OVG Nordrhein-Westfalen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.02.2007 - 5 A 1274/05.A - asyl.net: M10033
https://www.asyl.net/rsdb/M10033
Leitsatz:

Posttraumatische Belastungsstörung im Kosovo grundsätzlich behandelbar.

 

Schlagwörter: Serbien, Kosovo, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Posttraumatische Belastungsstörung im Kosovo grundsätzlich behandelbar.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

Das Verwaltungsgericht hat der Verpflichtungsklage der Klägerin zu Unrecht teilweise stattgegeben. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, der ab dem 1. Januar 2005 an die Stelle des bisherigen § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG getreten ist und dessen Tatbestandsvoraussetzungen entspricht.

Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin bei Rückkehr in ihre Heimat Kosovo als Folge unzureichender Behandlungsmöglichkeiten wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde.

Ausweislich des Gutachtens des Arztes für Psychiatrie Dr. I. vom 28. Januar 2004 liegt bei der Klägerin eine Posttraumatische Belastungsstörung leichten bis mittelschweren Grades vor. Für den Fall einer psychotherapeutisch stützenden Behandlung (stabilisierende stützende Therapie mit ärztlichen Gesprächen) und einer begleitenden Pharmakotherapie mit Antidepressiva erwartet der Gutachter, dass das Beschwerdebild der Klägerin konstant bleibt. Eine solche Behandlung ist nach der Erkenntnislage im Kosovo möglich.

Im öffentlichen Gesundheitswesen im Kosovo stehen sieben Zentren für geistige Gesundheit (Pec, Prizren, Urosevac, Gnjilane, Djakovica, Mitrovica/Süd, Pristina) und in fünf Krankenhäusern Abteilungen für stationäre Psychiatrie inklusive angeschlossener Ambulanzen (Pristina, Mitrovica/Nord, Pec, Prizren und Djakovica) zur Behandlung von psychischen Erkrankungen und posttraumatischen Belastungsstörungen zur Verfügung. Weiter unterhalten verschiedene nichtstaatliche Organisationen Betreuungseinrichtungen, die psychisch Kranke und durch belastende Kriegsereignisse traumatisierte Personen beraten und medizinisch/psychologisch betreuen. Patienten mit dem Krankheitsbild Posttraumatische Belastungsstörung werden in der Regel medikamentös behandelt. Insbesondere in den Zentren für geistige Gesundheit werden aber auch begleitende (supportive) Gesprächstherapien angeboten. Hinweise darauf, dass behandlungsbedürftige Patienten auf Grund fehlender Therapieplätze tatsächlich nicht behandelt werden konnten, liegen nicht vor. In minder schweren Fällen kann es allerdings im öffentlichen Gesundheitswesen zu Wartezeiten von bis zu drei Wochen kommen. Für ambulante Behandlungen sind von den Patienten zwischen 1 EUR und 4 EUR zu zahlen; Medikamente der "essential drugs list" sind gegen eine Eigenbeteiligung von bis zu 2 EUR erhältlich. Davon ausgenommen sind verschiedene Psychotherapeutika (Amitriptyline, Alprazolam, Biperidine, Clopazine, Chlorpromazine, Diazepam, Fluphenazine, Fluoxetine, Haloperidol, Olanzapina, Risperidon), die weiterhin kostenlos erhältlich sind. Ebenfalls kostenfrei sind die Behandlung in den Zentren für geistige Gesundheit und die Angebote der nichtstaatlichen Gesundheitseinrichtungen (vgl. zu allem Deutsches Verbindungsbüro Kosovo/ Pristina, Auskunft vom 21. Juli 2006 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien - Kosovo (Stand: Juni 2006), S. 19/20, 21-24).

Für eine hinreichende Behandelbarkeit der Erkrankung der Klägerin spricht ferner der Umstand, dass der UNHCR in seinem aktualisierten Positionspapier zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo (Stand: Juni 2006) die Gruppe der Personen mit schweren oder chronischen psychischen Erkrankungen einschließlich Posttraumatischer Belastungsstörungen nicht mehr aufführt. Dementsprechend lehnt auch UNMIK die Rückführung solcher Personen künftig nicht mehr aus gesundheitlichen Gründen ab (vgl. Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Erlass vom 7. Juli 2006 (Az.: 15 - 39.02.01 -5- 132 Kosovo), mit dem als Anlage beigefügten Schriftwechsel des Bundesministeriums des Innern und des Deutschen Verbindungsbüros in Pristina mit UNMIK).

Eine abweichende Beurteilung rechtfertigen auch nicht die Ausführungen des Arztes für Innere Medizin und Psychotherapeutische Medizin Dr. Gierlichs in seinem Beitrag in der ZAR 2006, 277 ff., wonach das im Kosovo tätige medizinische Fachpersonal nicht ausreiche, um die Vielzahl psychisch kranker Menschen im Kosovo zu behandeln. Es kommt nicht darauf an, wie viele potentielle Patienten gegebenenfalls zu behandeln wären (vgl. dazu auch OVG NRW, Beschluss vom 10. Januar 2007 - 13 A 1138/04.A -, Beschlussabdruck, S. 27/28, wonach die dem Beitrag zugrunde liegende Berechnung nicht überzeugt).

Maßgeblich ist vielmehr, ob für tatsächlich um medizinische Hilfe Nachsuchende Behandlungskapazitäten gegeben sind. Dass indes die Klägerin die von ihr gewünschte und zur Vermeidung einer Gesundheitsverschlechterung erforderlich Behandlung im Kosovo nicht erlangen könnte, ist auf der Grundlage der genannten Auskünfte des Auswärtigen Amtes und des Deutschen Verbindungsbüros nicht beachtlich wahrscheinlich.

Dieser Einschätzung steht schließlich nicht entgegen, dass eine Psychotherapie im Sinne einer Traumabearbeitung lediglich in Ausnahmefällen möglich sein mag. Nach den Ausführungen des psychiatrischen Gutachtens vom 28. Januar 2004 ist eine solche Therapie zwar wünschenswert, um eine Verbesserung des Gesundheitszustandes der Klägerin zu erreichen. Nach Einschätzung des Gutachters ist aber auch ohne diese Therapie eine Verschlechterung des Beschwerdebildes der Klägerin nicht zu erwarten, sofern eine - wie ausgeführt im Kosovo mögliche - stabilisierende stützende Gesprächstherapie mit begleitender medikamentöser Behandlung erfolgt.