VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 08.03.2007 - 7 K 2721/06 - asyl.net: M10011
https://www.asyl.net/rsdb/M10011
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Ausweisung, zwingende Ausweisung, Totschlag, Niederlassungserlaubnis, besonderer Ausweisungsschutz, atypischer Ausnahmefall, Generalprävention, Spezialprävention, Schutz von Ehe und Familie, Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Daueraufenthaltsrichtlinie
Normen: AufenthG § 53 Nr. 1; AufenthG § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; AufenthG § 56 Abs. 1 S. 3; EMRK Art. 8; RL 2003/109/EG Art. 7 Abs. 1; RL 2003/109/EG Art. 12 Abs. 1; RL 2003/109/EG Art. 12 Abs. 3
Auszüge:

Die Klage ist unbegründet.

Der Beklagte hat den Kläger mit dem angefochtenen Bescheid zu Recht aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.

Rechtsgrundlage der Ausweisung des Klägers ist § 53 Nr. 1 AufenthG.

Wegen des Besitzes einer Niederlassungserlaubnis - die dem Kläger erteilte Aufenthaltsberechtigung gilt gemäß § 101 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fort - genießt der Kläger jedoch den besonderen Ausweisungsschutz des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG.

Der besondere Ausweisungsschutz bewirkt zunächst, dass der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann. Solche schwerwiegenden Gründe liegen regelmäßig bei der hier gegebenen Verwirklichung eines zwingenden Ausweisungstatbestandes vor (§ 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG).

Hier ist eine Ausnahme von der Regel des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG schon unter generalpräventiven Gesichtspunkten nicht gegeben.

In der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung, (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.10.2006 - 18 B 70/06 -, m.w.N.) ist geklärt, dass Ausweisungsgründe auch aus der Sicht der Generalprävention schwerwiegend sein können.

Bei Beachtung dieser Grundsätze erfordert der generalpräventive Ausweisungszweck die Ausweisung des Klägers. Die den Ausweisungsgrund bildende Straftat wiegt schon allein wegen des eingetretenen Taterfolgs - Tod eines Menschen - und des Tathergangs - 20 Messerstiche gegen das Opfer - besonders schwer.

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang ferner, dass die abgeurteilte Tat mittlerweile über vier Jahre zurückliegt (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.10.2006 - 18 B 70/06 -).

Darüber hinaus liegt entgegen den Wertungen der Widerspruchsbehörde auch unter spezialpräventiven Gesichtspunkten kein Ausnahmefall vor. Das Landgericht Bielefeld gelangt deshalb zu der Feststellung, dass die Beziehung des Klägers zu der später Getöteten über Jahre von andauernden massiven verbalen Auseinandersetzungen und früher auch von körperlichen Übergriffen des Klägers geprägt gewesen sei.

Der besondere Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bewirkt des Weiteren die Herabstufung des verwirklichten Ist-Ausweisungstatbestandes zu einem Regelausweisungstatbestand (§ 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG). Anhaltspunkte für ein Absehen von der Regelausweisung sind ebenfalls nicht gegeben. Ein Absehen von der Regelausweisung ist nur gerechtfertigt, wenn ein Fall atypische, vom Regelfall abweichende Besonderheiten aufweist bzw. der Ausweisung auch unter Berücksichtigung des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 Abs. 1 AufenthG höherrangiges Recht entgegensteht, die Ausweisung insbesondere nicht mit verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen vereinbar ist (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 07.08.2001 - 18 A 2065/96 -, m.w.N.).

Art. 8 EMRK steht der Ausweisung des Klägers nicht entgegen. Der Schutz dieser Bestimmung geht im Hinblick auf die familiäre Lebensgemeinschaft nicht weiter als der des Art. 6 GG, wie er im AufenthG seinen Niederschlag gefunden hat (vgl. zum AuslG 1990 nur OVG NRW, Beschluss vom 04.12.2001 - 18 B 287/01 - mit weiteren Nachweisen).

Auch die Regelungen der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25.11.2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (Richtlinie), so man die Richtlinie nach Ablauf der sog. Umsetzungsfrist für unmittelbar anwendbar hält, führen zu keiner abweichenden Beurteilung (vgl. grundsätzlich zur genannten Richtlinie Welte, Die Daueraufenthaltsrichtlinie-EU, InfAuslR 2007, 45, und zur Frage ihrer unmittelbaren Anwendung Nds. OVG, Beschluss vom 18.01.2007 - 10 ME 44/07 -).

Zum einen setzt die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten im Sinne der Richtlinie die Stellung eines entsprechenden Antrags durch den Drittstaatsangehörigen voraus (vgl. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie) (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 18.01.2007 - 10 ME 44/07 -; BayVGH, Beschluss vom 13.03.2006 - 24 ZB 05.3191 -; VG Freiburg, Urteil vom 28.09.2006 - 3 K 2689/04 -; und weiter auch OVG NRW, Beschluss vom 04.07.2005 - 18 B 1635/04), einen solchen Antrag hat der Kläger nach dem Akteninhalt aber bisher nicht gestellt, zum anderen bedingt die Richtlinie kein generelles Ausweisungsverbot für "langfristig Aufenthaltsberechtigte". Die Mitgliedstaaten können gegen einen langfristig Aufenthaltsberechtigten eine Ausweisung nach den Vorgaben der Richtlinie (vgl. Art. 12 Abs. 1) dann verfügen, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt. Diese Voraussetzung ist im Falle des Klägers nach obigen Ausführungen zum Bestehen einer Wiederholungsgefahr erfüllt. (vgl. dazu Welte, a.a.O., der den Ausweisungsschutz nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie als dem erhöhten Ausweisungsschutz im Sinne des § 56 Abs. 1 AufenthG ähnlich bezeichnet).

Ferner sind bei der hier umstrittenen Ausweisungsentscheidung die Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet, sein Alter, die Folgen der Ausweisung für ihn und etwaige Familienangehörige und seine Bindungen zur Bundesrepublik Deutschland bzw. etwaig fehlende Bindungen zu seinem Heimatstaat hinreichend berücksichtigt (vgl. Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie).