VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 20.02.2007 - 22 K 3453/05.A - asyl.net: M10024
https://www.asyl.net/rsdb/M10024
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung bei Verfolgung wegen der Religion ist nicht auf das "religiöse Existenzminimum" beschränkt; Flüchtlingsanerkennung wegen Übertritts zum Christentum; weder öffentliche noch private Religionsausübung im Iran möglich, insbesondere nicht für römisch-katholische Christen.

 

Schlagwörter: Iran, Christen (katholische), Apostasie, Konversion, Religion, religiös motivierte Verfolgung, religiöses Existenzminimum, Verfolgungsbegriff, Anerkennungsrichtlinie, Missionierung, Folter, Inhaftierung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b; RL 2004/83/EG Art. 9 Abs. 1
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung bei Verfolgung wegen der Religion ist nicht auf das "religiöse Existenzminimum" beschränkt; Flüchtlingsanerkennung wegen Übertritts zum Christentum; weder öffentliche noch private Religionsausübung im Iran möglich, insbesondere nicht für römisch-katholische Christen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) einen Anspruch auf Feststellung durch die Beklagte, dass in ihrer Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

Es ist jedoch nach der Überzeugung des Gerichts nach dem bei Fehlen eines asylrelevanten Vorfluchtgrundes anzuwendenden Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass die Kläger im Falle ihrer Rückkehr in den Iran in asylrechtsrelevanter Weise bedroht sind, weil sie sich während ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland dem römisch-katholischen Glauben zugewandt haben.

An der Ernsthaftigkeit der Hinwendung der Kläger zum römisch-katholischen Glauben hat das Gericht keinen Zweifel.

§ 60 Abs. 1 AufenthG ist im Lichte der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über die Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EG Nr. L 304/12 vom 30. September 2004, im Folgenden Richtlinie) auszulegen. Diese Richtlinie ist nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 10. Oktober 2006 unmittelbar anwendbar.

Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe ist nach Art. 10 Abs. 1b) der Richtlinie zu berücksichtigen, dass der Begriff "Religion" insbesondere "die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind" umfasst. Nachdem die Rechtsprechung sowohl als asylrechtlich als auch im Hinblick auf die Annahme von Abschiebungsverboten bisher nur die Verletzung des "religiösen Existenzminimums", das die Religionsausübung im privaten Bereich, die Möglichkeit von Gebet und Gottesdienst abseits der Öffentlichkeit in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen, umfasst, angesehen hat (vgl. BVerwG, Kammerbeschluss vom 1. Juli 1987 - 2 BvR 478, 962/86 -, BVerwGE 76, 143 (158 ff.), BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2000 - 9 C 34/99 -, BVerwGE 111, 223 ff.), spricht nach Auffassung des Gerichts vieles dafür, dass diese Beschränkung des Begriffs des religiösen Existenzminimums, die das Bundesverwaltungsgericht letztmalig vor Inkrafttreten der oben genannten Richtlinie bestätigt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2004 - 1 C 9.03 -, BVerwGE 120, S. 16) im Hinblick auf Artikel 10 Abs. 1 b der Richtlinie nicht aufrecht erhalten werden kann, weil diese Bestimmung ausdrücklich die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich und in Gemeinschaft mit anderen als integralen Bestandteil von Religion im Sinne des Asylrechts und der Schutzgewährung bezeichnet (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juni 2006 - A 2 S 571/05 -; VG Karlsruhe, Urteil vom 19. Oktober 2006 - A 6 K 10335/04 -, Juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 15. August 2006 - 2 K 2682/06.A -, Juris).

Den Klägern droht bei Rückkehr in den Iran wegen ihres Wechsels zum römisch-katholischen Glauben politische Verfolgung, weil sie, wenn sie ihren christlichen Glauben im Iran nach außen erkennbar, etwa durch eine regelmäßige Teilnahme an öffentlichen oder im privaten Rahmen abgehaltenen Gottesdiensten, praktizieren, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatlichen Zwangsmaßnahmen ausgesetzt sein werden.

Aus neueren gutachterlichen Äußerungen ergibt sich, dass in verstärktem Maß staatliche oder staatlich geduldete Übergriffe auf Christen festzustellen sind (vgl. hierzu: Auskunft des Deutschen Orient-Institutes vom 21. Juni 2005 (279) an das VG Münster; Bundesamt (BA), Sonderbericht über die Situation christlicher Religionsgemeinschaften in der Islamischen Republik Iran von Januar 2005; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Themenpapier zu Christen und Christinnen im Iran, 18. Oktober 2005; Open Doors, Weltverfolgungsindex, Iran, www.opendoors-de.org).

Danach können konvertierte Muslime seit ca. 2 Jahren keine öffentlichen christlichen Gottesdienste mehr besuchen, ohne sich der Gefahr auszusetzen, festgenommen und möglicherweise unter konstruierten Vorwürfen zu Haftstrafen verurteilt zu werden. Auch die Ausübung des Glaubens im privaten Bereich in Gemeinschaft mit anderen ist nicht mehr gefahrlos möglich.

Die Hinwendung zum christlichen Glauben und die christliche Missionstätigkeit werden im Iran nicht deshalb verfolgt, weil die Ausübung der persönlichen Gewissensfreiheit und die rein persönliche, geistig-religiöse Entscheidung für einen anderen Glauben bekämpft werden sollen. Bekämpft werden soll die Apostasie vielmehr, soweit sie als Angriff auf den Bestand der Islamischen Republik Iran gewertet werden kann. Der politische Machtanspruch der im Iran herrschenden Mullahs ist absolut. Dieser Machtanspruch ist religiös fundiert, d.h. die iranischen Machthaber verstehen die Ausübung der politischen Macht als gleichsam natürliche Konsequenz ihrer Religion. Deshalb ist - weil dies den Gesetzen des Islam entspricht - religiöse Toleranz der jüdischen und christlichen Religionsgemeinschaften solange vorgesehen, wie deren Angehörige sich dem unbedingten religiösen und politischen Herrschaftsanspruch unterwerfen. Ein Ausbreiten dieser (Buch-) Religionsgemeinschaften in das "muslimische Staatsvolk" hinein kann demgegenüber den im Iran bestehenden Führungsanspruch der Mullahs in Frage stellen. Letztere differenzieren nämlich nicht zwischen Politik und Religion undübertragen diese Gleichsetzung auf andere Religionsgemeinschaften, denen sie unterstellen, ebenfalls Politik im religiösen Gewande zu betreiben (vgl. Deutsches Orient-Institut, Auskunft vom 6. Dezember 1996 an das Sächs. OVG; Auskunft vom 22. November 2004 an das VG Kassel; Auskunft vom 11. Dezember 2003 an das VG Wiesbaden; Auskunft vom 20. Dezember 1996 an das VG Leipzig).

Dem Sonderbericht des Bundesamtes über die Situation christlicher Religionsgemeinschaften im Iran von Januar 2005 zufolge soll sich die Situation der Assembly of God nach der Ermordung von fünf Priestern zwischen 1990 und 1996 unter der Präsidentschaft Khatamis deutlich entspannt haben. Seit 2001 sei sogar offen missioniert worden. Im Sommer 2004 wurden jedoch bei einem Treffen von Referenten und Priestern in Karaj 86 Personen festgenommen und inhaftiert. 76 Personen wurden nach kurzer Befragung am gleichen Tag entlassen, die restlichen zehn Personen wurden über 72 Stunden zu Zusammensetzung, Kreis der Angehörigen und Arbeitsweise der Gemeinde befragt. Unter den Inhaftierten war auch der Priester Q1, der weiter inhaftiert blieb. Seit diesem Ereignis werden keine Taufen von Muslimen vorgenommen und ehemalige Muslime besuchen keine Gottesdienste mehr. Hinzu kommt, dass im Mai 2004 die Familie des Pastors Z in Chalous anlässlich eines privaten Treffens mit zwölf Gläubigen verhaftet worden ist. Die Familie ist zwar nach zehn Tagen wieder entlassen worden, der christliche Hauskreis wurde aber aufgelöst, und Herr Z musste seine Tätigkeit als Priester einstellen. Diese Erkenntnisse werden durch die Angaben im Themenpapier der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu Christen und Christinnen im Iran vom 18. Oktober 2005 bestätigt. Konvertiten müssen, sobald der Übertritt Behörden bekannt wird, zum Informationsministerium, wo sie scharf verwarnt werden. Durch diese Maßnahmen soll muslimischen Iranern der Zugang zu den evangelikalen Gruppierungen versperrt werden. Sollten Konvertiten jedoch weiter in der Öffentlichkeit auffallen, beispielsweise durch Besuche von Gottesdiensten, Missionsaktivitäten oder ähnlichem, können sie mit Hilfe konstruierter Vorwürfe wie Spionage, Aktivitäten illegaler Gruppen oder anderen Gründen vor Gericht gestellt werden. Als Beispiel solcher staatlicher Willkür wird der Fall des bereits 1980 konvertierten Moslems Q1 angeführt. Nach dem aktuellen "Weltverfolgungsindex" der Organisation "Open Doors" steht der Iran nunmehr auf Rang 3 der Länder, in denen eine Verfolgung von Christen festzustellen ist, nachdem der Iran in den früheren Jahren auf Rang 5 notiert wurde.

Aus diesen - neueren - Auskünften ergibt sich, dass eine Religionsausübung von Christen muslimischer Herkunft weder im öffentlichen, noch im privaten Bereich in einer Weise möglich ist, die nicht die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung durch die iranischen Behörden nach sich zieht. Selbst wenn man aus der Richtlinie nicht den Schluss ziehen sollte, dass auch die Teilnahme an im öffentlichen Bereich zelebrierten Riten zum Schutzbereich des religiösen Existenzminimums zu zählen ist, folgt die asylrechtlich beachtliche Gefährdung bereits aus der Religionsausübung im privaten Bereich (vgl. VG Bayreuth, Urteil vom 27. April 2006 - B 3 K 06.30073 -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 15. August 2006, - 22 K 350/05.A -, juris).

Hinsichtlich der Kläger ist zu berücksichtigen, dass nach telefonischer Mitteilung des Generalvikariats des Erzbistums Köln eine römisch-katholische Gemeinde weder in Teheran noch sonst im Iran bestehen dürfte. Nach dortiger Kenntnis werden Gottesdienste in Teheran ausschließlich in der "Gottesdienststelle" der italienischen Botschaft abgehalten. Ob es einen weiteren römisch-katholischen Geistlichen in Isfahan gibt, erscheint danach jedenfalls zweifelhaft. Die Kläger wären somit bei Rückkehr in den Iran zur Ausübung ihres römisch-katholischen Glaubens gezwungen, die Gottesdienste in der italienischen Botschaft zu besuchen. Sofern die Kläger dort überhaupt zur Gottesdienstteilnahme Zutritt erhielten, würde allein das regelmäßige oder sporadische Aufsuchen der Botschaft mit Sicherheit den iranischen Sicherheitskräften bekannt werden. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger zu 1) aus einer streng religiösen Familie stammt und der Bruder der Klägerin zu 2) bereits vor ihrer Ausreise versucht hat, die Aufmerksamkeit der Sicherheitskräfte auf den Kläger zu 1) zu lenken, ist es beachtlich wahrscheinlich, dass die Konversion der Kläger diesen bekannt wird und die Gefahr besteht, dass die Religionsausübung der Kläger als politisch motivierte oppositionelle Bestrebung, unter Umständen auch als Spionage, verfolgt wird.

Die im Iran von den Klägern zu erwartenden Verfolgungshandlungen mit Befragungen, möglicherweise unter Folter, und Haft erfüllen die Voraussetzungen des Art. 9 Abs.1a) der Richtlinie, denn es ist zu erwarten, dass diese auf Grund ihrer Art und Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte darstellen würden.