VG Berlin

Merkliste
Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 27.10.1998 - VG 33 X 385.98 - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13800
Leitsatz:
Schlagwörter: Somalia, Bürgerkrieg, Clans, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Extreme Gefahrenlage, Interne Fluchtalternative, Reisewege, Vorläufiger Rechtsschutz ( Eilverfahren ), Einstweilige Anordnung
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 123; AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

Der Eilantrag des Antragstellers hat insoweit Erfolg, als sich der Antragsteller auf ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG beruft. Insoweit ist zur Gewährleistung effektiven Rechtschutzes ( Art. 19 Abs. 4 GG ) das Begehren des Antragstellers dahin auszulegen, daß die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO verpflichtet werden soll, sicherzustellen, daß der Antragsteller vorläufig nicht auf der Grundlage der Abschiebungsandrohung in dem hier angefochtenen Bescheid abgeschoben wird.

Dem Gericht liegen derzeit keine hinreichend aussagefähigen Erkenntnisse vor, aus denen mit der hier gebotenen Zuverlässigkeit geschlossen werden könnte, daß die aufgrund der bisher zur Verfügung stehenden Erkenntnisse gegebene Gefährdungssituation entfallen oder jedenfalls so weit zurückgegangen ist, daß dem Antragsteller die Rückkehr zuzumuten wäre.

Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30. Juni 1997 ändert sich die Sicherheitslage in Somalia örtlich und zeitlich außerordentlich schnell. Die Krisenregionen lägen vor allem im Zentrum und im Süden des Landes, insbesondere Mogadishu gehöre dazu. In einem Klima militärischer Besetzung werde um politische Autorität gestritten, es träten sporadisch bewaffnete Konflikte auf, es herrsche Rechtlosigkeit und Instabilität im Kampf der verschiedenen Clan-Milizen um die knappen Ressourcen. Die durch Menschenrechte geschützten Rechtsgüter seien nicht durch staatliche Organe gewährleistet. Entscheidend für die persönliche Sicherheit eines Somali sei die Eingebundenheit in eine Großfamilie ( Clan, Sub-Clan, Stamm ). Die Nichtexistenz gesamtstaatlicher Strukturen, die Ineffizienz und Begrenztheit der von den Clan-, Sub- Clan- oder Familienführern ausgeübte Autorität sowie die weite Verbreitung von Waffen habe in vielen Landesteilen dazu geführt, daß schwerbewaffnete Milizen lokal und regional als Ordnungsfaktoren fungieren, teilweise unabhängig und losgelöst von der Kontrolle der Clan-, Sub- Clan- oder Familienführer. Vor diesem Hintergrund könne eine Rückkehr nur in das jeweilige Clan-Gebiet erfolgen, wenn dabei das Gebiet gerade feindlicher Stämme zu durchqueren sei.

Für den Antragsteller, der über die Familie seiner wiederverheirateten Mutter und die Familie seines Onkels allenfalls familiäre Verbindungen in Mogadishu besitzt, erscheint daher eine erhebliche und konkrete Gefährdung von Leib und Leben bei einer Rückkehr nach Mogadishu möglich.

Im Nordosten und Nordwesten könnten sich der genannten Auskunft zufolge nur diejenigen unbehelligt aufhalten, die dort auch vor ihrer Flucht gewohnt haben. Selbst wenn der Antragsteller in einem jener Gebiete weniger gefährdet wäre als in Mogadishu, so fehlt es jedenfalls an hinreichenden Erkenntnissen dafür, daß er diese Landesteile auch ohne extreme Gefahren erreichen könnte ( BVerwG a.a.O.). Bezeichnenderweise geht das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht vom 19. Dezember 1997 davon aus, daß in Somalia innerstaatliche Fluchtalternativen ( nur ) "hypothetisch" bestehen, und daß Kampfhandlungen, Willkürmaßnahmen unterschiedlicher Milizen und Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen anderer Clans in den meisten Fällen Reisen durch die zentralen und südlichen Landesteile Somalias verhinderten.