Keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit für homosexuelle Männer im Iran, solange das Sexualleben im Privaten und Verborgenen gelebt wird.
Keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit für homosexuelle Männer im Iran, solange das Sexualleben im Privaten und Verborgenen gelebt wird.
(Leitsatz der Redaktion)
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten, festzustellen, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) vom 30. Juli 2004 - BGBl. I, S. 1950, (ehemals: § 51 Abs. 1 AuslG) vorliegen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellt die Bestrafung irreversibler, schicksalhafter Homosexualität grundsätzlich politische Verfolgung im Sinne des Art. 16 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) dar, wenn die Untersagung einverständlicher homosexueller Betätigung unter Erwachsenen im Heimatland des Asylsuchenden nicht nur aus Gründen der dort herrschenden Moral erfolgt, sondern wenn der Asylbewerber bei einer Rückkehr in sein Heimatland in die Gefahr gerät, mit schweren Leibesstrafen sowie der Todesstrafe belegt zu werden, und mit deren Verhängung und Vollstreckung auch seine homosexuelle Veranlagung getroffen werden soll. Diese Zielrichtung nimmt das BVerwG an für die Vorschriften des iranischen StGB zur Strafbarkeit der homosexuellen Betätigungen wegen der Härte der angedrohten Strafen einerseits und der Beweiserleichterung nach der iranischen Strafrechtsreform von 1982 andererseits (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 1988 - 9 C 278.86 -).
Die Durchführung homosexueller Handlungen, nicht aber die Neigung zur Homosexualität selbst, ist im Iran unter Strafe gestellt (Art. 108 bis 126 des iranisches Strafgesetzbuches - iran. StGB). Als Regelstrafe für Sexualvergehen zwischen Männern ist die Todesstrafe vorgesehen; geringere Strafen gelten für bestimmte sexuelle Handlungen und für den Fall, dass die vollen Beweisanforderungen für die Todesstrafe nicht erbracht werden können. Art. 121 iran. StGB sieht eine Strafe von 100 Peitschenhieben für beischlafähnliche Handlungen vor. Ein Mann, der einen anderen aus Leidenschaft küsst, wird gemäß Art. 124 iran. StGB mit 60 Peitschenhieben bestraft. Urteile, die sich auf Art. 108 ff. iran. StGB stützen, sind selten. Aussagen darüber, in welchem Umfang und mit welcher Intensität strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen wegen Homosexualität betrieben werden, sind wegen der mangelnden Transparenz des iranischen Gesichtswesens nicht möglich. Dies beruht darauf, dass die detaillierten Erfordernisse der genau vorgeschriebenen Beweisverfahren nur in seltenen Fällen eingesetzt und auch im Rahmen von Auseinandersetzungen zwischen Privatleuten als Druckmittel benutzt werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 24. März 2006, S. 22).
Homosexuelle Handlungen gelten als bewiesen, wenn entweder ein viermaliges Geständnis vor dem Richter abgelegt wird (Art. 114 iran. StGB) oder Zeugenaussagen von vier unbescholtenen Männern vorliegen (Art. 117 iran. StGB). Der Beweis kann auch durch Heranziehen des "eigenen Wissens des Richters" geführt werden (Art. 119 iran. StGB).
Nach Erkenntnis des UNHCR im Jahre 2002 (vgl. die Stellungnahme zur Verfolgungssituation Homosexueller in der Islamischen Republik Iran, Januar 2002) stammte die jüngste bekannt gewordene Hinrichtung durch Steinigung wegen wiederholter homosexueller Handlungen und Ehebruch aus dem Jahre 1995. Auch insoweit konnte allerdings nicht geklärt werden, ob die betroffenen Personen allein auf Grund homosexueller Handlungen verurteilt oder ob zusätzliche Anklagen erhoben wurden. Nach der Auffassung des UNHCR ist es jedoch nicht angebracht, das Bestehen der Todesstrafe wegen der hohen Anforderungen der Beweisregeln und die angeblich geringe Zahl von Hinrichtungen nur als theoretische Gefährdung anzusehen.
Nach Berichten auch in der iranischen Presse sind zuletzt am 19. Juli 2005 zwei junge Männer wegen homosexueller Handlungen öffentlich gehängt worden. Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes wurden die Beiden aufgrund einer Vergewaltigung, deren Begehung sie gestanden hätten, hingerichtet (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 24. März 2006, a.a.O.).
Ähnlich wird die Situation Homosexueller in dem "Bericht über eine Erkundungsreise in die Islamische Republik Iran" des Unabhängigen Bundesasylsenats der Republik Österreich von Mai/Juni 2002 geschildert. Eine Mitarbeiterin der norwegischen Botschaft berichtete in diesem Zusammenhang, dass Homosexuelle relativ unbehelligt leben könnten, solange sie ihre Veranlagung nicht öffentlich bekannt gäben. Das belgische Asylamt geht davon aus, dass Homosexuelle nichts zu befürchten hätten, solange die Homosexualität auf privater Basis praktiziert werde. Auch sei es im Iran - anders als bei Verschiedengeschlechtlichen - im gesellschaftlichen Sinne kein Problem, dass sich zwei Männer gemeinsam ein Hotelzimmer nähmen.
Dieses Bild bestätigend wird in dem einige Tage nach der Hinrichtung der beiden Jugendlichen im Iran im Juli 2005 verfassten Artikel in "Queer - Das schwule Online-Magazin" zur Situation im Iran berichtet: "Das Regime geht nicht mehr systematisch gegen Schwule vor, es gibt immer noch einige Homo-Webseiten, und es gibt einige Parks und Kinos, von denen alle wissen, dass sich dort Schwule treffen. ... Gelegentlich berichten auch einige Medien über homosexuelle Themen. Das islamische Recht, das homosexuellen Geschlechtsverkehr unter Strafe stellt, ist noch in Kraft, wird aber kaum noch angewandt. Die Schwulen und Lesben bekommen ihre Informationen und Kontakte, und auch die Gesellschaft wird toleranter."
Die Berichte über die Möglichkeiten, im Iran seine homosexuelle Neigung zu leben, werden nicht zuletzt auch durch die ausführlichen Schilderungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung von seinem aktiven Sexualleben in den zwei Jahrzehnten, die er als Erwachsener im Iran verbracht hat, bestätigt.
Aus der Gesamtschau der dargelegten Erkenntnisquellen folgert das Gericht, dass eine systematische Verfolgung von Homosexuellen zur Zeit im Iran nicht stattfindet. Die Verfolgung homosexueller Betätigung im Iran ist jedenfalls solange nicht beachtlich wahrscheinlich, solange das Sexualleben im Privaten und Verborgenen gelebt wird und der Betreffende nicht bereits die Aufmerksamkeit der iranischen Strafverfolgungsbehörden mit der Folge auf sich gezogen hat, dass er im Falle der Rückkehr einem gesteigerten Beobachtungs- und Verfolgungsinteresse seitens der iranischen Behörden ausgesetzt wäre (vgl. auch Sächs. OVG, Urteile vom 20. Oktober 2004 - 2 B 273/04 - und vom 5. Februar 2004 - 2 B 145/03 -, Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf, Urteil vom 5. September 2005 - 5 K 6084/04.A -, VG Trier, Urteil vom 13. Juli 2006 - 6 K 51/06 TR -, VG München, Urteil vom 24. Januar 2003 - M 9 K 02.51608 -).
Hiernach lässt sich nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Iran wegen seiner behaupteten homosexuellen Veranlagung (strafrechtliche) Verfolgung droht. Das Gericht geht vor allem nicht davon aus, dass der Kläger den Behörden im Iran bereits wegen seiner homosexuellen Veranlagung aufgefallen und von diesen deswegen belangt worden ist und deshalb im Falle der Rückkehr mit verstärkter behördlicher Aufmerksamkeit zu rechnen hätte.