VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Urteil vom 01.12.1998 - 5 E 1878/94.A(2) - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/14158
Leitsatz:
Schlagwörter: Angola, Bakongo, Militär, Dienstvergehen, Haft, UNITA, Verdacht der Mitgliedschaft, Militärgefängnis, Bestechung, Legale Ausreise, Glaubwürdigkeit, Amnestie, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Antragstellung als Asylgrund, Exilpolitische Betätigung, MAKO, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Extreme Gefahrenlage, Krankheit, Epilepsie, Neurozystizerkose, Medizinische Versorgung, Existenzminimum
Normen: AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

Für den unverfolgt aus Angola ausgereisten Kläger zu 1. besteht auch nicht die für eine Asylanerkennung sonach erforderliche beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr nach Angola. Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit für den Kläger zu 1. läßt sich zunächst nicht aus seinem Vorbringen herleiten, er müsse wegen des Vorwurfs eines militärischen Vergehens am 05.09.1990 eine Strafverfolgung bei seiner Rückkehr nach Angola befürchten. Denn bereits mit Amnestie-Gesetz vom 12.07.1991 sind bis zum 31.05.1991 begangene Vergehen gegen die Staatssicherheit (§ 1) und militärische Vergehen (§ 2) straffrei gestellt worden, soweit bei den entsprechenden Taten keine Menschen durch Gewaltanwendung zu Tode kamen (vgl. Amnestie-Gesetz vom 12.07.1991 - Anlage zur Auskunft des Instituts für Afrika-Kunde an VG Ansbach vom 17.11.1992). Seit dem Erlaß dieses Amnestie-Gesetzes müssen Rückkehrer mit einer Strafe für die entsprechenden Taten nicht mehr rechnen (vgl. AA an VGH Kassel vom 22.01.1992).

Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit für den Kläger läßt sich auch nicht aus dem Umstand herleiten, daß er nach seinem Vorbringen im Klageverfahren auch als vermeintlicher UNITA-Anhänger verdächtigt werden könnte. Denn nach dem Friedensschluß in Lusaka am 22.11.1994 und einer schwierigen anfänglichen Umsetzungsphase sind staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen UNITA-Anhänger oder Sympathisanten sowie deren Angehörige nicht mehr bekannt geworden (vgl. AA, Lagebericht vom 29.12.1995; AA an VG Gießen vom 16.02.1996, AA an VG Arnsberg vom 10.04.1996).

Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung bei Rückkehr folgt weiterhin nicht aus der vom Kläger behaupteten Zugehörigkeit zum Volk der Bakongo. Eine solche Gefahr läßt sich insbesondere nicht aus Ausschreitungen im Januar 1993 herleiten, bei welchen nach einer Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 01.02.1996 an das VG Trier bis zu 100 Bakongo ums Leben gekommen sind. Den Ausschreitungen Anfang Januar 1993 vergleichbare Ereignisse haben sich nach der Auskunftslage in der Folgezeit nicht ereignet (vgl. AA an VG Gießen vom 16.02.1996; Institut für Afrika-Kunde an VG Aachen vom 28.05.1996; Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) vom August 1996).

Die im gerichtlichen Verfahren dargelegten exilpolitischen Aktivitäten des Klägers zu 1. in der MAKO begründen gleichfalls keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei Rückkehr nach Angola. Denn die Mitgliedschaft in bzw. für die Organisation MAKO (Bewegung für die Selbstbestimmung des Kongo) in Deutschland führt nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Verfolgungsmaßnahmen bei einer Rückkehr nach Angola. Die Organisation MAKO ist in Angola so gut wie unbekannt und macht dort weder mit Versammlungen oder Demonstrationen oder in anderer Weise auf sich aufmerksam (AA, Lagebericht Angola vom 29.12.1995; Auskunft AA an VG Trier vom 01.02.1996; AA an VG Gießen vom 16.02.1996). Nach gemeinsamer Einschätzung der Missionschefs der EU-Mitgliedstaaten in Luanda betrachtet die angolanische Regierung diese Bewegung nicht als ernste Bedrohung der nationalen Integrität und wird sie vermutlich auch in Zukunft ignorieren.

In den Personen der Kläger liegt jedoch jeweils ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG vor.

Die Kläger wären bei einer Abschiebung nach Angola im gegenwärtigen Zeitpunkt einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt. Denn zum gegenwärtigen Zeitpunkt ergeben sich für die Kläger, die eine ausreichende familiäre Unterstützung in Angola nicht erwarten können, bei einer Abschiebung dorthin aufgrund der dortigen extremen schlechten Wirtschafts- und Versorgungslage und der unzureichenden medizinischen Versorgung konkrete Gefahren für Leib und Leben.

Nach Beurteilung der aktuellen wirtschaftlich-sozialen Lage in Angola muß gegenwärtig davon ausgegangen werden, daß eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß derzeit das Existenzminimum für die Kläger in Angola nicht gesichert ist. Denn ohne familiäre Rückbindung in Angola, ohne eine abgeschlossene zivile Berufsausbildung und gehandicapt durch die schweren Erkrankungen des Klägers zu 1. dürfte den Klägern zu 1. und 2. sowie ihren vier minderjährigen Kindern eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit in Angola kaum möglich sein.

Zudem droht dem Kläger zu 1. konkret eine erhebliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes und damit eine Gefahr für Leib und Leben, da er weiterhin einer medizinischen Behandlung bedarf.

Im Hinblick auf die durch die ärztlichen Berichte und Gutachten glaubhaft gemachte schwere Erkrankung des Klägers zu 1. ist das Gericht davon überzeugt, daß die dem Kläger zu 1. von seinen Ärzten empfohlene weitere Behandlung, ärztliche Überwachung und medikamentöse Versorgung gegenwärtig und auf absehbarer Zeit in Angola nicht möglich ist.