VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 30.12.1998 - AN 12 K 94.43256 - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13828
Leitsatz:
Schlagwörter: Marokko, Militär, Militärangehörige, Desertion, Wehrdienstentziehung, Haft, Folter, Glaubwürdigkeit, Majestätsbeleidigung, Politmalus
Normen: GG Art. 16a
Auszüge:

Der Kläger ist als Asylberechtigter anzuerkennen.

Bei Rückkehr nach Marokko droht dem Kläger mit Sicherheit schwere Bestrafung. Der Kläger ist bereits zum zweiten Mal von der Armee desertiert. Bereits seine erste Desertion wurde mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bestraft, nachdem der Kläger zuvor im Gefängnis gefoltert worden war. Die zweite Strafe wird wahrscheinlich höher ausfallen. Er wird mit erneuter Folter rechnen müssen. Zwar ist davon auszugehen, daß grundsätzlich die Frage der Wehrdienstentziehung und Desertion in Marokko nicht als ein politisches Delikt angesehen wird und daß im Regelfall auch derjenige, der die Armee unerlaubt verläßt, selbst wenn dies unter derart gravierenden Umständen ( Zerstörung von Militärmaterial ) wie beim Kläger geschieht, nicht als ein politischer Gegner des Staates Marokko betrachtet wird und entsprechenden Strafmaßnahmen ausgesetzt wird. Die besonderen Umstände der Desertion des Klägers und das Verhalten des Klägers und seines Kameraden, der erschossen wurde, vor der Flucht lassen jedoch zwingwnd darauf schließen, daß man im Kläger eine Person erblickt, die dem Staat Marokko und seinen Institutionen, insbesondere dem König gegenüber, ablehnend gegenübersteht und deshalb in besonderer Weise als ein Feind des Staates Verfolgungmaßnahmen ausgesetzt wird. Der Kläger hat zusammen mit einem Kameraden einer Ziege das Bild des Königs umgehängt und Jungziegen die Bilder der Söhne des Königs. Dies ist eine extreme Verächtlichmachung und Herabwürdigung des marokkanischen Königshauses. Zudem wurde offenbar noch ein Zettel mit einer verächtlichmachenden Koransure angebracht, die als königsfeindlich ausgelegt werden kann. Die besonderen Umstände, die der Flucht vorausgingen und die besonderen Umstände der Flucht selbst werden mit Sicherheit bekannt sein. Es ist davon auszugehen, daß mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der Kläger als ein Feind des Staates und seiner Institutionen angesehen wird und über das normale Strafmaß hinaus bestraft werden wird. Die Person des Königs in Marokko ist sakrosankt. Wer diese Institution verbal oder durch Verächtlichmachung angreift, rührt an Prinzipien der staatlichen marokkanischen Verfassung. Man wird einer Person, die etwas derartiges tut, in jedem Fall eine staatsfeindliche Einstellung unterstellen. Eine solche Person wird höher als sonst üblich bestraft werden. Besondere Gewalt und Mißhandlungsmaßnahmen von Seiten königstreuer Beamten sind in besonderem Maße zu erwarten. Die dem Kläger somit drohenden Maßnahmen der Mißhandlung, wohl auch erneuter Folter, und der Inhaftierung sind Maßnahmen der politischen Verfolgung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG.