VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Urteil vom 03.12.1998 - A 8 K 11368/96 - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/14826
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Kurden, Kahramanmaras, PKK, Sympathisanten, Haft, Flüchtlingsfrauen, Geschlechtsspezifische Verfolgung, Sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, Folter, Fachärztliche Stellungnahmen, Traumatisierte Flüchtlinge, Glaubwürdigkeit, Vorverfolgung, Haftbefehl, Minderjährige, Kinder, Sippenhaft, Interne Fluchtalternative
Normen: GG Art. 16a
Auszüge:

Die Kläger haben einen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigte und auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG.

Die Klägerin zu 1) hat glaubhaft zu machen vermocht, daß sie die Türkei aufgrund von gegen ihre Person gerichteten asylrelevanten Maßnahmen, die sie in ihrer Menschenwürde verletzt haben, verlassen hat. Es ist für das Gericht, insbesondere aufgrund der dem nervenärztlichen Attest der Universität Ulm vom 17.6.1998 zugrundeliegenden Feststellungen, die Frau Schwarz-Langer in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, nachvollziehbar und glaubwürdig erschienen, daß die Klägerin zu 1) bereits bei der Festnahme am 21.3.1995 tatsächlich in einer Weise "sehr schlecht behandelt" worden ist, wodurch sie - gerade auch wegen sexueller Belästigungen - in ihrer Menschenwürde verletzt wurde. Die auf S. 3 des nervenärztlichen Attestes vom 17.6.1998 getroffenen Feststellungen über die Erlebnisse der Klägerin zu 1) bei der 10tägigen Festnahme im März 1995 geben physische und psychische Mißhandlungen wieder, die angesichts der Anknüpfung u.a. an die kurdische Volkszugehörigkeit ein asylrelevantes Vorfluchtgeschehen belegen. Eine andere Bewertung läßt das Geschlagenwerden u.a. auch mit Sandsäcken, das Abgestrahltwerden mit Hochdruckwasser, das Nacktausgezogenwerden, die Berührung an Busen und Unterleib sowie die Bedrohung mit der Tötung von Ehemann und Sohn nicht zu.

Das Gericht hat keine Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachengrundlagen der ärztlichen Feststellungen.

Ihr ist aufgrund des glaubhaften Vorfluchtgeschehens eine Rückkehr in die Türkei nicht zumutbar. Aufgrund des Vorfluchtgeschehens liegen auch Besonderheiten im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg für den Fall der Rückkehr vor (vgl. VGH Bad.-Württ., u.a. Urteil vom 2.7.1998 - A 12 S 3033/96), weil die Klägerin zu 1) im Falle einer Rückkehr in die Türkei erneut mit Verhör und Mißhandlung zu rechnen hätte.

Auch der Kläger zu 2) ist im Falle einer Rückkehr in die Türkei von Folter und Mißhandlung bedroht. Dies gilt trotz seines noch kindlichen Alters. Seine Mutter, die Klägerin zu 1), hat dargelegt, daß deren Eltern bzw. die Großeltern des Klägers zu 2) nach der Flucht der Klägerin zu 1) nach Istanbul von einem Haftbefehl gegen die Klägerin zu 1) informiert worden seien. Ist aber vom Vorliegen eines Haftbefehls gegen die Mutter des Klägers zu 2) im Zusammenhang mit den von ihr glaubhaft dargelegten Aktivitäten auszugehen - nach einem Vermerk auf S. 4 der Anhörungsniederschrift vor dem Bundesamt vom 28.5.1996 soll auch eine Faxkopie eines Haftbefehls zu den Akten genommen worden sein - muß auch der Kläger zu 1) im Falle einer Rückkehr mit Befragung, Verhör und - wie in der Türkei üblich - mit Mißhandlung rechnen.

Zudem kommen bei derart engen familiären Beziehungen zu einem Gesuchten auch bei Einreisekontrollen Repressalien "gegen nahe Verwandte von "PKK-Aktivisten", die per Haftbefehl gesucht werden" als eine Art von Sippenhaft in Betracht.

Daß für die Kläger eine inländische Fluchtalternative nicht in Betracht kommt, liegt angesichts des Vorfluchtgeschehens auf der Hand.