Eine Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter muß daran scheitern, daß er das Gericht nicht davon hat überzeugen können, tatsächlich auf dem Luftweg eingereist zu sein.
Nach Überzeugung des Gerichts steht dem Kläger allerdings der Schutz des § 51 Abs. 1 AuslG zu.
Die Taliban haben ein einfaches, aber ausgeklügeltes System errichtet. Da sie durch ihre Organisationsstrukturen die Aufrechterhaltung der Ordnung innerhalb ihres Machtbereiches, etwa durch polizeiähnliche Einrichtungen zum Schutze der Gebietsbewohner gegen Übergriffe Dritter, Institutionen zur Schlichtung von Streitigkeiten und Vorkehrungen mit dem Ziel, das beherrschte Gebiet und seine Bewohner nach außen zu verteidigen, gewährleisten, üben sie in den von ihnen kontrollierten Gebieten staatsähnliche Gewalt aus.
Über bewaffnete Auseinandersetzungen innerhalb des Machtbereiches der Taliban und damit über lokale interne Konflikte liegen keine Meldungen mehr vor. Immer wieder kommt es aber zu Kampfhandlungen zwischen den Taliban und Teilen der Nordallianz entlang der Frontlinie nördlich und nordöstlich von Kabul sowie in der Provinz Kunduz, wohin sich Truppen der Taliban nach ihrer Niederlage im Norden des Landes im Mai 1997 zurückgezogen haben. Hierdurch wird aber die Stabilität und Dauerhaftigkeit der territorialen Herrschaftsgewalt der Taliban in den von ihnen kontrollierten Provinzen nicht in Frage gestellt. Es gibt keine Hinweise darauf, daß die in sich wenig homogene Nordallianz, in der viele örtliche Kommandanten das Sagen haben und unterschiedliche Parteiinteressen verfolgt werden, in der Lage wären, ihren Machtbereich weiter nach Süden auszudehnen und die Taliban aus ihren Positionen zu vertreiben.
Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes in den beiden Entscheidungen vom 4.11.1997 - BVerwG 9 C 34.96 und 9 C 11.97 -, die nur die Verhältnisse in Afghanistan bis Oktober 1996 berücksichtigen konnten, ist durch die zwischenzeitliche Entwicklung im Lande überholt und kann deshalb diesem Urteil nicht mehr zugrundegelegt werden.
Insbesondere hat das Bundesverwaltungsgericht noch nicht berücksichtigen können, daß mittlerweile seit September 1996 (auch noch nach ihrer Vertreibung aus Mazar-e Sharif) die Taliban mehr als 2/3 des Landes mit vier der fünf großen Städte und mehr als 20 der 30 Provinzen kontrollieren. Bezüglich einer Ausübung staatlicher Gewalt durch die Taliban enthalten sich die beiden Entscheidungen jeglicher Aussage. Daß die Taliban in der Lage sind, ihre Herrschaft in diesem Bereich weiter zu festigen, ergibt sich auch daraus, daß sie einen Putsch in Jalalabad im Spätsommer 1997 mit brutalsten Methoden niedergeschlagen haben. Durch die vorstehend geschilderte Auffassung weicht das Gericht deshalb von diesen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes nicht ab; entsprechendes gilt im übrigen bezüglich einer in Beschlüssen des Bayer. VGH (z.B. vom 2.4.1998 6 ZB 97.30163 und 6 ZB 97.30169) erwähnten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.11.1990 - 9 C 75.90 -.
Der Kläger hat glaubhaft und überzeugend dargelegt, daß er ein bekanntes Mitglied in der DVPA seit 1965 war, daß er bis 1978 Parteimitglieder in Kabul wöchentlich politisch unterrichtet hat, daß er von März 1989 bis April 1982 afghanischer Botschafter in der ehemaligen CSSR war, daß er von 1983 bis 1989 für die Zeitschrift "Freiheit und Sozialismus" gearbeitet hat, die dem Zentralkomitee der DVPA unterstanden habe und daß er von 1989 bis 1992 Leiter einer Abteilung des Gesundheitsamtes in Kabul gewesen ist.
Bei diesem politischen Werdegang, seinem Bekanntheitsgrad und der Karriere des Klägers unter dem damaligen kommunistischen Regime geht das Gericht von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung durch die Taliban-Milizen aus. Die die Taliban sämtliche Verwaltungseinrichtungen in Kabul in ihre Gewalt gebracht haben, hält es das Gericht für beachtlich wahrscheinlich, daß ihnen Unterlagen in die Hände gefallen sind, aus denen sich die Identität des Klägers ergibt. Das Gericht hat keinen Zweifel daran, daß die Taliban den Kläger aufgrund seines beruflichen Werdegangs und seiner früherern Stellung in Partei und Zentralkomitee sowie in der kommunistischen Verwaltung als bedeutenden, vor allem aber auch als überzeugten und daher in seiner "Gottlosigkeit" wohl unbelehrbaren Repräsentanten des damaligen kommunistischen Regimes ansehen werden und daß er zu den hochgradig gefährdeten Funktionären gehört, die in keinem Fall mit der Nachsicht der Taliban rechnen können, in deren Augen er als Feind des Gottesstaates den Tod verdient hat.
Beim Kläger kommt schließlich noch erschwerend hinzu, daß es sich um einen Cousin von Babrak Karmal handelt, der von 1979 bis 1986 Staatspräsident von Afghanistan gewesen ist und diese Position erst mit dem Einmarsch der sowjetischen Truppen im Dezember 1979 erlangt hat. Es ist deshalb zu befürchten, daß ihm auch im Wege der Sippenhaft durch die Taliban Nachstellungen drohen. Die Praxis der Sippenhaft hat es in dem von Stammesstrukturen geprägten Afghanistan immer gegeben; sie wurde und wird auch bis in die Gegenwart gegen den politischen Gegner angewandt.
Eine zumutbare Fluchtalternative in Afghanistan besteht für den Kläger nicht. Das von den Hazara bewohnte Gebiet in Zentralafghanistan ist derzeit wegen einer Blockade der Taliban, die in der Provinz Bamyan zur Gefahr einer Hungersnot führt, praktisch nicht zu erreichen. Der von den Taliban nicht beherrschte Norden Afghanistans ist, nachdem die Route von Termez/Usbekistan nach Mazar-e Sharif/Afghanistan geschlossen ist, nur über das Taliban-Gebiet aus zugänglich. Zudem gibt es in diesen von der "Nord-Allianz" nur annähernd beherrschten Provinzen weiterhin Übergriffe lokaler Potentaten und die Wahrscheinlichkeit, daß tatsächliche oder vermeintliche Gegner der jeweiligen Machthaber mit Repressalien zu rechnen haben, ist dort mindestens so groß wie im Süden Afghanistans. Schließlich ist dort, wie in Afghanistan allgemein, die wirtschaftliche Lage so desolat, daß nur derjenige Überleben kann, der auf bestehende familiäre oder Stammesstrukturen zurückgreifen kann, die er regelmäßig nur im früheren Heimatgebiet findet. Derartige Beziehungen sind beim Kläger allerdings nicht ersichtlich.