SG Augsburg

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Zitieren als:
SG Augsburg, Urteil vom 09.03.1998 - S 10 EG 19/97 - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13636
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Konventionsflüchtlinge, Vietnamesen, Erziehungsgeld, Aufenthaltserlaubnis, Erlaubnisfiktion, Genfer Flüchtlingskonvention, Arbeitnehmer, Gemeinschaftsrecht, Familienleistungen
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; BerzGG § 1 Abs. 1a S. 1; AsylVfG § 68 Abs. 1 S. 2
Auszüge:

Der Klägerin steht aufgrund ihres gegenwärtigen ausländerrechtlichen Statuses kein Erziehungsgeld für ihre am 15.12.1996 geborene Tochter zu.

Die vorstehend auszugsweise zitierte höchstrichterliche Rechtsprechung dokumentiert, daß es nach § 1 Abs. 1 a S. 1 BErzGG in der ab 27.6.1993 geltenden Fassung auf den Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des Ausländergesetzes (unverändert) ankommt.

Hiervon kann auch nicht im Hinblick auf die Vorschriften des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) Abstand genommen werden. § 68 Abs. 1 des AsylVfG bestimmt, daß dem Ausländer eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, wenn er unanfechtbar als Asylberechtigter anerkannt ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gilt sein Aufenthalt im Bundesgebiet als erlaubt.

In Berücksichtigung der Hinweise auf die Genfer Flüchtlingskonvention ist folgendes zu erwidern:

Nach Art. 23 der Genfer Flüchtlingskonvention (publiziert u.a. in Satorius II Nr. 28) werden die vertragsschließenden Staaten den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Staatsgebiet aufhalten, auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge und sonstigen Hilfeleistungen die gleiche Behandlung wie ihren eigenen Staatsangehörigen gewähren. - Hiermit sind vor allem Leistungen nach dem BSHG gemeint. Leistungen nach dem BErzGG fallen nicht hierunter, weil Erziehungsgeld als Ausgleich für einen (zeitweilig) aufgegebenen Arbeitsplatz gewährt wird.

Die Klägerin kann sich auch nicht auf Art. 24 der Genfer Flüchtlingskonvention stützen. Denn dort haben sich die vertragsschließenden Staaten lediglich verpflichtet, auch im Bereich des Arbeitsrechtes und der sozialen Sicherheit Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Gebiet aufhalten, dieselbe Behandlung zu gewähren wie ihren Staatsangehörigen, wenn es sich um die dort genannten katalogmäßig aufgeführten Angelegenheiten handelt. - Zum einen fallen Erziehungsgeldleistungen nicht unter den Begriff "Familienbeihilfe", weil es sich um einen Teil des Familienlastenausgleichs bzw. nunmehr Familienleistungsausgleich handelt. Zum anderen handelt es sich um eine staatliche Leistung, die ausschließlich aus öffentlichen Mitteln bestritten wird, so daß insoweit der Vorbehalt in Art. 24 Nr. 1 b i.i. der Genfer Flüchtlingskonvention greift.

Die Klägerin kann sich auch nicht auf die zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 10.10.1996 verbundene Rechtssache C-245/94 und C-312/94 Ingrid Hoever und Iris Zachow gegen Land Nordrhein-Westfalen (Die Sozialgerichtbarkeit 1997, S. 449 ff mit Besprechung von Prof. Dr. Eberhard Eichenhofer) berufen.

Der EuGH legt in seiner Entscheidung vom 10.19.1996 dar, daß die Klägerinnen nicht in den persönlichen Geltungsbereich der VO (EG) Nr. 1408/71 fallen, da sie nicht in Deutschland sozialversicherungspflichtig sind. Hingegen unterfielen die Ehemänner der Klägerinnen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 aufgrund ihrer Beschäftigung in Deutschland (Randnr. 29 des Urteils). Ferner stellt der EuGH fest, daß der Anspruch auf Erziehungsgeld nicht als eine vom Ehemann abgeleitete, sondern als eine originäre Sozialleistungsberechtigung anzusehen sei.

Mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 10.10.1996 ist entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut in § 1 Abs. 1 und 4 BErzGG Erziehungsgeld innerhalb der Europäischen Gemeinschaft begrenzt exportfähig geworden. Das Urteil hat ferner und im Widerspruch zu Art. 13 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71 zur Folge, daß den dortigen Klägerinnen zwar ein Anspruch auf niederländisches Kindergeld zusteht und dieser Anspruch auch gegenüber dem Anspruch auf deutsches Kindergeld vorrangig ist (vgl. Art. 76 VO (EWG) NR. 1408/71), in dessen ein Anspruch auf Erziehungsgeld nach deutschem Recht zustehen soll. Das ist ein Widerspruch, wenn Kindergeld und Erziehungsgeld gemeinsam als Familienleistung gelten, weshalb sie auch nach einem und demselben nationalen Recht beurteilt werden müssen (so die Kritik von Eichenhofer, aaO).

Für den hier zu entscheidenden Rechtsstreit ist von Bedeutung, daß es sich bei der Klägerin nicht um eine EG-Angehörige handelt, sondern um einen Flüchtling aus Vietnam. Die Grundsätze des Leistungstransfers innerhalb der Europäischen Gemeinschaft können nicht auf Fälle mit Auslandsberührung wie dem vorliegenden übertragen werden. Zum zweiten ist darauf hinzweisen, daß die Erweiterung von § 1 Abs. 1 und 4 BerzGG über den Wortlaut hinaus, wie sie der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 10.10.1996 vorgenommen hat, nicht gleichzeitig beinhaltet, daß von den nationalen Vorschriften des § 1 Abs. 1 a S. 1 BErzGG abgesehen werden darf. Und zum dritten ist die Klägerin selbst nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen.