OLG Zweibrücken

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Zitieren als:
OLG Zweibrücken, Urteil vom 14.12.2001 - 1 Ss 227/01 - asyl.net: C1707
https://www.asyl.net/rsdb/C1707
Leitsatz:

Ist das Vorgehen von Polizeibeamten rechtswidrig, entfällt die Strafbarkeit der Gegenwehr (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) des Angeklagten (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Abgelehnte Asylbewerber, Strafverfahren, Festnahme, Polizei, Polizeigewahrsam, Vorführung beim Abschiebungshaftrichter, Abschiebungshaft, Richtervorbehalt, Zwangsmittel, Gegenwehr, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung, Freispruch
Normen: AuslG § 57; FEVG § 1; FEVG § 3; FEVG § 5; FEVG § 11; GG Art. 2 Abs. 2; GG Art. 13; GG Art. 104 Abs. 1; StGB § 113 Abs. 3; POG § 57; POG § 14
Auszüge:

Der 1. Strafsenat hatte über die Revision der Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch des Angeklagten durch das Landgericht Zweibrücken zu entscheiden ( 1 Ss 227/01). Das Amtsgericht Pirmasens hat den Angeklagten wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten mit Bewährung verurteilt. Dagegen hat der Angeklagte mit Erfolg Berufung eingelegt und ist freigesprochen worden. Dem Strafverfahren liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Angeklagte lebt als Asylsuchender in Deutschland und hat hier Frau und Kind. Nach Ablehnung seines Asylantrages wurde er von der Ausländerbehörde zur Ausreise aufgefordert, kam dem jedoch nicht nach. Die Ausländerbehörde ersuchte daraufhin die Polizei, den Angeklagten vorläufig festzunehmen, um anschließend beim zuständigen Haftrichter Antrag auf Abschiebehaft zu stellen. Der Angeklagte widersetzte sich in seiner Wohnung der Festnahme und verletzte dabei zwei Polizeibeamte.

Die Berufungskammer des Landgerichts hat in ihrem freisprechenden Urteil die Rechtsauffassung vertreten, das Eindringen der Polizisten in die Wohnung des Angeklagten sei rechtswidrig und dessen Gegenwehr deshalb gerechtfertigt gewesen. Dies hält rechtlicher Überprüfung stand. Mit seiner Festnahme haben die Polizeibeamten ohne gesetzliche Ermächtigung in dessen verfassungsmäßig garantierte Freiheitsrechte eingegriffen, gegen den Richtervorbehalt verstoßen und dadurch eine wesentliche Verfahrensförmlichkeit verletzt. Somit waren die Diensthandlungen, gegen die sich der Angeklagte zur Wehr setzte, im strafrechtlichen Sinn nicht rechtmäßig (§ 113 Abs. 3 StGB).

Die Voraussetzungen für Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung der Abschiebehaft bestimmen sich nach § 57 AuslG, §§ 1, 3, 5, 11 FEVG, Art. 2 Abs. 2, 13 Abs. 1, 2, 104 Abs. 1, 12 GG. Grundsätzlich bedarf deshalb jede von der Ausländerbehörde veranlasste auf Abschiebung gerichtete Freiheitsentziehung der vorherigen richterlichen Anordnung. Eine besondere Ermächtigung der Behörde, den Ausländer zum Zwecke der Vorführung beim Abschiebehaftrichter festzunehmen, besteht nicht. Vielmehr hat der Gesetzgeber nach der Aufhebung der Ausländerpolizeiverordnung aus dem Jahr 1938 durch § 55 Abs. 2 Satz 1 AuslG ein Bedürfnis für eine Sicherung der Abschiebung durch vorläufigen Polizeigewahrsam verneint und auf das Verfahren der vorherigen richterlichen Entscheidung verwiesen (in Einzelfällen nach § 11 FEVG).

Die Zwangsmaßnahmen waren auch nicht durch landesrechtliche Bestimmungen zum Polizeigewahrsam gerechtfertigt, der eine Gefahr für Leib oder Leben oder eine drohende Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung voraussetzt (§ 14 POG).

Die Festnahme war schließlich auch nicht als Maßnahme des unmittelbaren Zwangs nach § 57 POG, § 65 LVwVG zulässig. Zwar erlauben diese Bestimmungen der Ausländerbehörde (und in ihrem Auftrag der Polizei) die sogenannte zwangsweise Direktabschiebung bis zur Staatsgrenze, die als bloße freiheitsbeschränkende Maßnahme nicht dem Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 GG unterliegt. Dies war im vorliegenden Fall jedoch nicht beabsichtigt.

Da das Vorgehen der Polizeibeamten somit von keiner Eingriffsnorm gedeckt und die Diensthandlungen rechtswidrig waren, entfällt die Strafbarkeit der Gegenwehr des Angeklagten. Der Strafsenat hat deshalb die Revision der Staatsanwaltschaft verworfen und den Freispruch bestätigt.