OVG Saarland

Merkliste
Zitieren als:
OVG Saarland, Urteil vom 05.06.1998 - 3 R 53/98 - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13546
Leitsatz:
Schlagwörter: Jugoslawien, Kosovo, Albaner, Parlamentarische Partei Kosovo, PPK, Demonstrationen, Inhaftierung, Diskriminierung, Entlassung, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Antragstellung als Asylgrund, Gruppenverfolgung, Verfolgungsdichte, Verfolgungsprogramm, Bewaffnete Auseinandersetzungen, UCK
Normen: GG Art. 16a; AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Ein Asylanspruch der Kläger ergibt sich zunächst nicht unter dem Gesichtspunkt unmittelbar staatlicher oder dem jugoslawischen Staat mittelbar zurechenbarer Gruppenverfolgung albanischer Volkszugehöriger in Restjugoslawien beziehungsweise in der - heutigen - Bundesrepublik Jugoslawien. Weder für den Zeitpunkt der Ausreise des Kläger im Februar/März 1993 noch für die Zeit danach ist eine Gruppenverfolgung aller Albaner im Kosovo feststellbar.

Es liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein entsprechendes staatliches Verfolgungsprogramm vor, das die Feststellung der für die Gruppenverfolgung nach der Rechtsprechung grundsätzlich erforderlichen Verfolgungsdichte im Falle unmittelbar staatlicher Verfolgung ausnahmsweise entbehrlich machte.

Diese Einschätzung ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) auch angesichts der fortgeschrittenen gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der serbischen Polizei bzw. jugoslawischen Armee und bewaffneten Kosovo-Albanern noch gerechtfertigt. Diese Auseinandersetzungen, die Ende Februar 1998 begonnen haben und denen mehrfach Gefechte Ende 1997 und Anfang 1998 in dem sog. Drenica-Gebiet, einem Gebiet zwischen den Orten Klina, Srbica und Glogovac, vorausgegangen waren, hatten sich zunächst auf die Drenica-Region sowie das Grenzgebiet zu Albanien mit dem Ort Decani konzentriert.

Nach Presseberichten hatten verschiedene Überfälle der UCK, die sich bis Ende Februar 1998 zu etwa 40 Morden an Serben und - zur serbischen Regierung loyal stehenden - Albanern im Kosovo sowie Anschlägen im benachbarten Mazedonien seit Frühjahr 1996 bekannt hatte, "Terrorismusbekämpfungsmaßnahmen" der serbischen Polizei im Drenica-Dreieck, einer vermuteten Hochburg der UCK, die sich als massive Übergriffe auf die Zivilbevölkerung herausstellten, zur Folge, die u.a. zahlreiche Tote und Verletzte sowie Verwüstungen von Dörfern mit sich brachten.

Unter den Opfern der Massaker von Ende Februar/Anfang März 1998, die angeblich Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung sein sollten, befanden sich Personen jeden Alters und Geschlechts, also auch Kinder und Alte. Die Angaben der serbischen und der albanischen Seite darüber, was jeweils Ursache der Auseinandersetzungen war und von welcher Seite die Aggression ausging, gehen hier wie im gesamten Konflikt erheblich auseinander.

Auch im Grenzgebiet zu Albanien kam es zu zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen Armee und Polizei sowie bewaffneten Kosovo-Albanern, die von der serbischen Seite des Waffenschmuggels verdächtigt wurden. In der erklärten Absicht, gegen aus Albanien eingeschleuste "Terroristen" im Kosovo vorzugehen, wurden in der Nähe von Djakovica und Decani von der Armee u.a. schwere Artilleriegeschütze in Stellung gebracht und automatische Waffen an dort lebende Serben verteilt. Fortlaufend wurden Zwischenfälle gemeldet, bei denen es auch zu Todesopfern gekommen ist. Einheiten der Spezialpolizei kesselten u.a. nach eigenen Angaben bis zu 200 albanische Untergrundkämpfer im Grenzgebiet ein, nachdem am Vortag bewaffnete Albaner einen mit 30 Mann besetzten Polizeiposten in Ponosevac angegriffen hatten, wobei es bei diesen Gefechten und weiteren nahe der Stadt Klina zu mehreren Toten und Verletzten kam. Nach kosovo-albanischen Angaben wurden dagegen von serbischen Sicherheitskräften mehrere Dörfer und Weiler im Grenzraum unter Beschuß genommen mit dem Ziel, die albanische Bevölkerung zu terrorisieren und aus dem Grenzgebiet zu verjagen.

Schwer betroffen von den Auseinandersetzungen ist also neben der Drenica-Region das Grenzgebiet zu Albanien jenseits der Hauptstraße Prizren-Djakovica-Pec. Darüber hinaus wurden aber auch vom montenegrinischen Abschnitt der jugoslawischen Grenze mit Albanien bewaffnete Zusammenstöße gemeldet.

Die Kämpfe zwischen Albanern und serbischen Polizisten setzten sich fort und nähern sich zunehmend Pristina. Die größte Ost-West-Autobahn, also die Straße zwischen Pristina und Pec, wurde nur zwölf Kilometer von Pristina entfernt gesperrt.

Die Auseinandersetzungen zwischen serbischer Polizei und Armee einerseits und UCK-Kämpfern andererseits reichen mittlerweile also über die bisher räumlich klar abgegrenzten Gebiete, die Drenica-Region und die Grenzregion zu Albanien, hinaus und haben nicht nur zu zahlreichen Toten und Verletzten auch im Bereich der Zivilbevölkerung geführt, sondern zudem Tausende von Kosovo-Albanern aus diesen Gebieten bewogen, teils nach Albanien, teils nach Montenegro, teils aber auch in sichere Gebiete des Kosovo zu flüchten.

Die unabhängig von der Rolle der UCK im Einzelfall zu sehenden zahlreichen erheblichen Übergriffe der serbischen Seite zu Lasten der albanischen Zivilbevölkerung rechtfertigen es indes nicht, eine Gruppenverfolgung aller ethnischen Albaner im Kosovo anzunehmen. Die Übergriffe finden zum einen nicht im gesamten Kosovo statt, denn der Osten der Provinz ist bisher von den Auseinandersetzungen nicht erfaßt worden. Zudem zeichnen sich die Opfer von Übergriffen überwiegend nicht allein durch ihre albanische Volkszugehörigkeit, sondern auch durch ihre vermutete oder tatsächliche - familiäre oder räumliche - Nähe zur UCK, die keinen unerheblichen Beitrag zum Erreichen des jetzigen Standes der Auseinandersetzungen geleistet hat, aus. Gerade in Orten, die von der serbischen Seite als Hochburg oder Rückzugspunkt der UCK angesehen werden, ist zweifellos auch die nicht den UCK-Kämpfern zuzurechnende Zivilbevölkerung besonders gefährdet. Gewichtige Anhaltspunkte dafür, daß der serbische Staat dagegen alle ethnischen Albaner schlechthin als UCK-Angehörige ansieht und bekämpfen will, vorerst aber aus politischen Gründen in bestimmten Teilen des Kosovos davon absieht, sieht der Senat nicht. Es gibt auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, daß etwa jedem Asylbewerber vom serbischen Staat unterstellt würde, mit der UCK in Verbindung zu stehen.

Der Kläger hat auch nicht dargetan, daß er sein Heimatland zu begründeter Furcht vor politischer Verfolgung verlassen und für den Fall seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylerhebliche Maßnahmen zu befürchten hat.

Denn sein Vorbringen weist eine Vielzahl von Ungereimtheiten und Widersprüchen, sowie erhebliche Steigerungen auf.