VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Urteil vom 06.04.1998 - A 2 K 602/96 - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13500
Leitsatz:
Schlagwörter: Eritrea, Zeugen Jehovas, Flüchtlingsfrauen, Minderheiten, religiös motivierte Verfolgung, Gruppenverfolgung, Religiöses Existenzminimum, Abschiebungsschutz, Situation bei Rückkehr, Illegale Ausreise, Wehrdienstentziehung, Strafverfolgung, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Politmalus
Normen: GG Art. 16a; AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Das Gericht lehnt gegenwärtig die Annahme einer Gruppenverfolgung eritreischer Staatsangehöriger mit der Religionszugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas ab.

Es ist zwar festzustellen, daß Zeugen Jehovas mit einer geschätzten Mitgliederzahl von ca. 2000 eine Außenseitergruppe in der eritreischen Gesellschaft darstellen und der Staat bei der Nichterfüllung der staatsbürgerlichen Pflichten sehr empfindlich reagiert. So kann der Verlust des Arbeitsplatzes im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden und für die Erteilung eines Ausreisevisums ist die Ableistung des Wehrdienstes eine Grundvoraussetzung. Die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas ist indes nicht verboten und es ist auch keine grundsätzliche Diskriminierung wegen der Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft festzustellen, so daß von einer flächendeckenden Verfolgung der Zeugen Jehovas in Eritrea nicht gesprochen werden kann, da das religiöse Existenzminimum für sie jedenfalls gewährleistet ist.

Die von der Klägerin zu 1) erlittenen staatlichen Beeinträchtigungen (Verlust der Wohnung, der Arbeit, des Personalausweises und der Gewerbegenehmigung) stellen - selbst wenn sie an ihre Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas angeknüpft gewesen sind - keine asylerhebliche Verfolgung dar, weil derartige Eingriffe in die Menschenwürde nicht die Intensität haben, die nach der humanitären Intention, die das Asylrecht trägt, erforderlich wäre. Die Klägerin zu 1) ist durch diese Maßnahmen nicht an den Rand ihrer menschlichen Existenz gedrängt worden und in eine ausweglose Lage geraten.

Die Klägerinnen haben jedoch einen Anspruch auf die Feststellung der Beklagten, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich ihrer Abschiebung nach Eritrea vorliegen.

Die Ausgrenzung der Zeugen Jehovas durch die eritreische Regierung ist die Folge ihrer Verweigerung, an der Wahl zur Unabhängigkeit Eritreas teilzunehmen. Schließlich wurden den Zeugen Jehovas durch ein Dekret des eritreischen Staatspräsidenten vom 25. Oktober 1994 die staatsbürgerlichen Rechte entzogen. Nach einer Erklärung des eritreischen Innenministeriums vom 1. März 1995 wird diese Maßnahme damit begründet, daß die Zeugen Jehovas sich nicht am bewaffneten Unabhängigkeitskampf beteiligt haben, nicht am Referendum über die Unabhängigkeit teilgenommen haben und die nationale Dienstpflicht verweigern. Dem gegenüber sind gottesdienstliche Handlungen im engeren Sinne, die nicht in der Öffentlichkeit stattfinden, bisher nicht verboten worden.

Die Klägerin zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt, daß sie von den oben geschilderten Maßnahmen betroffen war und für sie seit 1994 die Lebensbedingungen in Eritrea unzumutbar waren. Hinzu kommt, daß sie sich durch ihre illegale Ausreise dem Wehrdienst enzogen hat und sie bei Fortführung der Wehrdienstverweigerung in ihrem Heimatland eine Strafverfolgung zu befürchten hat.

Das Institut für Afrika-Kunde hat in seiner Auskunft vom 8. Februar 1996 festgestellt, daß dienjenigen Zeugen Jehovas, die zwangsweise zur Ableistung des nationalen Dienstes eingezogen worden sind und dann auch danach ihre in ihrem religiösen Glauben begründete Verweigerung aufrechterhalten haben, in oder bei den Ausbildungslagern für die Grundausbildung inhaftiert werden und sich nicht im regulären Strafvollzug befinden. Das Auswärtige Amt trifft in seiner Auskunft vom 27. März 1996 lediglich die Feststellung, daß eine Andersbehandlung der Zeugen Jehovas nicht feststellbar ist, weil es keine andere Gruppe gibt, die sich in ähnlicher Weise dem Militärdienst zu entziehen versucht.

Berücksichtigt man aber, daß die Zeugen Jehovas, die die Ableistung des nationalen Dienstes verweigert haben, zwangsweise eingezogen und bei fortdauernder Verweigerung inhaftiert wurden, alle als solche bekannten Zeugen Jehovas, die im öffentlichen Dienst beschäftigt waren, entlassen wurden, diejenigen Zeugen Jehovas, die eine Gewerbe- oder Geschäftslizenz hatten, diese Lizenz entzogen und die Betriebe und Geschäfte geschlossen wurden, Zeugen Jehovas nicht mehr berechtigt sind, in Wohnungen oder Häusern zu wohnen, die in staatlichem Besitz sind, kann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, daß eine Strafverfolgung nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht, sondern sie aufgrund ihrer Glaubenszugehörigkeit härtere Strafen zu erwarten haben.