OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.10.1998 - 10 A 10288/98.OVG - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/13966
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Aleviten, Drittstaatenregelung, Reiseweg, Glaubwürdigkeit, Reisedokumente, Schlepper, Beweismittel, Beweiswürdigung, Sachaufklärungspflicht
Normen: AsylVfG § 26a
Auszüge:

Das Verwaltungsgericht hätte die Klage des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten gegen den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 6. November 1995 abweisen müssen, denn die Beigeladenen genießen als politisch Verfolgte gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG bzw. im Wege des Familienasyls gemäß § 26 AsylVfG Asylrecht. Dass jedenfalls der Beigeladene zu 1) politisch Verfolgter ist, ergibt sich aus der Darstellung seines Lebens - und Verfolgungsschicksals, das er im Verwaltungsverfahren nachvollziehbar und überzeugend dargetan hat und das zur Anerkennung der Beigeladenen durch das Bundesamt geführt hat.

Dies steht aufgrund der Angaben der Beigeladenen während des gesamten Verfahrens, der bereits vom Verwaltungsgericht eingeholten Auskünfte, der sonstigen in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel und der übrigen Umstände des Falles zur Überzeugung des Senats fest.

Dabei spricht für die Glaubwürdigkeit ihrer Angaben zum Reiseweg im Grundsatz schon ihre Glaubwürdigkeit hinsichtlich des geltend gemachten Verfolgungsschicksals. Denn wenn der Asylbewerber - wie hier - ein in sich stimmiges, nachvollziehbares Lebens- und Verfolgungsschicksal, das letztlich auch konkreter Anlass für seine Flucht aus dem Heimatland war, vorträgt, dann spricht schon allein deshalb eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass er die sich daran anschließende Flucht aus dem Heimatland - und damit den Reiseweg bis zur Einreise in die Bundesrepublik Deutschland - ebenso glaubhaft schildert.

Vor allem überzeugt den Senat aber, dass die Beigeladenen von Beginn ihres Asylverfahrens und bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat ihre Flucht und ihren Reiseweg von den Umständen her gleichbleibend, eingehend, plastisch und detailreich und in Übereinstimmung mit den eingeholten Auskünften und den sonstigen Erkenntnismitteln geschildert haben, ohne dass auch nur ansatzweise erkennbar wäre, wie sie ohne eigenes Erleben dieser Aus- und Einreise ein solchen Wissen hätten erlangen können. Vor diesem Hintergrund ist es letztlich auch unschädlich, dass sie keine Reisedokumente oder sonstigen Unterlagen hierfür vorgelegt oder entsprechende Angaben hierüber gemacht haben.

Eine andere Frage ist demgegenüber, ob man auf der Grundlage des Vorbringens der Beigeladenen, der vom Verwaltungsgericht eingeholten Auskünfte und der vom Senat in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel von der Richtigkeit des Vorbringens der Beigeladenen überzeugt sein darf, oder ob noch weitere Beweiserhebungen geboten und deren eventuelles Scheitern zum Nachteil der Beigeladenen zu würdigen ist. Dieser Problemkreis trifft aber nicht die Überzeugungsbildung des Gerichts an sich, sondern vielmehr den gebotenen Umfang des für die Überzeugungsbildung benötigten Tatsachenmaterials, also die Frage nach der Reichweite der Amtsermittlungspflicht dahingehend, welche- ggfs. auch nur dürftige - Tatsachenbasis für eine ordentliche Überzeugungsbildung als notwendig aber auch ausreichend anzusehen ist. Denn erst Angesichts dieser Fragestellung wird es zu einem Problem, dass die Beigeladenen keinerlei für ihre Ausreise benutzte Unterlagen ( wie gefälschte Nationalpässe, Nüfen, Flugscheine pp.) vorgelegt oder nähere Angaben dazu ( wie Namen der Personen auf die von ihnen benutzten Dokumente ausgestellt waren ) gemacht haben. Ob ein Gericht für die eigene Überzeugungsbildung solche Unterlagen und / oder Angaben verlangt, hängt vom Verständnis der Amtsermittlungspflicht ( vgl. § 86 Abs. 1 VwGO ) in diesem Bereich ab und ist im Grundsatz in das pflichtgemäße Ermessen des jeweiligen Gerichts gestellt.

Hier darf der erkennende Senat nicht außer Acht lassen, dass die Vorinstanz in Ausübung ihrer Amtsermittlungspflicht die Vorlage der Reiseunterlagen bzw. detailierte Angaben hierzu verlangt hat und die Beigeladenen dem nicht nachgekommen sind. In dieser Verfahrenssituation muß der Senat das Verhalten der Beigeladenen würdigen, unabhängig davon, ob er selbst für die Bildung seiner Überzeugung diese weiter Sachaufklärung für geboten hielt oder nicht. Er misst indessen - anders als die Vorinstanz dies getan hat - dem Umstand, dass die Beigeladenen keine Reisedokumente vorgelegt und keine Angaben zu den wirklichen Inhabern der von ihnen benutzten Reisepässe gemacht haben, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Dabei glaubt das Gericht den Beigeladenen, dass sie nicht mehr im Besitz dieser Dokumente sind, nachdem sie - wie sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht im Einzelnen geschildert haben - dem mitgereisten Schlepper nach dem Verlassen des Transitbereichs diese in der Halle des Flughafen Düsseldorf ausgehändigt haben. Denn wie der Senat aus einer Vielzahl von Fällen, die auch in der mündlichen Verhandlung angesprochen worden sind, weiss, müssen die auf dem Luftweg nach Deutschland eingeschleusten Flüchtlinge ihren Schleppern die ( Rück-) Flugtickets regelmäßig zurückgeben, damit diese den nicht angetretenen Rückflug in der Türkei von den Reiseveranstaltern u.a. zurückerstattet verlangen können. Damit machen die Schlepper über die vereinbarten Kosten der Schleppung hinaus einen weiteren, von vornherein und nicht unerheblichen Gewinn, den sie sich naturgemäß nicht entgehen lassen wollen. Zudem ist es gut nachvollziehbar, wenn die Schlepper die Wege ihrer Schleusung und deren nähere Umstände vor den deutschen Behörden geheimhalten wollen, denn dies ist Voraussetzung für weitere Schleppungen in der gleichen Art und Weise auf demselben Reiseweg.