OVG Saarland

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Zitieren als:
OVG Saarland, Urteil vom 11.05.1998 - 3 R 16/98 - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13498
Leitsatz:
Schlagwörter: Jugoslawien, Kosovo, Albaner, Gruppenverfolgung, Verfolgungsprogramm, Verfolgungsdichte, Einberufung, Wehrdienstentziehung, Strafverfolgung, Amnestie, Desertion, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Antragstellung als Asylgrund, Sippenhaft, Berufung
Normen: GG Art. 16a; AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Ein Asylanspruch des Klägers ergibt sich nicht bereits mit Blick auf eine angegebene albanische Volkszugehörigkeit unter dem Aspekt einer staatlichen Gruppenverfolgung aller ethnischen Albaner in "Rest-Jugoslawien" beziehungsweise - nunmehr - im Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien. Eine solche fand auch in der ehemals autonomen Provinz Kosovo weder im Zeitpunkt der Ausreise noch im Zeitraum danach bis heute statt.

Eine befürchtete Heranziehung zum Militär - auch im zeitlichen Kontext des Beginns des bosnischen Bürgerkrieges - rechtfertigt nicht die Annahme, daß die Ausreise des Klägers durch eine erlittene oder zumindest durch eine unmittelbar drohende "politische Verfolgung" veranlaßt war. Nach der ständigen Rechtsprechung auch des Senats kann in der Einberufung albanischer Volkszugehöriger aus dem Kosovo zum Dienst in den jugoslawischen Streitkräften als solcher nicht bereits generell eine politische Verfolgung gesehen werden.

Unter dem Aspekt einer Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung im Rückkehrfall ergibt sich nichts anderes. Darüberhinaus hat das jugoslawische Parlament zwischenzeitlich ein lediglich Berufssoldaten und aktive Offiziere beziehungsweise Unteroffiziere ausnehmendes Amnestiegesetz für Fälle der Wehrdienstentziehung verabschiedet, das am 22.6.1996 in Kraft getreten ist. Allein der nicht durch konkrete Hinweise belegte Umstand, daß nichtserbische Asylbewerber generell "den Serben" eine Anwendung des Amnestiegesetzes nicht zutrauen, rechtfertigt nicht die Annahme, es handele sich lediglich um eine im Gefolge des Dayton-Abkommens aus politischen Gründen gewährte Strafbefreiung nur "auf dem Papier", die der serbische Staat insbesondere albanischen Volkszugehörigen in Wahrheit nicht zugute kommen lassen wolle. Selbst die zu der Frage bisher kritischste Institution, der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), geht von einer durch den Erlaß des Amnestiegesetzes begründeten Rückkehrmöglichkeit der Betroffenen aus.

Speziell zur Behandlung von im jugoslawischen Bürgerkrieg desertierten Soldaten der ehemaligen Volksarmee bei Rückkehr nach Jugoslawien hat der Senat aufgrund behaupteter Mißhandlungen in Einzelfällen eine Auskunft des Auswärtigen Amts eingeholt. Nach dem Antwortschreiben vom 7.4.1997 - 514-516.80/27 922 - konnten auch Menschenrechtsgruppen auf Anfrage der Deutschen Botschaft in Belgrad keine Angaben über Fälle der Mißhandlung oder Verfolgung von in den Kosovo zurückgekehrten Deserteuren liefern. Vor diesem Hintergrund kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß der Kläger zum heutigen Zeitpunkt noch für sein Verhalten während des Wehrdienstes in Beli Manastir zur Rechenschaft gezogen würde.

Der Kläger hat nach der Auskunftslage im Rückkehrfalle ferner weder allein in bezug auf eine unerlaubte Ausreise noch wegen der Stellung eines Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland politische Verfolgung zu erwarten.

Allein die Verwandtschaft mit einem von den seit 1990 serbisch dominierten Sicherheitskräften im Kosovo Gesuchten - hier nach dem erstinstanzlichen Vorbringen einmal unterstellt für den Bruder - würde ebenfalls nicht schon eine über eine lediglich latente Gefährdungslage hinausgehende konkrete Gefahr (eigener) politischer Verfolgung für ihn persönlich begründen. Selbst für Ehegatten läßt sich nicht festellen, daß die serbischen Behörden generell eine Angehörigenverfolgung im Sinne einer asylrechtlich erheblichen Sippenhaft praktizieren.