OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Urteil vom 04.03.1998 - OVG Bf V 48/94 - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13466
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Kurden, Gruppenverfolgung, Interne Fluchtalternative, Verfolgungssicherheit, Existenzminimum, Grenzkontrollen, Befragung, Reisedokumente, Wehrdienstentziehung, Strafverfolgung, Folter, Politmalus, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Berufung
Normen: GG Art. 16a; AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Es kann dahinstehen, ob zur Zeit der Ausreise des Klägers die Gefahr einer (regionalen) Gruppenverfolgung bestanden hat, der er nicht durch Ausweichen auf eine inländische Fluchtalternative entgehen konnte. Ebenso kann dahinstehen, ob ihm bei einer Rückkehr zum gegenwärtigen Zeitpunkt und in überschaubarer Zukunft in seiner Heimatprovinz Elazig oder in einer anderen Provinz im Südosten der Türkei die Gefahr einer Gruppenverfolgung oder eine allein hieran anknüpfende Einzelverfolgung droht.

Denn dem Kläger steht jedenfalls bei seiner Rückkehr eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung.

Kurden sind nach der Rechtsprechung des Senats im westlichen Teil der Türkei, insbesondere in den dortigen Großstädten, nach dem herabgestuften Prognosemaßstab hinreichend sicher vor politischer Verfolgung. Das sich aus den in den Jahren 1997 und 1998 neu bekannt gewordenen Erkenntnismitteln ergebende Gesamtbild läßt keine Verschlechterung ihrer Situation gegenüber dem Jahr 1996 erkennen.

Ferner drohen dem Kläger nach der Rechtsprechung des Berufungsgerichts im Westen der Türkei keine anderen Nachteile und Gefahren, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen; insbesondere bestehen ausreichende wirtschaftliche Voraussetzungen für eine Ansiedlung im westlichen Teil der Türkei. Bei der insoweit gebotenen generalisierenden Betrachtung hat der Kläger, der 1998 20 Jahre alt werden wird, nicht auf Dauer ein Leben unter dem Existenzminimum zu erwarten, das zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tode führt.

Der Kläger hat als kurdischer Volkszugehöriger die Möglichkeit, die Orte der inländischen Fluchtalternative, insbesondere die Großstädte der Westtürkei zu erreichen, ohne daß ihm dabei die Gefahr droht, bei der Einreise asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein. Im Hinblick auf an die kurdische Volkszugehörigkeit des Klägers anknüpfende Maßnahmen legt das Berufungsgericht dabei ebenfalls den herabgestuften Beurteilungsmaßstab der hinreichenden Sicherheit vor Verfolgung zugrunde.

Auch soweit der Kläger ohne Reisepaß oder im Wege der Abschiebung in die Türkei zurückkehren sollte, ist ebenfalls auszuschließen, daß ihm bei der Einreise in die Türkei asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen, insbesondere aufgrund seiner kurdischen Volkszugehörigkeit, drohen. In einem derartigen Fall ist zwar nach den übereinstimmenden Darstellungen der Erkenntnismittel davon auszugehen, daß der Kläger bei seiner Einreise am jeweiligen Grenzübergang von der Grenzpolizei vorläufig in Gewahrsam genommen werden würde, um seine Identität und die Hintergründe seiner Einreise aufzuklären. Das Berufungsgericht hat indessen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der anderen Oberverwaltungsgerichte im einzelnen dargelegt, daß hierin keine asylrelevanten Maßnahmen zu erblicken sind, da sie als solche nicht an die kurdische Volkszugehörigkeit des Betroffenen oder sonstige asylrelevante Merkmale anknüpfen, sondern, wie bei allen entsprechenden Einreisenden ohne Rücksicht auf ihre Volkszugehörigkeit, dazu dienen, über Nachfragen bei der zuständigen Personenstandsbehörde seine Identität zu klären und zu prüfen, ob er wegen begangener Straftaten gesucht wird.

Der Kläger muß auch nicht befürchten, im Fall einer Rückkehr in die Türkei deswegen asylrelevanten Maßnahmen ausgesetzt zu sein, weil er sich dem türkischen Wehrdienst entzogen hat. Der Kläger ist während seines Aufenthalts im Bundesgebiet militärdienstpflichtig geworden. Der Kläger hat sich dadurch strafbar gemacht, daß er sich nicht bei den türkischen Militärbehörden gemeldet hat. Der Kläger muß auch mit einer Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung rechnen, obwohl er sich nur wegen seines Auslandsaufenthaltes der Wehrpflicht entzogen hat. Diese Bestrafung stellt allerdings keine politische Verfolgung dar, da sie keinen politischen Charakter hat.

Der Kläger hat auch nicht deshalb, weil er sich seiner Wehrpflicht durch Auslandsaufenthalt entzogen hat, mit Folter oder anderen asylrelevanten Maßnahmen zu rechnen, die über eine strafrechtliche Verfolgung hinausgehen. Auch Wehrpflichtige, die aus dem Südosten der Türkei stammen, droht nach einer Militärdienstflucht mit hinreichender Sicherheit keine Folter. Ebenso erhöht sich die Strafe wegen der Wehrdienstentziehung auch nicht, wenn es sich um einen Wehrpflichtigen kurdischer Volkszugehörigkeit handelt.

Der Kläger ist auch als kurdischer Volkszugehöriger während seines abzuleistenden Militärdienstes vor asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen hinreichend sicher.