OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 03.04.1998 - 10 A 11891/96.OVG - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13518
Leitsatz:
Schlagwörter: Somalia, Eritreer, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Situation bei Rückkehr, Menschenrechtswidrige Behandlung, EMRK, Europäische Menschenrechtskonvention, Bürgerkrieg, Gebietsgewalt, Clans, Existenzminimum, Berufung
Normen: AuslG § 53 Abs. 4; AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

§ 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK verbietet die Abschiebung nur dann, wenn im Zielland landesweit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation oder zwar durch Dritte droht, dann aber dem Staat oder einer staatsähnlichen Organisation zuzurechnen ist, weil er/sie die Mißhandlungen veranlaßt, bewußt duldet oder ihnen gegenüber trotz der Fähigkeit hierzu keinen Schutz gewährt. In Somalia existiert derzeit keine zu unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK taugliche staatliche oder staatsähnliche Herrschaftsgewalt.

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß es in absehbarer Zeit zur Errichtung einer staatlichen oder staatsähnlichen gesamtsomalischen Herrschaftsmacht kommt. Nach dem bisherigen Verlauf der Auseinandersetzungen zwischen den beiden hierauf ausgerichteten Kräften erscheint es ausgeschlossen, daß es einer von ihnen demnächst gelingen wird, sich insofern gewaltsam durchzusetzen. Das gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß sich in letzter Zeit vermehrt Gruppierungen von "Aideed" ab- und Ali Mahdi zugewandt haben, hat sich "Aideed" doch gleichwohl immer noch als stark genug erwiesen, dem Machtstreben des Rivalen Grenzen zu setzen.

Es existieren in Somalia aber auch keine Regionalstaaten oder regionalen quasi-staatlichen Machtgebilde.

Der Kläger kann von der Beklagten die Feststellung erlangen, daß in seiner Person ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG für Somalia besteht, weil er bei einer Abschiebung nach Somalia an Leib und Leben extrem gefährdet wäre. Von besonderer Bedeutung ist insofern, daß den Kläger mit Somalia - bis möglicherweise auf die Staatsangehörigkeit - nichts verbindet, sondern er aus Eritrea stammt und nicht einmal Somali spricht. Der Kläger ist mit anderen Worten völlig fremd in Somalia und untersteht damit insbesondere nicht dem Schutz einer Großfamilie (Clan, Subclan, Stamm), der für die persönliche Sicherheit eines Somali entscheidend ist. Ihm wäre es deshalb in Zentral- und Südsomalia, wo weiterhin zwischen den Clans, Fraktionen und Allianzen um die Vorherrschaft gekämpft wird und bewaffnete Auseinandersetzungen jederzeit und allerorten ausbrechen können, von vornherein abgeschnitten, sich in das von "seinem Clan" kontrollierte Gebiet zu begeben und sich so nicht nur dem Bürgerkriegsgeschehen in gewissem Umfang zu entziehen, sondern auch im übrigen gegen Übergriffe krimineller Banden und der teilweise vollkommen unkontrolliert operierenden Milizen eines besseren Schutzes zu vergewissern.

Zu letzterem ist hervorzuheben, daß Angehörige ethnischer Minderheiten und sozialer Randgruppen - und damit erst recht "fremde Einzelgänger" - häufiger Opfer von Gewalttaten sind als Angehörige von Clans. So sind denn auch der Einschätzung des Auswärtigen Amtes diese Landesteile wegen der "prekären Sicherheitslage" nicht bereisbar und kann eine Rückkehr nur in das jeweile Clan-Gebiet erfolgen, ohne daß dabei das Gebiet gerade feindlicher Stämme durchquert werden darf. Der Kläger wäre damit als Fremder in Zentral- und Südsomalia schon wegen unmittelbar drohender Anschläge auf seine Person extrem an Leib und Leben gefährdet.

In Nordwestsomalia - "Somaliland" - und Nordostsomalia ist zwar die allgemeine Sicherheitslage besser und finden auch keine größeren Kampfhandlungen mehr statt. Der Senat ist jedoch davon überzeugt, daß der Kläger dort als völlig Fremder keine Existenzmöglichkeit fände mit der Folge von Unterernährung bis hin zum Hungertod.