VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Urteil vom 20.07.1998 - A 7 K 12643/95 - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13760
Leitsatz:
Schlagwörter: Algerien, Frauen, Diskriminierung, Kosmetikerin, Bekleidungsvorschriften, Alleinerziehende Frauen, Nichteheliche Kinder, Verfolgung durch Dritte, Geschlechtsspezifische Verfolgung, Bedrohung, Schutzbereitschaft, Klage, Bundesbeauftragter, Zustellung, Empfangsbekenntnis, Fristen, westliche Orientierung
Normen: GG Art. 16a
Auszüge:

Die Klage kann nicht als verfristet und damit unzulässig angesehen werden, obwohl die vom Beigeladenenvertreter mit Schriftsatz vom 5. Dezember 1997 zu Recht gerügte nachlässige Behandlung der Zustellungsvorschriften durch den Kläger, der trotz Erhalt des angegriffenen Bescheids am 18. August 1995 das beigefügte Empfangsbekenntnis erst mit Schreiben vom 01.September 1995 zurückgesandt hat, zu ernstlichen Zweifeln daran Anlaß gibt, ob dieser die Zustellungsvorschriften, insbesondere seine Verpflichtung zur unverzüglichen Rücksendung von Empfangsbekenntnissen mit der gebotenen Sorgfalt beachtet, wie sie auch sonst von jedem empfangsbevollmächtigten Rechtsanwalt gefordert wird. Da jedoch der Eingangsstempel des Klägers vom 18. August 1995 datiert, kann ihm nicht widerlegt werden, daß er an diesem Tage die angegriffene Verfügung erhalten hat und nicht schon, wie auch der Beigeladenen-Vertreter allenfalls vermuten kann, zu einem davorliegenden Zeitpunkt.

Zu Recht ist die Beigeladene von der Beklagten als Asylberechtigte anerkannt worden.

Die Beigeladene war im Zeitpunkt ihrer Ausreise aus Algerien unmittelbar von einer dem algerischen Staat mangels ausreichender Schutzbereitschaft zurechenbaren gewalttätigen Verfolgung durch Islamisten bedroht, die ihrer abweichenden und in ihrer grundlegenden Persönlichkeitsstruktur und Erziehung verwurzelten abweichenden liberal-westlichen Weltanschauung, ihrem Alleinleben als unverheiratete Frau, ihrer Bekleidungsform und ihrem äußeren Erscheinungsbild sowie nicht zuletzt ihrer Berufstätigkeit in einem islamistischen Vorstellungen zuwiderlaufenden Berufsfeld galt.

Vor diesem Hintergrund kann nicht mit der erforderlichen hinreichenden Sicherheit ausgeschlossen werden, daß sie im Falle einer Rückkehr unter den heutigen Umständen in Algerien Opfer eines an diese Persönlichkeitsmerkmale anknüpfenden Anschlags auf ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit wird.

Außerdem müßte sie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als eine aus dem Exil als alleinerziehende Mutter eines nichtehelichen Kindes zurückkehrende Frau befürchten, in Algerien ihr Kind staatlicherseits zwangsweise entzogen zu bekommen und obendrein als eine solche Frau mangels verwandtschaftlicher und staatlicher Unterstützung infolge gesellschaftlicher Ächtung den zum Überleben notwendigen Lebensunterhalt nicht mehr durch eigene Berufstätigkeit erwirtschaften zu können, was ebenfalls Folge ihrer abweichenden Persönlichkeit und Lebenseinstellung sowie Weltanschauung und daher asylrelevant wäre.