OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 01.03.2001 - 1 L 762/00 - asyl.net: M0678
https://www.asyl.net/rsdb/M0678
Leitsatz:

Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG für ein fast 14 Monate altes Kleinkind wegen schlechter Sicherheits- und Versorgungslage in Angola.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Angola, Abschiebungshindernis, Situation bei Rückkehr, Versorgungslage, Medizinische Versorgung, Existenzminimum, Soziale Bindungen, Extreme Gefahrenlage, Bürgerkrieg, Verminung, Sicherheitslage, Kriminalität, Gesamtschau
Normen: AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

Die Klägerin kann keinen Abschiebungsschutz gem. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG aufgrund der allgemein in Angola herrschenden Verhältnisse beanspruchen.

Mit dem OVG Münster (Urt. v. 28.6.2000 - 1 A 1462/96.A und 1 A 5488/97.A -; Urt. v. 16.8.2000 - 1 A 2793/98.A und 1 A 2835/98.A - sowie Urt. v. 21.9.2000 - 1 A 5615/96.A -); dem BayVGH, (Beschl. v. 2.9.1999 - 25 B 99.30815 - sowie Urt. v. 30.3.1999 - 25 B 96.35630 -) und dem OVG Magdeburg, (Urt. v. 20.5.1998 - 2 L 28/94 -) teilt der Senat die Einschätzung, die vorhandenen Erkenntnismittel böten keine ausreichende Grundlage für die Annahme, für die Klägerin werde im Falle ihrer Abschiebung nach Angola eine so extreme Gefahrenlage bestehen, dass sie gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod überantwortet würde.

Richtig ist zwar, dass seit 1998 der Bürgerkrieg mit voller Wucht wieder ausgebrochen ist und das Abkommen von Lusaka aus dem Jahre 1994 offenbar keine Aussicht auf Umsetzung hat. Dieser Bürgerkrieg bringt zum einen in unmittelbarer Hinsicht Gefährdungen der Gestalt mit sich, durch Kampfhandlungen oder die zahllosen in seinem Verlauf vergrabenen Minen körperlich geschädigt zu werden. Zum anderen hat er - u.a. wegen der Verminung landwirtschaftlich bedeutsamer Flächen und von Wegen - zu erheblicher Nahrungsmittelknappheit geführt. Ernten werden selbst dann nicht eingebracht, wenn gesät worden war und sie reif geworden waren. Zudem stellen die Minen Hindernisse dar, Lebensmittel über Land zu transportieren. Aus den nachstehenden Gründen hat dies indes noch nicht zu Verhältnissen geführt, welche es jedenfalls dem Personenkreis, dem die Klägerin angehört, als unzumutbar erscheinen lassen könnte, in sein Heimatland zurückzukehren. Das ergibt sich aus den nachstehenden Ausführungen: ...

Die Bürgerkriegshandlungen haben die Versorgungslage namentlich in den von der UNITA kontrollierten Gebieten erheblich angespannt; die UNITA führt die soziale Verelendung der Bevölkerung zur Zeit bewusst herbei, um damit die Regierung unter Druck zu setzen. Das hat indes keine für die Klägerin "positiven" Auswirkungen. Denn nach der Auskunftslage (vgl. ai v. 25.3.1994 an den BayVGH; AA, Lagebericht v. 8.12.1999) besteht praktisch keine Möglichkeit, von UNITA-kontrollierten Gebieten in die von der Regierung kontrollierten Bereiche und umgekehrt zu gelangen. Da die Klägerin nach Luanda, d.h. in das Gebiet der MPLA abgeschoben werden würde, sind bei der Betrachtung all die Schwierigkeiten nicht in den Blick zu nehmen, welche sich für die Gebiete ergeben, welche die UNITA kontrolliert.

Die oben bereits beschriebenen Schwierigkeiten in der Herstellung und Verteilung von Lebensmitteln hat dazu geführt, dass Angola nicht annähernd fähig und imstande ist, die für die Versorgung seiner Bevölkerung erforderlichen Lebensmittelmengen auf eigenen Flächen zu produzieren. Die Lebensmittelversorgung geschieht im Wesentlichen durch Importe internationaler Hilfsorganisationen. Beispielsweise in Luanda arbeiten bis zu 150 Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen an der Lebensmittelversorgung (vgl. Außenministerium der Niederlande v. 6.12.1999).

Die Zahl der dort tätigen Organisationen darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Versorgungslage keineswegs gesichert, sondern "prekär" ist.

Die schwere Krise bei den Nahrungsmittelversorgungen hat gesundheitliche Anfälligkeit und damit u.a. die Ausbreitung von Malaria und sonstigen Infektionskrankheiten zur Folge (vgl. Institut für Afrikakunde v. 15.10.1998; Außenministerium der Niederlande vom 6.12.1999). Diese können deshalb eine erhebliche Gefahr für die Bevölkerung darstellen, weil die medizinische Versorgung nach allen Auskünften kaum noch richtig funktioniert (vgl. UNHCR Positionspapier v. September 1999; ai v. 30.7.1997 an das OVG Magdeburg; Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 15.11.2000: Medizinische Versorgung ist sehr angespannt).

Aus den vorstehenden Ausführungen wird deutlich, dass die Lage, was die Lebensmittelversorgung sowie die medizinische Versorgung anbetrifft, in Angola als "prekär" angesehen werden muss. Damit ist indes noch nicht gesagt, dass die hohen Anforderungen, welcher allein eine der Klägerin günstige Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG rechtfertigen, bereits damit erfüllt wären. Vielmehr hat die vorstehende Auflistung der Gefahren in Angola gezeigt, dass es - wie das Auswärtige Amt in seinen letzten Lageberichten vom 15. November 2000 und 8. Dezember 1999 immer wieder ausgeführt hat - nicht allgemein gesagt werden kann, ob jemand in Angola sicheren Auges dem Tode überantwortet wird oder Überlebenschancen hat, sondern dass hierzu eine besonders sorgfältige Prüfung des Einzelfalles angezeigt ist (vgl. auch Einzelauskunft v. 5.7.1999 an das VG Aachen; v. 16.11.1998 an das VG Sigmaringen). Diese einzelfallbezogene Betrachtung ergibt, dass im Fall der Klägerin noch nicht mit der allein ausreichenden hohen Wahrscheinlichkeit gesagt werden kann, sie werde im Falle der Abschiebung sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein. Die Klägerin ist zur Zeit 31 Jahre alt. Gesundheitliche Einschränkungen, welche im Falle ihrer Rückkehr die Überlebenschancen in einer ins Gewicht fallenden Weise verminderten, hat sie nicht geltend gemacht. Die Klägerin war bereits nach ihrer Flucht aus Angola im Jahre 1986 auf sich allein gestellt, weil ihr Ehemann verhaftet worden war. In Zaire hat die Klägerin seit 1993 als Händlerin auf dem Markt gearbeitet. Die dort erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten können der Klägerin bei der Verschaffung der zur Grundversorgung notwendigen Nahrungsmittel von Nutzen sein.

Für die Annahme einer extremen Gefährdung der Klägerin sind auch keine sonstigen Gesichtspunkte ersichtlich. Das gilt auch angesichts der erheblichen Kriminalität, welche namentlich in Luanda zu verzeichnen ist. In dieser hoffnungslos überfüllten Stadt nimmt die allgmeine Kriminalität zwar zuweilen beängstigende Ausmaße an. Raubüberfälle und Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung (AA v. 26.6.1998 an das VG Schleswig, Schweizerische Flüchtlingshilfe v. 11.11.1997 zur Situation in Angola Ende August 1997). Gleichwohl lässt sich nicht sagen, nachgerade jeder müsse mit erheblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, in Luanda Opfer eines solchen Raubüberfalles mit Folgen zu werden, welche dem Tod oder schwersten Verletzungen gleich zu achten sind.

Es ist entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts auch nicht möglich, aus einer "Gesamtschau mehrerer für sich nicht ausreichender Gründe" doch zur Annahme zu gelangen, § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG greife zum Vorteil der Klägerin ein.