrag auf Gewährung von Asyl und Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG hilfsweise beantragt, ihm entweder Schutz vor drohender Abschiebung nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG durch teilweise Aufhebung der Abschiebungsandrohung oder - weiter hilfsweise - zumindest Abschiebungsschutz durch Verpflichtung des Bundesamts zu einer Feststellung nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG zu gewähren." Danach durfte das Verwaltungsgericht das Begehren des Klägers nur dahin verstehen, daß er von Anfang an auch Abschiebungsschutz nach §§ 51 und 53 AuslG erreichen wollte. Hinsichtlich des § 51 AuslG ergibt sich dies möglicherweise schon daraus, daß dieses Begehren als Minus in dem Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter enthalten sein könnte.

Nichts berechtigte das Verwaltungsgericht jedenfalls zu der Annahme, dem Kläger sei es vor Ablauf der Klagefrist noch nicht um Abschiebungsschutz nach §§ 51 und 53 AuslG gegangen. Dies gilt gerade dann, wenn man mit dem Verwaltungsgericht die Auffassung vertritt, daß der Hauptantrag an der Vorschrift des § 26 a Abs. 1 S. 1 AsylVfG scheitern mußte. Umso wichtiger war es für den Kläger dann, jedenfalls die Rechtsstellung nach § 51 AuslG zu erwerben.

Durch seine fehlerhafte Rechtsanwendung hat das Verwaltungsgericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozeßbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Daß das Verwaltungsgericht das Vorbringen des Klägers über die ihm nach seiner Behauptung in Zaire drohende politische Verfolgung zur Kenntnis genommen hat, unterliegt keinem Zweifel. Es hat sich jedoch auf Grund seiner unzutreffenden Rechtsauffassung, wonach der Bescheid des Bundesamts teilweise bestandskräftig geworden sei, gehindert gesehen, das Vorbringen des Klägers auch in Erwägung zu ziehen.

Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist auch dann gegeben, wenn die Rechtsanwendung durch ein Gericht, mit welcher die Berücksichtigung von Vorbringen eines Beteiligten aus prozessualen Gründen abgelehnt wird, offenkundig unrichtig ist. Das gilt namentlich dort, wo die Bedeutung und Tragweite von Grundrechten verkannt wird, zumal dann, wenn sie, wie das Asylrecht, einen hohen Rang beanspruchen können.

Gemessen an den vorstehend dargelegten Grundsätzen ist die Behandlung der Klage durch das Verwaltungsgericht mit Art. 103 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Daß das Gericht den in der Klageschrift zum Ausdruck gelangten Willen des Klägers nicht richtig erfaßt hat, drängt sich auf. Ein schützenswertes Rechtsgut, das die Kammer hätte veranlassen können, den in dem Schriftsatz vom 23. Januar 1995 formulierten Antrag als Teilanfechtung des Bescheides des Bundesamts vom 11. Januar 1995 zu verstehen, ist nicht zu erkennen. Insbesondere läßt sich hierfür nicht der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und ein etwa schutzwürdiges Vertrauen des Bundesamts auf eine Teilbestandskraft seines Bescheides anführen. Dem Umstand, daß die Klageschrift einen umfassenden, in keiner Weise eingeschränkten Aufhebungsantrag enthält, hat das Verwaltungsgericht keine Beachtung geschenkt, ohne hierfür eine nachvollziehbare Begründung zu geben. Mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der zufolge auch nach Ablauf der Klagefrist von der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage übergegangen werden kann, hat es sich nicht auseinandersetzt, obwohl dies hier nahelag. Insgesamt ist der dem Verwaltungsgericht unterlaufene rechtliche Fehler derart gravierend, daß er auch als Verletzung des Grundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG zu qualifizieren ist.