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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 18.07.2001 - 2 BvR 982/00 - asyl.net: M0960
https://www.asyl.net/rsdb/M0960
Leitsatz:

Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen fehlender Offenlegung von Beweismitteln.(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: Verfahrensrecht, rechtliches Gehör, Erkenntnismittel, Verfahrensgegenstand, Togo, Krankheit, Down-Syndrom, Asthma bronchiale, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Medizinische Versorgung, Mündliche Verhandlung, Verzicht
Normen: GG Art. 103 Abs. 1
Auszüge:

Art. 103 Abs. 1 GG verlangt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass das Gericht nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse, auch Presseberichte und Behördenauskünfte verwertet, die von den Verfahrensbeteiligten oder vom Gericht im Einzelnen bezeichnet zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sind und zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (vgl. BVerfGE 89, 381 392>; 180 189>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 1993 - 2 BvR 2075/92 -, NVwZ 1993, S. 769; vom 18. Februar 1993 - 2 BvR 1869/92 -, InfAuslR 1993, S. 146 ; 149> vom 6. Juli 1993 - 2 BvR 514/93 -, nur in JURIS; vom 30. April 1996 - 2 BvR 1671/95 -, AuAS 1996, S. 249 und vom 15. März 1999 - 2 BvR 243/96 -, nur in JURIS), was auch in Asylverfahren gilt (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. September 1992 - 2 BvR 767/92 -, nur in JURIS).

Diesen Anforderungen entspricht das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts nicht.

Das Verwaltungsgericht hat seine Erkenntnisse zur medizinischen Versorgungslage in Togo auf die "vorliegenden Auskünfte des Auswärtigen Amtes" gestützt, ohne diese in das Verfahren eingeführt und den Beteiligten zur Kenntnis gebracht zu haben. Gegenstand des Verfahrens war allein die vom Bundesamt eingeholte Auskunft vom 1. September 1999. Verwertet das Gericht jedoch andere oder weitere Beweismittel - so wie hier offenbar beim Verwaltungsgericht vorhandene Auskünfte des Auswärtigen Amtes zur medizinischen Versorgung in Togo - muss es diese offen legen und den Beteiligten insoweit Gelegenheit zur Stellungnahme eröffnen (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 1991 - 2 BvR 1041/91 -, S. 560 561>). Der pauschale Hinweis auf die allgemeine Lageerkenntnis ohne Angabe von Erkenntnisquellen oder die allein dem Gericht vorliegenden Auskünfte genügt nicht den Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Januar 1999 - 2 BvR 86/97 -, NVwZ- Beilage Nr. 8/1999, S. 81 83>).

Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Beschwerdeführer auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet hat, denn ein solcher Verzicht lässt das Recht auf rechtliches Gehör als solches regelmäßig unberührt (vgl. BVerfGE 50, 280 284 ff.>; 62, 347 352 f.>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. März 1999, a.a.O.).

Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auch auf diesem Verstoß. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht bei Offenlegung der für ihn maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen aufgrund eines sich hiermit auseinander setzenden Vortrags des Beschwerdeführers zu einer diesem günstigeren Entscheidung gekommen wäre. Dieser hat auch hinreichend substantiiert dargetan, dass er auch im schriftlichen Verfahren weitere Auskünfte zum Beleg dafür eingeführt hätte, dass eine medizinische Behandlung in Togo nicht in der gebotenen Schnelle gewährleistet sei. Eine weitere Konkretisierung und Spezifizierung war vom Beschwerdeführer schon deshalb nicht zu verlangen, weil das Verwaltungsgericht die ihm vorliegenden Auskünfte nicht bezeichnet hat. Damit fehlt es - entgegen der Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs - nicht an der Kausalität des Gehörsverstoßes für die verwaltungsgerichtliche Entscheidung. Angesichts der dem Beschwerdeführer abgeschnittenen Möglichkeit, im Einzelnen noch zu den vom Verwaltungsgericht für maßgeblich erachteten tatsächlichen Grundlagen für seine Entscheidung spezifiziert vorzutragen und ggf. weiteren Beweis anzutreten, kann gerade nicht ausgeschlossen werden, dass das Verwaltungsgericht bei einer Gesamtschau zu einer anderen Auffassung gelangt wäre.

Der Beschwerdeführer war nicht etwa gehalten, das Gericht vorbeugend auf eventuelle Verfahrensverstöße aufmerksam zu machen (stRspr des Bundesverfassungsgerichts seit BVerfGE 17, 194 197>). Es kann ihm daher nicht vorgeworfen werden, er habe mit dem Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht zugleich darauf hingewiesen, dass er noch keine Erkenntnisquellen des Gerichts über die medizinische Versorgungslage in Togo erhalten habe (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. März 1999, a.a.O.).