OVG Thüringen

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Zitieren als:
OVG Thüringen, Beschluss vom 26.01.2000 - 3 ZKO 25/00 - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/15410
Leitsatz:

Bei einer die Verkündung ersetzenden Zustellung gem. § 116 Abs. 2 1. Hs VwGO ist mit der Übergabe des unterzeichneten Urteilstenors an die Geschäftsstelle das Urteil i.S.v. § 117 Abs. 1 VwGO ergangen.

Schlagwörter: D (A), Verfahrensrecht, Urteil, Mündliche Verhandlung, Zustellung, Übergabe an die Geschäftsstelle, Fristen, Zwei-Wochen-Frist, Berufungsfrist, Berufungszulassungsantrag, Rechtliches Gehör, Absetzungsfrist, Urteilsbegründung, Begründungsmangel
Normen: VwGO § 116 Abs. 2; VwGO § 117 Abs. 1; VwGO § 117 Abs. 4 S. 2; VwGO § 173; ZPO § 318
Auszüge:

Die Kläger rügen als Verstoß gegen § 116 Abs. 2 VwGO, daß das Urteil "mehr als 14 Tage nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle zum Ausfertigen übergeben" worden sei.

Wird im Fall der beschlossenen Zustellung erst nach Ablauf von zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung das Urteil gefällt, begründet dies einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, ohne daß es regelmäßig der Prüfung bedarf, ob das Urteil darauf beruht (vgl. BVerfG, Beschluß vom 14. März 1990 - 2 BvR 930/89 - NVwZ 1990, 651; BVerwG, Beschluß vom 6. Mai 1998 - 7 B 437.97 - DVBI. 1998, 1080 = BayVBI. 1998, 636). Insofern ist den Klägern beizupflichten.

Nach dem Inhalt der Gerichtsakte kann im vorliegenden Fall von diesem Gehörsverstoß indessen keine Rede sein. Entgegen dem im Übersendungsschreiben des Verwaltungsgerichts vom 8. Dezember 1999 (Bl. 117 GA) genannten Urteilsdatum "3. November 1999" wurde der unterzeichnete Urteilstenor ausweislich des Vermerks der Geschäftsstelle dieser bereits am 23. September 1999 nach der mündlichen Verhandlung vom 15. September 1999 übergeben (BI. 105 GA). Damit ist die Frist des § 116 Abs. 2 VwGO gewahrt worden. Die Vorschrift stellt auf diese sich aus der Fällung des Urteils und der Übergabe an die Geschäftsstelle folgende Bindung des Gerichts - und nicht auf die spätere Zustellung des vollständigen Urteils - ab. Das Ergebnis des Verfahrens in der Instanz steht damit unabänderlich zwischen den Beteiligten fest.

Das ergibt sich aus folgendem:

Wenn ein Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung ergeht, ist es gemäß § 116 Abs. 1 VwGO grundsätzlich zu verkünden. Statt der Verkündung ist gemäß § 116 Abs. 2 VwGO auch die Zustellung des Urteils zulässig.

§ 116 Abs. 1 und 2 VwGO sind im Zusammenhang zu sehen, ihr Ziel ist ein doppeltes: Zum einen sollen die Beteiligten möglichst bald erfahren, mit welchem Ergebnis das Gericht entschieden hat, zum anderen wird das Gericht angehalten, auf der Grundlage der mündlichen Verhandlung alsbald eine abschließende Entscheidung zu treffen und damit den notwendigen Zusammenhang zwischen mündlicher Verhandlung und Urteil sicherzustellen (vgl. BVerwG, Beschluß vom 6. Mai 1998 - 7 B 437.97 - a.a.O.; Urteil vom 25. Januar 1985 - 4 C 34/81 - NVwZ 1985, 1004). Dem sich hiernach ergebenden Zweck des § 116 Abs. 2 VwGO - Sicherstellung einer zeitnahen abschließenden Entscheidung nach der mündlichen Verhandlung - entspricht die Auffassung, daß bereits mit der Übergabe des von den "beteiligten Richtern unterzeichneten Urteilstenors an die Geschäftsstelle (§ 116 Abs. 2 2. Halbsatz VwGO) die Bindungswirkung gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 318 ZPO für das Gericht eintritt. Der Senat schließt sich dieser mittlerweile stark vertretenen Rechtsansicht in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur an (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. April 1989 - 4C 22/88 - NVwZ 19~9, 860, und vom 19. Januar 1987 - 9 C 247.86 - BVerwGE 75, 337; Senatsbeschluß vom 3. Mai 1995 - 3 ZO 501/94 - NVwZ-RR 1996, 545; Bayerischer VGH, Beschluß vom 24. Juli 1998 - 25 ZB 98.32972 - DVBI. 1999, 114; VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 12. März 1999 - A 14 S 136/97 -; vgl. auch Eyermann-Schmidt, VwGO, 10. Aufl. 1998, § 116 Rdn. 14; Redeker/von Oertzen, VwGO, 12. Aufl. 1997, VwGO, § 116 Rdn. 3). Weitergehende Anforderungen etwa dahin, daß erst mit der - ggfs. auch telefonischen - Bekanntgabe des Urteilstenors gegenüber zumindest einem Beteiligten (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juni 1993 - 8 C 5/92 - Buchholz 310 § 116 VwGO Nr. 20 = NVwZ-RR 1994, 297 = DVBI. 1994, 209, und vom 3. Dezember 1992 - 5 C 9.89 - BVerwGE 91, 242; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Mai 1991 - 1 X 994/91, - ESVGH 41, 251 = NVwZ-RR 1992, 152; Bayerischer VGH, Beschluß vom 2. Dezember 1996 - 19 B 95.629 - BayVBI. 1997, 443; wohl auch: BVerwG, Beschluß vom 1. Februar 1988 - 7 B 15/88 - NVwZ-RR 1988, 125; Schoch/Schmidt- Aßmann/Pietzner-Clausing, VwGO, § 116 Rdn. 10) oder gar mit der Zustellung des vollständig abgefaßten Urteils an einen der Beteiligten (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 1979 - 5 C 47.78 - BVerwGE 58,146: Sodan/Ziekow-Kilian, VwGO, § 116 Rdn. 33 ff.; Ruthing NVwZ 1997, 1188) das Urteil unabänderlich feststeht, sind nicht zu stellen.

Auch ein Verstoß gegen die Absetzfrist ist nicht ersichtlich.

Die Kläger halten dem Gericht zwar vor, durch die verspätete Abfassung des Urteils sei nicht mehr gewährleistet gewesen, daß die angegebenen "Gründe" diejenigen Gründe richtig, vollständig und zuverlässig wiedergeben, die für die Entscheidung gemäß § 108 Abs. 1 VwGO maßgeblich gewesen seien. Daraus ergeben sich im vorliegenden Fall aber keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, daß das Urteil der Begründungspflicht des § 138 Nr. 6 VwGO nicht genügt.

Nach der Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes (Beschluß vom 27. April 1993 - GmS-OGB 1/92 - NJW 1993, 2603) und der Folgeentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluß vom 20. September 1993 - 6 B 18.93 - NJW 1994, 273) ist die Absetzungsfrist nur dann überschritten und das Urteil i.S.d. § 138 Nr. 6 VwGO "nicht mit Gründen versehen", wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe eines bei Verkündung noch nicht vollständig abgefaßten Urteils nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung niedergelegt, von den Richtern bzw. dem Richter unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind. Diese Frist ist im vorliegenden Fall ersichtlich nicht überschritten. Fristbeginn ist hier mangels Verkündung der Termin der mündlichen Verhandlung am 15. September 1999, Fristende die Übergabe der unterschriebenen Entscheidung an die Geschäftsstelle am 8. Dezember 1999 (BI. 116 GA); auch die Zustellung an den Kläger-Bevollmächtigten ist innerhalb der Fünfmonatsfrist - nämlich am 13. Dezember 1999 - erfolgt. Umstände, nach denen auch vor Ablauf der Fünfmonatsfrist ein Begründungsmangel i.S.d. § 138 Nr. 6 VwGO vorliegen kann, sind hier nicht vorgetragen (vgl. hierzu Senatsbeschluß vom 21. April 1999 - 3 ZKO 941/98 -).