OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20.04.1998 - 11 A 10872/97.OVG - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13474
Leitsatz:
Schlagwörter: Afghanistan, Gebietsgewalt, Bürgerkrieg, Quasi-staatliche Verfolgung, Berufung
Normen: GG Art. 16a; AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

Ein Asylanspruch und ein Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG bestehen nur, wenn der Ausländer von politischer, d.h. staatlicher oder quasi-staatlicher Verfolgung bedroht ist. In Afghanistan besteht indessen keine Staatsgewalt mehr und noch keine staatsähnliche Gewalt, so daß das Verwaltungsgericht die Klage insoweit zu Recht abgewiesen hat.

Das zuletzt nur noch als Reststaatsgewalt agierende kommunistische Regime büßte am 25. April 1992 beim Einmarsch der Mudjahedin-Einheiten in Kabul seine Herrschaftsmacht vollends ein, ohne daß an dessen Stelle eine zur Aufnahme der Regierungsgeschäfte und zur wirksamen Ausübung der Regierungsgewalt fähige Macht getreten wäre.

Soweit der Senat in seinem Beschluß vom 23. Juli 1997 - 11 A 10570/97.OVG - entschieden hatte, die Taleban übten im - in seinem Innern befriedeten - Kernterritorium des von ihnen bis Ende September 1996 eroberten Gebietes einschließlich der Stadt Kabul eine staatsähnliche Macht aus, hält er daran angesichts der Fortführung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an staatsähnliche Organisationen in dessen Urteil vom 4.11.1997 - 9 C 34.96 - nicht mehr fest. Zwar geht der Senat aus den bereits in seinem Beschluß vom 23. Juli 1997 dargelegten Gründen weiterhin davon aus, daß die Taleban jedenfalls im Kernterritorium ihres Machtbereichs eine übergreifende Friedensordnung errichtet haben und dort auch eine organisierte und effektive Herrschaftsmacht ausüben. Indessen erfüllt auch der Machtbereich der Taleban auf absehbare Zeit nicht die Anforderungen an die nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung anschließt, für eine staatsähnliche Organisation zu verlangenden Stetigkeit und Dauerhaftigkeit.

Allerdings geht der Senat, obwohl durch die Unsicherheit einer Prognose der künftigen Entwicklung in Afghanistan "tendenziell zu einer zurückhaltenden eigenen Beurteilung und im Zweifelsfalle eher zu einer negativen, weil nicht zuverlässig möglichen positiven Einschätzung über die Erfüllung der Anforderungen an die Staatsähnlichkeiten neuer Machtstrukturen in einem Bürgerkriegsgebiet" gezwungen, auch mit Blick auf die derzeit stattfindenden Kämpfe nicht davon aus, daß in Afghanistan "jederzeit und überall mit dem Ausbruch die Herrschaftsgewalt" der Taleban "grundlegend in Frage stellender bewaffneter Auseinandersetzungen gerechnet werden muß".

Nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es jedoch bei einem noch andauernden Bürgerkrieg darüber hinaus erforderlich, "daß zwischenzeitlich entstandene Machtgebilde voraussichtlich von Dauer sein werden und Vorläufer neuer oder erneuerter staatlicher Strukturen sind", wobei damit "nur zu rechnen (ist), wenn die Bürgerkriegsparteien nicht mehr unter Einsatz militärischer Mittel in der Absicht, den Gegner zu vernichten, und mit Aussicht auf Erfolg um die Macht im ganzen Bürgerkriegsgebiet kämpfen, die Fronten also über längere Zeit hinweg stabil sind und allenfalls in Randbereichen noch gekämpft wird, im übrigen aber eine dauerhafte nichtmilitärische Lösung zu erwarten ist". Diese Voraussetzungen sind in Afghanistan nicht erfüllt.

Ist eine dauerhafte nichtmilitärische Lösung nicht zu erwarten, sondern kämpfen die afghanischen Bürgerkriegsparteien nach wie vor mit militärischen Mitteln um die Macht in ganz Afghanistan und in der Absicht, den Gegner zu vernichten, so kann nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht damit gerechnet werden, daß die Machtbereiche der Nordallianz, aber auch der Taleban von Dauer sein werden und Vorläufer neuer oder erneuerter staatlicher Strukturen sind. Dann aber stellen diese nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine quasi-staatlichen Organisationen dar - allein der Umstand, daß in der afghanischen Botschaft in Bonn Gefolgsleute von "Staatspräsident" Burhanuddin Rabbani tätig sind, genügt dafür nach den obigen Ausführungen nicht - und sind deshalb zufolge der eingangs dargestellten Grundsätze zu politischer Verfolgung nicht fähig, ohne daß insoweit die persönliche Situation der Kläger von Relevanz wäre.