VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 18.02.1998 - 3 K 188/94.A - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13532
Leitsatz:
Schlagwörter: Zaire, Demokratische Republik Kongo, PDSC, Demonstrationen, Haft, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Machtwechsel, Herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis
Normen: GG Art. 16a; AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 4; AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

Das Bundesamt hat zu Recht die Asylberechtigung und die Festellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG versagt.

Angesichts der Vielgestaltigkeit und Wandelbarkeit politischer Einstellungen und Ziele, welche eine Verfolgung auslösen können, bedarf es regelmäßig einer genaueren Nachprüfung, ob eine Vorverfolgung wegen bestimmter politischer Überzeugungen auch unter veränderten politischen Verhältnissen - wie etwa einem Regimewechsel - ein fortdauerndes Wiederholungsrisiko indiziert. Die Anwendung des herabgestuften Prognosemaßstabes ist in solchen Fällen grundsätzlich nur dann gerechtfertigt, wenn das erhöhte Risiko besteht, daß die (Vor-)Verfolgung wegen einer politischen Betätigung in der Vergangenheit wiederauflebt oder sich nach deren Fortsetzung oder Wiederaufnahme im Ausland wiederholt. Dagegen ist der die Herabstufung des Prognosemaßstabes rechtfertigende innere Zusammenhang unterbrochen, wenn künftige Verfolgung wegen einer neuen, auf andere politische Ziele oder Inhalte gerichteten politischen Betätigung oder etwa nach einer Änderung der politischen Überzeugung droht.

Bei Anwendung dieser Maßstäbe haben Staatsangehörige der Demokratischen Republik Kongo, die vor dem Machtwechsel am 17. Mai 1997 aus ihrem Heimatstaat wegen diesem zurechenbarer politischer Verfolgung ausgereist sind, keinen Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG, weil der ein erhöhtes Verfolgungsrisiko indizierende und deshalb die Nachweiserleichterung rechtfertigende innere Zusammenhang zwischen Vorverfolgung und befürchteter Rückkehrverfolgung nicht besteht und die Rückkehrverfolgung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.

Die Feststellung, ob für die Ausreise die angegebene Vorverfolgung ursächlich war oder nicht, ist deshalb nicht geboten. Die Vorverfolgung war eine politische, wenn sie gegen eine vorhandene oder vermutete Gegnerschaft zum Regime des Präsidenten Mobutu gerichtet war. Dieses Regime ist durch die AFDL kriegerisch besiegt, seine Repräsentanten sind aus dem Land vertrieben oder festgenommen worden, Mobutu ist zwischenzeitlich verstorben. Der nahezu widerstandslose Rückzug von der Macht, der Tod des einstigen Führers und das offenkundige Fehlen ausländischer Unterstützung für die früheren Machthaber lassen es nicht erwarten, daß das gestürzte Regime die Macht wiedererlangt. In politischen Kräften, die gegen Mobutu aktiv waren, werden grundsätzlich potentielle Kooperationspartner gesehen. Anhänger und Aktivisten oppositioneller Gruppierungen der Mobutu-Zeit haben wegen ihrer Opposition zum Mobutu-Regime politische Verfolgung nicht zu befürchten. Diese (in den in das Verfahren eingeführten Stellungnahmen anderer Auskunftspersonen und -stellen nicht ernstlich angezweifelten) nachvollziehbaren Einschätzungen verbieten die Annahme, daß die wegen einer politischen Betätigung in der Vergangenheit (gegen das Mobutu-Regime) erlittene Verfolgung wiederauflebt oder sich nach der Fortsetzung oder Wiederaufnahme der Betätigung im Ausland (gegen das Mobutu-Regimne) wiederholt. Künftige Verfolgung steht nicht mehr in Zusammenhang mit der Vorverfolgung, sondern kann allenfalls wegen einer neuen, auf andere politische Ziele oder Inhalte gerichteten politischen Betätigung drohen. Deren Berücksichtigung setzt für Vorverfolgte wie für unverfolgt ausgereiste Staatsangehörige der Demokratischen Republik Kongo voraus, daß das Maß der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erreicht ist.

Im wesentlichen übereinstimmende Berichte über Verfolgungsmaßnahmen unterschiedlichster Art und Intensität benennen als Opfer Führungspersönlichkeiten des Mobutu-Regimes, Angehörige des Hutu-Volkes, insbesondere Flüchtlinge aus Ruanda, kritische Journalisten, Menschenrechts- und andere Nichtregierungsorganisationen sowie Anhänger von Oppositionsparteien, auch Studenten, die sich an Demonstrationen und öffentlichen Parteiveranstaltungen beteiligt hatten.

Für eine Gefährdung von Asylbewerbern, die unter Berufung auf die Gegnerschaft zum Mobutu-Regime ausgereist sind, geben derartige Referenzfälle nichts her. Dies gilt nach der Überzeugung der Kammer auch in Fällen, in denen vorgetragen ist, in Deutschland in die PDSC eingetreten zu sein und nach dem Machtwechsel im Heimatstaat in Deutschland an Protesten gegen das Kabila-Regime teilgenommen zu haben und/oder bei einer Rückkehr verfolgungsrelevante Oppositionstätigkeit zu beabsichtigen. Mit dem VG Köln geht die Kammer davon aus, daß derartige exilpolitische Aktivitäten seitens des Kabila-Regimes nicht beachtet werden, weil sie ohne Einfluß auf den Machterhalt sind, und daß sie bei Bekanntwerden als Handlungen eingestuft werden, die wesentlich von dem Bemühen um Sicherung des Bleiberechts im europäischen Ausland getragen werden. Sie folgt ferner der in den angeführten Entscheidungen niedergelegten Rechtsauffassung, daß Absichtserklärungen von Asylbewerbern hinsichtlich eines künftigen Verhaltens im Heimatstaat keine Tatsachen belegen, die bei der gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlzung abzustellenden Gerichtsentscheidung zu berücksichtigen sind, weil weder von der Richtigkeit der behaupteten Absicht noch von ihrer Nachhaltigkeit ausgegangen werden kann.

Die Tatsachen, daß den neuen Machthabern in der Demokratischen Republik Kongo auch schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen zugeschrieben werden und daß die Einschätzung, Kabila und die Führung der AFDL könnten die übergangsweise beanspruchte Machtfülle dauerhaft anstreben, nicht abwegig erscheint, könnten die beachtliche Gefahr politischer Verfolgung nur indizieren, wenn zusätzlich hinreichend deutliche Anhaltspunkte für die Annahme vorlägen, Maßnahmen der (der Beachtung der Menschenrechte nicht in gebotenem Maße verpflichteten und rechtstaatlichen Kontrollen nicht unterworfenen) Machthaber würden sich absehbar gegen bestimmte Personen oder Gruppen von Personen wegen deren Abschiebungsschutz gebietender Merkmale und Eigenschaften im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG richten. Dies ist, wie angeführt, vorliegend nicht der Fall.

Das Bundesamt hat zu Recht festgestellt, daß Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Der Klagevortrag gibt nichts für die Annahme der konkreten Foltergefahr (§ 53 Abs. 1 AuslG) oder der Gefahr der Todesstrafe (§ 53 Abs. 2 AuslG) her. Auch ergibt sich nicht aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. 1952 II S. 686 (EMRK), daß die Abschiebung unzulässig ist (§ 53 Abs. 4 AuslG).

Ebensowenig liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Absehen von einer Abschiebung nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG vor.

Die Anwendbarkeit der beiden letztgenannten Vorschriften setzt eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit (§ 53 Abs. 6 S. 1 AuslG) bzw. konkrete und ernsthafte Gründe voraus, die dafür sprechen, daß ein Ausländer infolge der Abschiebung der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen wird (Art. 3 EMRK). Eine damit erforderliche Verdichtung und Konkretisierung der Gefährdungssituation in der Demokratischen Republik Kongo derart, daß dort nahezu jedermann zu jeder Zeit einer individuellen Gefährdung von Leben, Gesundheit oder Freiheit ausgesetzt ist, läßt sich derzeit und für die absehbare Zukunft nicht feststellen. Dem steht nicht entgegen, daß die Sicherheitslage und die wirtschaftliche und soziale Situation der Bevölkerung bedrohlich sind.