VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 14.03.2001 - VG 29 F 10.01 - asyl.net: C1661
https://www.asyl.net/rsdb/C1661
Leitsatz:

Duldung nach § 55 AuslG für traumatisierte Kosovo-Albanerin; Trennung von der Kernfamilie erscheint unzumutbar.

 

Schlagwörter: D (A), Kosovo, Albaner, Duldung, Abschiebungshindernis, Psychische Erkrankung, Traumatisierte Flüchtlinge, Posttraumatische Belastungsstörung, Situation bei Rückkehr, Medizinische Versorgung, Retraumatisierung, Familienangehörige, Ehemann, Kinder, Humanitäre Gründe, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Einstweilige Anordnung
Normen: AuslG § 55 Abs. 3; AuslG § 55 Abs. 2; AuslG § 53 Abs. 6 S. 1; VwGO § 123
Auszüge:

Duldung nach § 55 AuslG für traumatisierte Kosovo-Albanerin; Trennung von der Kernfamilie erscheint unzumutbar.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Antrag der aus dem Kosovo stammenden jugoslawischen Antragsteller albanischer Volkszugehörigkeit, eines Ehepaares mit fünf Kindern, den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ihnen vorläufig Duldungen zu erteilen, hat Erfolg.

Dies gilt auf der Grundlage des § 55 Abs. 2 i.V.m. § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG zunächst für die Antragstellerin zu 2), die nach den vorliegenden Attesten psychisch schwer krank ist und deshalb dringend weiterer medizinischer, insbesondere auch psychotherapeutischer Behandlung bedarf, welche - auch nach den allgemeinen Erkenntnissen - derzeit im Kosovo nicht gesichert erscheint. Insofern kann es, wie attestiert, nicht zweifelhaft sein, dass im Fall der Rückführung in ihre Heimat eine massive Verschlechterung der Symptomatik einschließlich Selbst- und Fremdgefährdung und damit eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben der Antragstellerin zu 2) im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG droht, die derzeit eine Abschiebung hindern muss.

Hinzu kommt, dass die Antragstellerin zu 2) nach den insoweit schlüssigen, ausführlichen psychologischen Stellungnahmen der psycho-sozialen Kontakt- und Beratungsstelle des DRK vom 23. Juni, 27. September und 18. Dezember 2000 an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leidet. Zwar könnten deren Wurzeln offenbar bereits in dem plötzlichen Kindstod eines ihrer Kinder im Jahre 1990 gesehen werden. Das dadurch hervorgerufene Nervenleiden hat sich jedoch, auch nach der ärztlichen Bescheinigung der Neurologin vom 11. Dezember 2000, durch die Ereignisse im Kosovo im Vorfeld des Bürgerkrieges zu Beginn der neunziger Jahre nachhaltig verschlimmert und lässt heute befürchten, dass die Antragstellerin zu 2) krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage ist, ihren sozialen und familiären Pflichten auch gegenüber ihren Kindern zu genügen.

Unter diesen Umständen ist kaum nachvollziehbar, warum die bereits 1996 und damit vor dem 1. Juli 1998 eingereiste Antragstellerin nicht der Regelung unter Ziffer II. 1. b) der Weisung der Senatsverwaltung für Inneres vom 5. Januar 2001 unterfallen soll, wonach schwer traumatisierten Flüchtlingen aus dem Kosovo sogar eine Aufenthaltsbefugnis soll erteilt werden können, sofern sie sich, wie hier, "bereits wegen durch Bürgerkriegserlebnisse hervorgerufener schwerer Traumatisierung auf der Grundlage eines längerfristig angelegten Therapieplanes in fachärztlicher oder psychotherapeutischer Behandlung befinden". Für die Erteilung der hier nur erstrebten Duldung reicht es danach bis zur - offenbar noch nicht erfolgten - Regelung des Verfahrens zur Feststellung einer schweren psychischen Traumatisierung aus, wenn der Betroffene ein fachärztliches oder psychotherapeutisches Gutachten vorlegt, aus dem sich schlüssig eine bürgerkriegsbedingte schwere Traumatisierung ergibt.

Ist nach alledem die Antragstellerin zu 2) entgegen der Entscheidung des Antragsgegners derzeit zumindest zu dulden, so gilt das nach Auffassung der Kammer auch für die übrigen Antragsteller, nämlich ihren Ehemann und ihre fünf Kinder, weil angesichts von Art und Schwere der Erkrankung eine Trennung der (Kern-) Familie, die nach der entsprechenden Weisung (ebenfalls vom 5. Januar 2001) für traumatisierte bosnische Flüchtlinge ausdrücklich in die Bleiberegelung eingezogen ist, derzeit unzumutbar erscheint. Dies gilt auch deshalb, weil angesichts der attestierten Schwierigkeiten der Antragstellerin zu 2), ihren Pflichten als Mutter nachzukommen, der Verbleib des Vaters bei Frau und Kindern zwingend erforderlich scheint. Insofern ist das Ermessen des Antragsgegners nach § 55 Abs. 3 AuslG derzeit auf Null reduziert. Ausweisungsgründe nach Ziffer V. der Weisung vom 5. Januar 2001, auf die sich der Antragsgegner nicht berufen hat und die auch nur der Erteilung der Aufenthaltsbefugnis entgegenstehen können, dürften ohnehin nicht vorliegen.