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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 16.10.1998 - 2 BvR 1328/96 - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13796
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Medienberichterstattung, Abschiebungsschutz, Verfassungsbeschwerde, Gleichheitsgrundsatz, Willkürverbot, Wahrunterstellung, Beweismittel, Rechtliches Gehör, Urteilsgründe, Zurückverweisung
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 1
Auszüge:

Das angegriffene Urteil verstößt aufgrund der hier gegebenen Besonderheiten gegen Art. 3 Abs. 1 GG, soweit es die Klage des Beschwerdeführers auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG abgewiesen hat.

Aus dem Willkürverbot ergibt sich zwar kein allgemeiner verfassungsrechtlicher Begründungszwang. Jedoch ist zu berücksichtigen, daß die verfassungsrechtliche Gebundenheit des Richters an Gesetz und Recht - je nach Besonderheit des Einzelfalles - von Verfassungs wegen eine Begründungspflicht zur Folge haben kann.

Diesem verfassungsrechtlichen Maßstab werden die Erwägungen mit denen das Verwaltungsgericht das Vorliegen einer Rückkehrgefährdung wegen exilpolitischer Betätigung und ein sich hieraus ergebendes Abschiebungsverbot im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG verneint hat, nicht gerecht. Es versteht sich keinesfalls von selbst, daß ein Auftritt im Fernsehn für die Anwendung des § 51 AuslG unerheblich ist.

Die Begründung des Verwaltungsgerichs läßt nicht erkennen auf welcher Grundlage es zu seiner Beurteilung kommt. Es fehlt jegliche Darlegung, welche Kritrerien das Gericht im Rahmen der Prüfung des § 51 Abs. 1 AuslG zur Abgrenzung zwischen unbedeutenden und bedeutenden exilpolitischen Aktivitäten herangezogen hat.

Der Begründungsausfall wiegt umso schwerer, als das Gericht, das den Vortrag zum Fernsehinterview ausdrücklich als wahr unterstellt, zugleich im unklaren läßt, auf welche genaue Tatsachengrundlage es seine Beurteilung stützt. Das ist bedeutsam, weil der Umstand, daß das Gericht den Beweisantrag des Beschwerdeführers mit einer - wie auch das OVG festgestellt hat - völlig unverständlichen Begründung abgelehnt hat, sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 103 Abs. 1 GG nur dann als verfassungsrechtlich unbedenklich erweist, wenn sich der als wahr unterstellte Sachverhalt mit der Einlassung des Beschwerdeführers deckt. Das Gericht erwähnt insoweit zwar ganz allgemein die Tatsache des Interviews. Im weiteren wird jedoch lediglich darauf abgestellt, daß der Beschwerdeführer zu seinen Aktivitäten beim Fernsehsender "Offener Kanal" geschildert habe, er helfe mit, bediene auch eine Kamera, beteilige sich an Sitzungen. Die Feststellung des Gerichts steht in offenem Widerspruch zur Einlassung des Beschwerdeführers, er selbst sei in der Sendung aufgetreten und habe ein ausführliches Interview gegeben, in welchem er dezidiert regime- und religionskritische Positionen vertreten habe. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Gericht auf diesem Wege letztlich versucht, den Konsequenzen seiner Wahrunterstellung zu entgehen. Jedenfalls fehlt auch insoweit eine nachvollziehbare Begründung.

Fehlt es an jeglicher Darlegung und Präzisierung des anzuwendenden rechtlichen Maßstabs, bleibt die Beurteilung des Fernsehinterviews als unbedeutende Aktivität willkürlich.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist sonach aufzuheben, soweit es die Klage auch hinsichtlich der begehrten Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG abgewiesen hat. Insoweit ist die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.