VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 02.03.2007 - 13 K 372/07.A - asyl.net: M10016
https://www.asyl.net/rsdb/M10016
Leitsatz:
Schlagwörter: Somalia, Gebietsgewalt, nichtstaatliche Verfolgung, Verfolgung durch Dritte, Verfolgungszusammenhang, Ogaden, Sicherheitslage, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Union der islamischen Gerichtshöfe, Union of Islamic Courts, UIC, Warlords, Clans, interne Fluchtalternative, Erreichbarkeit, Somaliland
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter.

Eine vom Staat ausgehende Verfolgung i.S.d. Art. 16 a GG kann schon deshalb nicht festgestellt werden, weil Somalia - mit Ausnahme möglicherweise des Nordwesten des Landes ("Republik Somaliland") - das Merkmal der (Quasi-) Staatlichkeit nicht erfüllt.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG im Hinblick auf Somalia vorliegen.

Nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen und unter Würdigung des Vorbringens des Klägers ist nicht davon auszugehen, dass ihm aufgrund eines der in der Vorschrift genannten Anknüpfungspunkte - Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Überzeugung - Verfolgung droht.

Dass dem Kläger wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Ogaden Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG drohen könnte, hat er selbst nicht vorgetragen und ist auch nicht anderweitig ersichtlich. Unabhängig von der insgesamt prekären Sicherheitslage hat kein Somali zu befürchten, allein wegen seiner Clanzugehörigkeit verfolgt oder gar getötet zu werden (vgl. Prof. Maho Aves, Gutachten vom 26. November 2001 für das Verwaltungsgericht Hannover; ders. Gutachten vom 27. Dezember 2001 für das Verwaltungsgericht Düsseldorf).

Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Somalias vorliegen.

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind im Fall des Klägers mit Blick auf die allgemeinen Verhältnisse in Somalia erfüllt.

Es ist weiterhin davon auszugehen, dass die Sicherheitslage in Zentral- und Südsomalia einschließlich der Hauptstadt Mogadischu aufgrund der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Clans, Milizen und Banden sowie durch die allgemeine Kriminalität mangels effektiver Sicherheitsstrukturen äußerst prekär ist (so bereits Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsschutzrelevante Lage in Somalia vom 7. Februar 2006, S. 8; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Die aktuelle Situation und Trendanalyse, 20. September 2004, S. 6, 9 f.; amnesty international, Jahresberichte 2005 und 2006, Somalia).

Die jüngsten Entwicklungen in Somalia haben nicht zu einer Verbesserung der Situation geführt; vielmehr ist davon auszugehen, dass sich die Sicherheitslage in Zentral- und Südsomalia noch weiter verschlechtert hat. Zwar schien sich die äußere Ordnung in den genannten Landesteilen nach der Machtübernahme durch die Union der islamischen Gerichtshöfe (Union of Islamic Courts - UIC) in der zweiten Hälfte des Jahres 2006 stabilisiert zu haben. Nach der Vertreibung der UIC durch Truppen der somalischen Übergangsregierung und äthiopisches Militär im Dezember 2006 hat jedoch noch keine andere Macht die effektive Ordnungsgewalt übernommen. Vielmehr ist die Situation in Zentral- und Südsomalia gegenwärtig durch eine Vielzahl von gewalttätigen Konfliktherden gekennzeichnet.

So wurde sowohl aus Mogadischu als auch Kismayo berichtet, dass es zu einem Aufflammen von Gewalt und Verbrechen gekommen sei. Die vormaligen Kriegsherren ("warlords") sind bestrebt, die unter der Herrschaft der UIC verlorenen Machtpositionen wieder einzunehmen. Ein von der Übergangsregierung eingeleitetes Programm zum Einsammeln von Waffen wurde wegen Erfolglosigkeit eingestellt (United Kingdom Home Office, Country of Origin Information Report Somalia vom 15. Januar 2007, Rdn. 4.02,8.03).

Hinzu kommen ständige gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Truppen der Übergangsregierung sowie äthiopischen Truppen einerseits und unbekannten Angreifern andererseits, vermutlich UIC-Kämpfern, die aus dem Untergrund operieren. Namentlich in Mogadischu kommt es immer wieder zu Kämpfen mit Toten und Verletzten, wobei die Opfer oftmals der Zivilbevölkerung angehören (United Kingdom Home Office, Country of Origin Information Report Somalia vom 15. Januar 2007, Rdn. 8.04, mit Berichten über verschiedene einzelnen Vorkommnisse; Ilona Eveleens, in: Die Tageszeitung vom 17. Januar 2007 "Die Rückkehr der Angst"; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15. Februar 2007 "Wilde Gefechte, gestohlene Milliarden": 48 Angriffe in 51 Tagen; Marc Engelhardt, in: Die Tageszeitung vom 21. Februar 2007 "Nachts hagelt es Grananten und Raketen").

Der in dem angegriffenen Bescheid vertretenen Einschätzung des Bundesamtes, in einem bedeutenden Teil Zentral- und Südsomalias sei infolge der Machtübernahme durch die UIC weitgehende Ruhe eingekehrt und Kampfhandlungen fänden dort nicht statt, ist durch die jüngsten Ereignisse der Boden entzogen worden.

Auch durch die Aussage in dem angefochtenen Bundesamtsbescheid, "aus den Ausführungen von Antragstellern zum jeweiligen Reiseweg in zahlreichen Anhörungen" gehe hervor, dass sichere Landesteile gefahrlos erreichbar seien (Seite 6 des Bescheides), wird die oben dargestellte Bewertung der Lage nicht substanziell erschüttert. Abgesehen davon, dass auch dieser Einschätzung durch die jüngsten Ereignisse der Boden entzogen ist, lässt die Aussage des Bundesamtes nicht erkennen, ob etwa Umstände des einzelnen Falles - z.B. die Clanzugehörigkeit oder die wirtschaftliche Möglichkeit, für die eigene Sicherheit zu sorgen - eine ansonsten möglicherweise bestehende Gefahr minimiert haben.

Angesichts der aktuellen Situation in Zentral- und Südsomalia würde eine Rückkehr in diese Gebiete den Kläger sehenden Auges einer im Sinne der Rechtsprechung extremen Gefahr für Leib und Leben aussetzen. Zwar kann naturgemäß nicht mit Sicherheit festgestellt werden, dass sich eine solche Gefahr realisieren würde. Bei der Gefahrenbewertung ist aber auch der Rang der gefährdeten Verfassungsrechtsgüter zu berücksichtigen. Angesichts der oben beschriebenen aktuellen Situation in Zentral- und Südsomalia, in der jeder Rückkehrer jederzeit Gefahr läuft, Opfer krimineller Übergriffe, Opfer von Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Clans und/oder Opfer der Kämpfe zwischen den Regierungstruppen nebst ihren Verbündeten und den Kämpfern der UIC zu werden, wiegt die dem Kläger für Leib und Leben drohende Gefahr nach Auffassung des Gerichts so schwer, dass ihm eine Rückkehr in sein Heimatland derzeit nicht zugemutet werden kann. Eine Rückführung nach Somalia würde ihn sehenden Auges den o.g. Gefahren aussetzen und damit der Gefahr schwerster Verletzungen oder gar des Todes.

Der Kläger kann schließlich auch nicht darauf verwiesen werden, in den sichereren nördlichen Landesteilen Schutz zu suchen. Insoweit fehlt im der notwendige Rückhalt durch Angehörige oder jedenfalls Clanmitglieder, der ihm dort ein Überleben ermöglichen würde.