VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 23.03.2000 - 24 CS 00.12 - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/15170
Leitsatz:

Es gehört zu den Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung, ein Kopftuch für die Anfertigung eines Passfotos anzulegen; dem steht die Glaubensfreiheit der Antragstellerin nicht entgegen. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Iran, D (A), Iraner, Flüchtlingsfrauen, Abgelehnte Asylbewerber, Passbeschaffung, Mitwirkungspflichten, Zwangsvorführung, Auslandsvertretung, Kopftuchpflicht, Unmittelbarer Zwang, Sofortvollzug, Zumutbarkeit, Grundrechte, Religionsfreiheit, Bekleidungsvorschriften, Menschenwürde, Gleichheitsgrundsatz, Beschwerde
Normen: AuslG § 70 Abs. 4; DVAuslG § 25 Nr. 2; GG Art. 4 Abs. 1
Auszüge:

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist allein die Frage, ob die Antragstellerinnen durch die Anordnung, Paßfotos mit Kopftuch anfertigen zu lassen und im Weigerungsfall diese Anordnung zwangsweise durchzusetzen, in ihren Rechten verletzt werden.

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg, weil die diesbezügliche Anordnung der Antragsgegnerin bei summarischer Prüfung rechtlich nicht zu beanstanden ist und das Verwaltungsgericht zu Recht den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Anordnung gerichteten Klage abgelehnt hat.

Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Anordnung ist § 70 Abs. 4 S. 1 und 2 AuslG.

Die Antragstellerinnen sind nach § 4 Abs. 1 AuslG paßpflichtig und nach § 25 Nr. 2 DVAuslG verpflichtet, an der Ausstellung eines Passes mitzuwirken, um ihre Rückkehrberechtigung in den Iran zu klären (Hailbronner, Ausländerrecht, Anm. 10 zu § 4). Die Behörde kann daher verlangen, daß die Antragstellerinnen bei der Vertretung ihres Staates, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, vorsprechen, um sich ein Heimreisepapier ausstellen zu lassen. Da sie dazu ohne hinreichenden Grund nicht bereit sind, kann die Verpflichtung durchgesetzt werden.

Die von den Antragstellerinnen konkret verlangte Mitwirkung bei der Beschaffung eines Passes oder Paßersatzes ist nicht unzumutbar, insbesondere - entgegen ihrem Vorbringen - nicht grundrechtswidrig (vgl. dazu auch - ohne Begründung - VGH Baden-Württemberg v. 7.11.1991 InfAuslR 1992, 98).

Die Anordnung hat bei objektiver Betrachtungsweise keinen religiösen Inhalt. Sie verstößt insbesondere nicht gegen das Grundrecht der Antragstellerinnen aus Art. 4 Abs. 1 GG.

Das Tragen eines Kopftuchs hat - entgegen den Antragstellerinnen - weder in Deutschland noch im Iran ausschließlich religiöse Bedeutung. Das Verwaltungsgericht hat dazu zutreffend ausgeführt, daß es sich - wie in vielen anderen Ländern des islamischen Kulturkreises - um allgemeine, die gesamte Bevölkerung betreffende und im Einklang mit der Auffassung eines Großteils der jeweiligen Gesellschaft stehende Verhaltensmaßregeln handelt.

Die Anordnung der Antragsgegnerin könnte nur in dem Fall den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 GG tangieren, wenn sie einer Glaubensüberzeugung der Antragstellerinnen widerspräche, was hier aber nicht der Fall ist. Art. 4 Abs. 1 GG schützt die Glaubensfreiheit. Zur Glaubensfreiheit gehört nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln (vgl. BVerfGE 32, 98/106). Dem entspricht die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben. Dem trägt auch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 4 WRV dadurch Rechnung, daß er ausdrücklich verbietet, jemanden zur Teilnahme an religiösen Übungen zu zwingen. Die Glaubensfreiheit bezieht sich ebenfalls auf Symbole, in denen ein Glaube oder eine Religion sich darstellt (BVerfGE 93, 1/15). Der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 GG kann auch religiös motivierte Bekleidungsvorschriften erfassen, sofern sie einen nicht unwesentlichen Bestandteil der Lebensführung von Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften bilden (vgl. dazu BVerfGE 24, 236; 32, 98; 33, 23).

Nach den vom Bundesverfassungsgericht herausgestellten Grundsätzen ist eine Betroffenheit der Antragstellerinnen in ihrem Glaubensgrundrecht zu verneinen. Das Kopftuch ist - wie dargelegt - kein religiöses Symbol und ist im Falle der Antragstellerinnen auch - im negativen Sinn - kein wesentlicher Bestandteil ihrer religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung oder Lebensführung.

Der Regelungsgehalt der angegriffenen Anordnung erschöpft sich darin, daß die Antragstellerinnen für den kurzen Moment der Anfertigung eines Paßfotos das Kopftuch anlegen. Dagegen wird von ihnen nicht verlangt, daß sie ein Kopftuch in der Öffentlichkeit und als religiöses Symbol des islamischen Glaubens "tragen" sollen. Die Anordnung ist nicht auf gewisse Dauer angelegt. Sie stellt daher - im Gegensatz zu der im Iran geltenden Vorschrift - überhaupt keine Bekleidungsvorschrift für das Leben in Deutschland dar.

Dementsprechend verstößt die streitgegenständliche Anordnung auch nicht - wie von den Antragstellern ebenfalls geltend gemacht - gegen die Menschenwürde, das allgemeine Persönlichkeitsrecht und den Gleichheitssatz.