VG Weimar

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Zitieren als:
VG Weimar, Beschluss vom 24.06.1998 - 6 E 20467/98.We - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13544
Leitsatz:
Schlagwörter: Jugoslawien, Kosovo, Albaner, Folgeantrag, Änderung der Sachlage, Menschenrechtsverletzungen, Gruppenverfolgung, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Einstweilige Anordnung
Normen: VwGO § 123 Abs. 5; AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51
Auszüge:

Der Antragsteller hat nach der summarischen Prüfung im Eilverfahren einen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens.

Auf einen Folgeantrag ist gemäß § 71 Abs. 1 S. 1 AsylVfG ein weiteres Asylverfahren dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG - zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen.

Aufgrund der sich seit dem 28.2.1998 dramatisch zuspitzenden Lage im Kosovo ist eine möglicherweise asylrelevante Verschärfung der dortigen Situation eingetreten. Ursache dieser seit Jahren schwersten Zusammenstöße war nach Angaben der amtlichen jugoslawischen Nachrichtenagentur Tanjug ein Überfall von Kämpfern der Befreiungsarmee für den Kosovo UCK auf eine serbische Polizeistreife am 28.2.1998. Nach Angaben kosovo-albanischer Quellen wurden daraufhin von der serbischen Miliz mehrere Ortschaften in der Region abgeriegelt und die dortigen Häuser wahllos beschossen. Bei den Polizeiaktionen wurden Panzerfahrzeuge und Hubschrauber eingesetzt ("Viele Tote bei Zusammenstößen im Kosovo" in der FAZ v. 2.2.98). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 3.3.1998 ist eine Prognose für die weiteren Entwicklungen der Spannungen im Kosovo derzeit nicht möglich. Einerseits werde immer stärker Druck auf die jugoslawische Regierung ausgeübt, die Auseinandersetzungen im Kosovo nicht eskalieren zu lassen. Andererseits seien junge Kosovo-Albaner und vor allem die ländliche Bevölkerung zu gewalttätigen Demonstrationen bereit, die zu polizeilichen Gegenmaßnahmen führen könnten.

Diese Einschätzung ist auch mittlerweile nicht überholt. Im Gegenteil hat sich der Konflikt weiter verschärft. Nach aktuellen Pressemitteilungen hat die serbische Seite auch in den letzten Tagen nicht nachgelassen, ihre militärische Stärke gegenüber der albanischen Bevölkerung zu demonstrieren. Das albanische Menschenrechtskomitee gab nach einer Meldung der Deutschen Presse Agentur vom 9.6.1998 bekannt, daß seit Jahresbeginn im Kosovo mindestens 246 Bewohner albanischer Abstammung getötet worden seien, während das Innenministerium in Belgrad von 161 Opfern der Kämpfe sprach, wovon 108 Albaner gewesen seien. Der Konflikt konnte auch durch die Abhaltung von Flugmanövern der NATO in Mazedonien und Albanien und ein Treffen des russischen Präsidenten Jelzin mit dem serbischen Präsidenten Milosevic nicht eingedämmt werden.

Zum momentanen Zeitpunkt jedenfalls läßt sich anhand der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht ausschließen, daß sich durch die Verschärfung der Situation auch die asylrechtliche Beurteilung des Schicksals des Antragstellers ändert und somit eine im Rahmen des § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG relevante Änderung der Sachlage vorliegt.

Jedoch muß auch im Rahmen eines Folgeantragsverfahrens mit der erforderlichen Richtigkeitsgewißheit festgestellt werden, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen. Nur wenn hieran keine "ernstlichen Zweifel" i.S.v. § 36 Abs. 4 AsylVfG bestehen, kann der gerichtliche Eilrechtsschutz versagt werden (BVerfG, Beschluß vom 4.10.95, NVwZ-Beilage 1995, 2,3). Diese Voraussetzungen sind hier jedoch aufgrund der momentanen unklaren Situation im Kosovo nicht gegeben.