VGH Baden-Württemberg

Merkliste
Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.03.2001 - A 14 S 2078/99 - asyl.net: M0448
https://www.asyl.net/rsdb/M0448
Leitsatz:

Kosovo-Albaner sind nach derzeitiger Erkenntnis auf dem gesamten serbischen Staatsgebiet hinreichend sicher vor politischer Verfolgung. Auf die Einschätzung, ob der Kosovo für jugoslawische Staatsangehörige albanischer Volkszugehörigkeit eine inländische Fluchtalternative ist, kommt es mithin nicht mehr an (vgl. hierzu Senatsurteile v. 17.3.2000 - A 14 S 1167/98 - und v. 26.5.2000 - A 14 S 709/00 -). (amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Jugoslawien, Kosovo, Albaner, Gruppenverfolgung, Örtlich begrenzte Gruppenverfolgung, Interne Fluchtalternative, Politische Entwicklung, Präsidentschaftswahlen
Normen:
Auszüge:

 

Einer abschließenden Feststellung über eine örtlich begrenzte Gruppenverfolgung der albanischen Bevölkerungsgruppe im Kosovo im vorgenannten Zeitraum bedarf es ebenso wenig wie einer Entscheidung über die vom Kläger Ziff. 1 geltend gemachte Vorverfolgung vor seiner Ausreise aus dem Heimatstaat. Der behauptete Asylanspruch der Kläger scheitert nämlich schon daran, dass eine - hier unterstellte - individuelle oder kollektive Verfolgung zwischenzeitlich beendet ist und ihr Wiederaufleben nicht nur nach dem Maßstab einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit, sondern mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann (zu diesem Maßstab vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.7.1999 - 9 C 15.99 -, NVwZ 2000, 333, Urt. v. 16.2.1993 - 9 C 31.92 -, NVwZ 1993, 791).

Bezogen auf den Kosovo hat der Senat bereits früher entschieden, dass albanische Volkszugehörige dort gegenwärtig und auf absehbare Zeit hinreichend sicher vor politischer Verfolgung durch die Bundesrepublik Jugoslawien sind. Aufgrund der jüngsten politischen Entwicklung in Jugoslawien und speziell im Teilstaat Serbien geht der Senat aber nunmehr davon aus, dass landesweit (zu diesem Kriterium vgl. BVerwG, Urt. v. 5.10.1999 - 9 C 15.99 -, NVwZ 2000, 332) eine Fortsetzung der - unterstellten - individuellen Verfolgung der Kläger ebenso auszuschließen ist wie eine gegen die albanische Bevölkerungsgruppe aus dem Kosovo gerichtete Verfolgung. Durch die zwischenzeitlich eingeleitete Öffnung und Demokratisierung des gesamten Staatswesens ist auch hinreichend gewährleistet, dass die Rechte der Minderheiten in Zukunft gewahrt bleiben und politische Repressalien und ungesetzliche Maßnahmen jeder Art speziell gegen die albanische Bevölkerungsgruppe im Kosovo unterbleiben.

Dabei legt der Senat folgenden Sachverhalt zugrunde:

Die Präsidentschaftswahlen vom 24.9.2000, bei denen Kostunica als Kandidat der serbischen demokratischen Opposition mit weitem Vorsprung vor dem Amtsinhaber Milosevic den Sieg errungen hatte, haben im Gesamtstaat Jugoslawien einen politischen Wandel eingeleitet, der sich zwischenzeitlich durch den Erfolg der serbischen Oppositionsparteien bei der serbischen Parlamentswahl noch vertieft hat.

Die hierdurch demokratische Öffnung in Jugoslawien hat neben dem Parlament und der Regierung auch sonstige staatliche und gesellschaftliche Institutionen erfasst. Einen wichtigen Beitrag zur Herstellung der Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt in den Medien stellt insbesondere die Aufhebung des bisher sehr restriktiven, die Diktatur von Milosevic stützenden Mediengesetzes von Oktober 1998 dar, aufgrund dessen wegen regimekritischer Berichterstattung bisher vielfach Geldbußen und auch Gefängnisstrafen gegen Journalisten verhängt worden waren. Hiermit einher ging in Serbien eine Säuberung im Justizapparat und in anderen staatlichen Institutionen.

Als schwerer Schlag für die alte Regierung und als deutliches Signal für die eingetretene Wende wird in der Presse (FR v. 26.2.2001; Die Welt v. 27.2.2001: Serbiens Justiz; Stuttgarter Zeitung v. 2.3.2001) auch der Umstand bezeichnet, dass auf Veranlassung der neuen Regierung der frühere serbische Geheimdienstchef Markovic unter Mordverdacht festgenommen wurde. Ihm wird u.a. der Mordanschlag auf den Oppositionspolitiker Draskovic zur Last gelegt. Außer ihm wurden weitere 15 ranghohe Geheimdienstmitarbeiter verhaftet (Die Welt v. 27.2.2001; Stuttgarter Zeitung v. 26.2.2001). Auch gegen andere Führungskräfte des alten Regimes wurden gerichtliche Verfahren eingeleitet. So wurde etwa der ehemalige Direktor des Staatlichen Fernsehens RTS, Milanovic, wegen der ihm zur Last gelegten Inkaufnahme des Todes mehrerer Mitarbeiter während der NATO-Luftangriffe in Untersuchungshaft genommen. Auch der ehemalige Chef der jugoslawischen Zollverwaltung befindet sich wegen Betrugsverdacht in Untersuchungshaft (Rüb in FAZ v. 22.2.2001; Stuttgarter Zeitung v. 26.2.2001).

Die politischen Änderungen in Serbien haben ersichtlich auch das Verhältnis der serbischen Führung zu den im Staate lebenden ethnischen Minderheiten, insbesondere zu den albanischen Volkszugehörigen, nachhaltig beeinflusst. So hat der neue Ministerpräsident Djindjic versichert, Belgrad sei zu einem Dialog mit den gemäßigten politischen Führern der Kosovo-Albaner bereit. Die Albaner im Kosovo könnten ihre wirtschaftlichen und menschlichen Interessen in Zusammenarbeit mit Serbien verwirklichen (FR v. 26.1.2001: Djindjic richtet Blick auf die EU; FAZ v. 26.1.2001: Neue serbische Regierung). Die Bereitschaft zu einem ernsthaften Dialog wird namentlich aus der Reaktion der serbischen Regierung auf die seit längerem andauernden bewaffneten Provokationen albanischer Extremisten in Südserbien erkennbar. Zur Beendigung der Krise in Südserbien wurde seitens der serbischen Regierung ein Friedensplan verabschiedet, der eine Entmilitarisierung der umkämpften Gebiete, eine wirtschaftliche Förderung dieses Landesteils und eine politische und soziale Einbindung der albanisch-stämmigen Bevölkerung in die staatlichen Institutionen vorsieht (Stuttgarter Zeitung v. 7.2.2001; Friedensplan; v. 1.2.2001: Belgrad ruft). Der durch maßgebliche Repräsentanten des Staates, wie etwa durch den Präsidenten Kostunica bei einer Fersehansprache (NZZ v. 20.2.2001: Provokationen und Kämpfe in Südserbien), vermittelte Eindruck, die Sicherheitskräfte sollten ihren Einsatz in Südserbien auf die Verhinderung von Terroranschlägen beschränken und unter größtmöglicher Schonung der Zivilbevölkerung vorgehen, wird auch von unabhängigen Beobachtern bestätigt.

Die Frage, ob ethnische Albaner aus dem Kosovo von der nunmehr bestehenden Möglichkeit einer ungefährdeten Einreise nach Restjugoslawien tatsächlich Gebrauch machen könnten oder ob sie faktisch daran gehindert würden, in das jugoslawische Staatsgebiet - außerhalb des Kosovo - einzureisen, lässt sich anhand der vorliegenden Erkenntnisse nicht abschließend beurteilen. Hierauf kommt es indessen im Ergebnis auch nicht an. Denn die bloße Verweigerung einer Einreise ethnischer Albaner aus dem Kosovo in außerhalb des Kosovo gelegene Landesteile würde für sich genommen den Tatbestand einer politischen Verfolgung nicht begründen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.4.1997 - 9 B 11.97 -, DVBl. 1997, 912; Beschl. v. 6.3.2000 - 9 B 82.00 - <Juris>).

Sind die Kläger mithin derzeit landesweit sowohl vor einer individuellen wie auch vor einer kollektiven Verfolgung hinreichend sicher, stellt sich die Frage nach einer inländischen Fluchtalternative und insbesondere auch die Problematik, ob den Klägern im Kosovo sonstige Nachteile und Gefahren drohen, die ihnen dort eine menschenwürdige Existenz unmöglich machen würden (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 16.2.1993 - 9 C 31.92 -, NVwZ 1993, 791), nicht.

Das Vorbringen des Klägers Ziff. 1, dass er im Falle einer Rückkehr in den Kosovo aus gesundheitlichen Gründen einer existenzbedrohenden Gefährdung ausgesetzt sei, ist mithin im vorliegenden Verfahren unerheblich.