VG München

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Zitieren als:
VG München, Urteil vom 15.10.1998 - M 21 K 98.51863 - asyl.net:
https://www.asyl.net/rsdb/20884
Leitsatz:
Schlagwörter: Burundi, Hutu, Verfolgung durch Dritte, Mittelbare Verfolgung, Tutsi, Drittstaatenregelung, Situation bei Rückkehr, Abschiebungsschutz, Menschenrechtswidrige Behandlung, Abschiebungshindernis, Untätigkeitsklage
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 4; VwGO § 75 S. 1
Auszüge:

Die Klägerin hat jedoch Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten, festzustellen, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.

Der Zulässigkeit der Klage steht insoweit nicht die Tatsache entgegen, daß bislang noch kein ablehnender Bescheid des Bundesamtes ergangen ist. Denn nach § 75 S. 1 VwGO ist die Klage auch dann zulässig, wenn über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Nachdem die Anhörung der Klägerin vor dem Bundesamt bereits am 17.9.1996 stattgefunden hat, hätte die Beklagte bislang hinreichend Möglichkeiten gehabt, einen Bescheid nach dem Asylverfahrensgesetz zu erlassen. Dies ist jedoch nicht geschehen.

Aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes ergibt sich u.a., daß sich mittelbare staatliche Verfolgung vor allem gegen Angehörige der Mehrheitsgruppe der Hutus richtet, die vom Regime als politisch mißliebig angesehen und unter der Beteiligung an den durch den Putschversuch vom Oktober 1993 ausgelösten Massakern an Tutsi verdächtigt würden. Auch einige oppositionelle Tutsi seien staatlicher Verfolgung ausgesetzt. Die Verfolgungsmaßnahmen umfaßten extralegale Hinrichtungen und jahrelange Haft ohne Gerichtsverfahren sowie vielfältige Schikane durch Justiz und Sicherheitsbehörden. Tutsi-Milizen, die von Militärs geduldet und zum Teil auch gefördert wurden, seien in der Vergangenheit immer wieder für Übergriffe insbesondere gegen Hutus verantwortlich gewesen. Zahlreiche Tutsi besäßen Schußwaffen und würden von Militärs in deren Handhabung unterrichtet. Die Bewaffnung der Tutsi-Zivilbevölkerung stelle ein außerhalb der Armee existierendes zusätzliches gefährliches Gewaltpotential dar. Wenn auch eine ethnisch diskriminierende Gesetzgebung nicht bestehe, so wiesen Politik, Verwaltung, Justiz, Armee, Wirtschaft und Erziehungssystem doch einen hohen Grad an Diskriminierung gegenüber den Hutus auf. Willkürliche Festnahmen, insbesondere von Hutus, seien keine Seltenheit. Existenzgefährdende Bedingungen herrschten insbesondere in einigen der Zwangsumsiedlungslager, in denen sich vor allem Hutus befänden. Sie würden von der Armee in diese Lager gezwungen, um den Hutu-Rebellen die Unterstützungsbasis zu entziehen. Infolge der insbesondere durch Mangelernährung und Krankheit umgekommenen Lagerinsassen läge die Sterberate in einigen Lagern doppelt so hoch wie in der burundischen Normalsituation.

Die Klägerin hat ihre Herkunft aus Burundi durch Kenntnis der Kirundi-Sprache und auch nach Einschätzung des in der mündlichen Verhandlung beteiligten Dolmetschers hinreichend glaubhaft gemacht. Als Hutu ist sie nach oben Gesagtem unmittelbarer staatlicher Verfolgung in Burundi ausgesetzt.

Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten, festzustellen, daß Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 4 AuslG vorliegen.

Zur Beurteilung der für § 53 Abs. 4 AuslG erforderlichen konkreten Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ist der allgemeine asylrechtliche Prognosemaßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" anzulegen; daß sich eine Vielzahl von Personen in derselben Situation befindet, schließt im Gegensatz zu § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG die Anwendung des § 53 Abs. 4 AuslG nicht aus (BVerwG, Urteil vom 4.6.1996, NVwZ-Beilage 12/1996, S. 89,90).

Nach oben Gesagtem liegen diese Voraussetzungen in der Person der Klägerin vor.