OVG Bremen

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Zitieren als:
OVG Bremen, Urteil vom 17.11.1998 - OVG 2 BA 4/97 - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/14368
Leitsatz:
Schlagwörter: Syrien, Nord-West-Syrien, Kurden, Jesiden, Religiös motivierte Verfolgung, Gruppenverfolgung, Mittelbare Verfolgung, Verfolgung durch Dritte, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Antragstellung als Asylgrund, Situation bei Rückkehr, Grenzkontrollen, Reisedokumente, Aufenthaltsdauer
Normen: AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Die Beigeladene hat Syrien nicht als politisch Verfolgte in auswegloser Lage verlassen.

Zum Zeitpunkt der Ausreise im Jahre 1990 war die Beigeladene erst 12 Jahre alt. Bei den von ihr im Vorverfahren geschilderten Angriffen handelt es sich ersichtlich um Beeinträchtigungen, die noch nicht von solchem Gewicht waren, daß sie als Verfolgungsmaßnahmen gewertet werden könnten.

Es kann auch nicht festgestellt werden, daß die Beigeladene vor ihrer Ausreise allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der Yeziden in Syrien einer Gruppenverfolgung ausgesetzt war.

Politische Verfolgung hat die hiernach unverfolgt ausgereiste Beigeladene auch bei einer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten. Es liegen weder objektive noch subjektive - im Rahmen des § 51 Abs. 1 AuslG zu berücksichtigende Nachfluchtgründe vor.

Die - anwaltlich vertretene Beigeladene - hat sich selbst nicht auf eine Gruppenverfolgung der Yeziden in Syrien berufen. Den dem Senat vorliegenden Erkenntnisquellen läßt sich auch nicht entnehmen, daß Yeziden in Syrien einer unmittelbaren oder mittelbaren staatlichen Verfolgung ausgesetzt sind.

Wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit hat die Beigeladene in Syrien ebenfalls keine politische Verfolgung zu befürchten. Das syrische Regime gewährt den Kurden wie anderen ethnischen Minderheiten ein relativ großes Maß an kultureller Eigenständigkeit (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 23.10.1997 an VG Ansbach). Kurden werden in Syrien nur dann verfolgt, wenn sie sich konkret gegen den syrischen Staat betätigen, nicht etwa als ethnische Minderheit ( Lagebericht des AA v. 03.07.1998).

Schließlich hat die Beigeladene auch nicht wegen ihrer Asylantragstellung und des längeren Auslandsaufenthalts politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten.

Im Lagebericht vom 03.07.1998 ( ebenso Auskunft vom 03. 09. 1997 an VG Karlsruhe ) heißt es, die Einreise abgeschobener Antragsteller erfolge weitgehend unbehelligt. Die Asylantragstellung als solche oder ein längerer Auslandsaufenthalt seien für sich genommen keine Anknüpfungspunkte für ein erhöhtes Interesse der Geheimdienste. Eine Festnahme sei allerdings dort möglich, wo aus syrischer Sicht Zweifel an der Identität des abgeschobenen Asylbewerbers bestünden.

Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß bei derartigen - unter Umständen mehrtägigen - Festnahmen intensive Befragungen durchgeführt werden. Steht der Abgeschobene unter dem konkreten Verdacht einer gegen Syrien gerichteten politischen Betätigung im Ausland, so müsse er mit seiner Inhaftierung in Syrien rechnen.

Zur Aufenthaltsdauer hat das Auswärtige Amt zudem in der Auskunft vom 23.06.1998 (an VG Köln) ausgeführt, auch ein langer Auslandsaufenthalt sei unschädlich, da Syrien als devisenschwaches Land an Auslandsaufenthalten seiner Bürger aufgrund der damit verbundenen finanziellen Überweisungen ein grundsätzliches Interesse habe.

Ähnlich wie das Auswärtige Amt hat sich das Deutsche Orientinstitut geäußert.

ai berichtet im Gutachten vom 24.06.1998 ( an VG Karlsruhe ), daß nach den dortigen Erkenntnissen in der Regel alle syrischen Staatsangehörigen, die sich längere Zeit im Ausland aufgehalten haben, damit rechnen müssen, bei der Einreise nach Syrien einer Befragung durch syrische Beamte bzw. Sicherheitskräfte unterzogen zu werden. Die Dauer der geschilderten Befragungen und Verhöre durch die Ausreise- und Paßbehörde könne Berichten syrischer Staatsangehöriger zufolge zwischen einigen Stunden und mehreren Tagen variieren. ai gehe vor dem Hintergrund der vorliegenden Erkenntnisse davon aus, daß diejenigen abgeschobenen Asylbewerber, die in den Verdacht oppositioneller Aktivitäten gerieten, in der Regel in die Haftzentren überstellt würden. Die Verbringung in ein Haft- oder Verhörzentrum der Geheimdienste sei immer mit der Gefahr von Folter und menschenrechtswidriger Behandlung verbunden.

Referenzfälle für eine politische Verfolgung ( allein ) wegen der Asylantragstellung oder des langen Auslandsaufenthalts lassen sich den Ausführungen von ai nicht entnehmen. Sie ergeben sich mit der erforderlichen Gewißheit und in der erforderlichen Zahl auch nicht aus sonstigen Unterlagen.

Im Lagebericht vom 03.07.1998 berichtet das AA zudem, konkrete Fälle von Folter an abgeschobenen Asylantragstellern seien nicht bekannt geworden.

Auch dem Deutschen Orient-Institut sind Fälle, in denen abgelehnte syrische Asylbewerber bei einer Rückkehr inhaftiert und/oder mißhandelt worden seien, nicht bekannt ( Stellungnahme vom 08.07.1997 an VG Freiburg ).

Hiernach kann nicht festgestellt werden, daß syrischen Rückkehrern ( allein ) aufgrund der Asylantragstellung und des längeren Aufenthalts im Bundesgebiet - auch bei Einreise mit unzureichenden Dokumenten - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht.